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Das Beamtenproblem

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Die größte Sorge unseres Staates ist die Existenz der Beamten. Von Zeit zu Zeit, zuletzt immer häufiger, wurde die Bevölkerung auf die unhaltbare Lage dieser Berufsgruppe aufmerksam gemacht, bis dieser Tage der Finahztnihister die Verhandlungen mit der Gewerkschaft aufnahm, nachdem er im Parlament die Grundlinien der beabsichtigten Aktion aufgezeigt hatte. Innerhalb von drei Jahren sollen 40.000 Beamte ausscheiden, damit der Rest seiner Arbeit entsprechend entlohnt werden kann. Damit würde erstmals ausgesprochen, wie elend der heutige Staatsbeamte bezahlt wird. Man ist in Österreich im allgemeinen bescheiden und freut sich schon, wenn an höchster Stelle die Not einzelner Gruppen bemerkt wird. Diesmal, so scheint es, gibt man sich aber mit guten Ratschlägen nicht mehr zufrieden. Ja, wenn die Not vor ein oder zwei Jahren bemerkt worden wäre, aber — da hatte man keine Zeit.

Beamter zu sein galt bis vor nicht allzu langer Zeit als Ehre. Heute kann man den Beamten schlankwegs als den Idealisten bezeichnen. Nicht nur daß et mit seiner Entlohnung unmöglich auskommen kann, erntet er für seine Tätigkeit meist Undank, Wenn nicht gar Spott.

Ja, es ist bereits so weit, daß fast jeder glaubt, am Beamten sein Mütchen kühlen zu können. Was es allerdings heißt, wenn einmal abwechslungshalber Beamte statt Arbeitern streiken, davon machte man sich erst ein Bild, als in Kärnten — „zur Warnung“ — gestreikt wurde. Was muß in den Köpfen der Streikenden vor sich gegangen sein? Sie, die wissen, daß der Staat durch sie repräsentiert wird, müssen gegen diesen Staat ihre Fördefungen auf das nackte Leben durch Streik durchsetzen. Ist das nicht paradox? Als Idealisten taten die Beamten ihre Pflicht, als 1918 eine Welt zusammengebrochen war. Hungernd und frierend. Für diese Pflichterfüllung wurden Hunderte 1938 ins Elend gestoßen. Gerade diese Menschen aber begannen 1945, effektiv aus dem Nichts, ein Staatswesen aufzubauen. Freilich, es waren ihrer viel zu wenig, und so mußte man auf Männer greifen, die aus der Wirtschaft und von weiß Gott Woher kamen. Sie verstanden oft sehr viel, aber — sie waren keine Beamten. So erstaunlich es klingen mag: auch diese Arbeit muß gelernt sein! Holperhd und stoßend kam der Staatskarren in Gang. Als endlich der Staat Formen angenommen hatte, waren viel zu viel Menschen als Beamte tätig. Heute sind es 265.000. Das aber kann sich Österreich ebensowenig leisten wie die meisten von uns eihe Hausgehilfin.

Die ungeheure Schwierigkeit besteht nun darin, wie man dieses Heer von Beamten vermindert, ohne Tüchtige auszuscheiden, Untüchtige zu behalten und ohne die Zahl der Arbeitslosen zu vergrößern. Welcher Weg auch immer eingeschlagen Werden mag, das Ziel zu erreichen, sicher ist es, daß er sehr lange sein wird. Da aber einmal gespart werden muß, so könnte man in Kleinigkeiten mit dieser Tätigkeit beginnen. Sinnlos ist es, in den Büros durch verminderte Ausgabe von Gesetzblättern an Juristen oder am Schreibmaterial in den Kanzleien Ersparnisse erzielen zu wollen. Fraglich ist es, ob die strenge Einhaltung der Dienstzeit von acht Stunden dem akademischen Beamten eine Leistungssteigerung überhaupt möglich macht, wobei es überflüssig ist, zu sagen, daß ein geistig arbeitender Mensch niemals ununterbrochen acht Stunden arbeiten kann. Bestimmt würde mehr geleistet werden, wenn der Beamte die Möglichkeit hätte, durch Mehrleistung innerhalb einer kürzeren Arbeitszeit sein Privatleben früher beginnen zu können. Außerdem liegt es niemals im Interesse des Staates, weltfremde Beamte an seiner Spitze zu haben, die außer ihrem Schreibtisch nichts mehr kennen. Für die Schulung junger Beamten wurde in den letzten Jahren wenig, fast nichts getan. Not war am Mann gewesen, und junge Juristen wurden von der Schulbank weg in Ministerien einberufen. Soll man ihnen einen Vorwurf machen, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Arbeiten so zu erledigen, wie man es von früher her gewohnt war? Nein, diese Menschen sind nicht besser und schlechter als ihre Vorgänger — vielleicht ernster. Man müßte nur damit beginnen, jüngere Beamte grundsätzlich bei Unterbehörden anfangen zu lassen. Diejenigen aber, die bereits in Ministerien sitzen, sollen dadurch an Erfahrung und Weitblick gewinnen, daß man sie zeitweise zu Unterbehörden delegiert. Gleichzeitig wäre wieder wie einst die Beamtenschaft in Gerichts- und Verwaltungsjuristen zu trennen. Welch Unterschied zwischen solchen liegt, wissen nur wenige. Ein guter Richter ist noch lange kein guter Verwaltungsbeamter und umgekehrt. Am Verwischen dieser beiden Berufszweige trägt jedoch nicht zuletzt die Parteipolitik Schuld. Demokratie ist bestimmt die politische Form unseres Zeitalters. Ob man es allerdings Demokratie nennen kann, wenn politische Parteien in ihrem Interesse mit jedem Mittel bestrebt sind, möglichst viele ihrer Mitglieder auf verantwortungsvolle Posten zu bringen, gleichgültig ob sie dafür geeignet und vorgebildet sind oder nicht, muß bezweifelt werden. Beamte sollten außerhalb des Parteigetriebes stehen. Für sie und ihre Entschlüsse darf nur das Gesetz maßgebend sein. Da Gesetze von den gewählten Volksvertretern beschlossen worden sind, wäre deren Handhabung sodann den Beamten zu überlassen, ohne sie durch politische Interventionen zu beeinflussen. Damit wäre beiden Teilen und am meisten der Bevölkerung gedient. Das Volk und die politischen Parteien wüßten dann, daß ihnen Recht widerfahren müsse, und der Beamte könnte nur für Handlungen verantwortlich gemacht werden, die er im Rahmen dieser Gesetze gesetzt hat.

Alle Fehlerquellen aber haben ihre Ursache in der geringen Bezahlung der Beamtenschaft. Diese entspricht heute nicht einmal 50 Prozent der Kaufkraft des Gehalts aus dem Jahre i93Ö. In welchem Maße aber sind die Preise gestiegen, und was bezieht ein Beamter? Der höchste akademisch geschulte Beamte des Staates, ein Sektionschef, bezieht in der ersten

Gehaltsstufe netto 1670.20 S, Ist er verheiratet und hat für zwei Kinder zu sorgen, so bezieht er 2020.20 S. Der dritthöchste Beamte, ein Sektionsrat, kommt aber als Lediger nur mehr auf netto 1145.20 S, als Verheirateter mit zwei Kindern auf 1446.70 S monatlich. Dagegen kommt ein Fensterputzer auf rund 1600.— S im Monat. Diese Gegenüberstellung erspart jede Debatte. Solche Gehälter müssen den Beamten zwingen, Tag Und Nachf nachzudenken, wie er sich eine kleine Nebeneinnahme schaffen kann; er ist daher für den Staat keine volle Arbeitskraft mehr. Da ihm außerdem täglich die Gehaltsverhältnisse in der Privatwirtschaft vor Augen geführt werden, ist es kein Wunder, wenn Beamte in einigen Fällen auf die schiefe Bahn geraten sind. Gewiß, es dürfte und sollte nicht seih, aber wer wirft auf diese Menschen den ersten Stein?

Den Weg, den der Finanzminister gewiesen hat, und die Verhandlungen, die er augenblicklich wegen der Nachziehung der Beamtengehälter führt, sind hart. Aber das Problem muß gelöst werden, weil, von Moralgrundsätzen abgesehen, es noch immer am billigsten ist, anständige und tüchtige Beamte zu haben, die, frei von parteipolitischen Interventionen,“ nach Recht und Gesetz ihre Pflicht tun. Die Privatwirtschaft aber wird es begrüßen, wenn die Beamtenschaft sich in den Binnenwirtschaftsprozeß wieder als Konsument eingliedert.

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