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Das blaue Signal

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Wenn das blaue Signal aufblinkt, hält die große Stadt den Atem an. Mit einem Schlag ruht der Verkehr, alle Kreuzungen werden frei gemacht, die Straßen stehen offen — denn Gefahr ist in Verzug. Das blaue Licht, vorn auf ihren Bereitschaftswagen, bahnt der Polizei den Weg. Wo es autleuchtet, dort sollte es das Gefühl verbreiten, daß hier Männer für die Sicherheit ihrer Mitmenschen unterwegs sind. Wenn eine rotweißrote Kokarde den Beamten als Polizisten verrät, sollten sich alle einem Freund und Helfer gegenüberwissen. So sollte es sein. So ist es aber zur Zeit nicht...

Das Vertrauen der Bevölkerung der Bundeshauptstadt in die berufenen Hüter des Gesetzes, der Ordnung und der Sicherheit hat neuerdings einen schweren Stoß bekommen. Fälle wurden bekannt und mit Adresse belegt, in denen Beamte der Staatspolizei nicht nur ihre Pflicht verletzt, sondern im Auftrag einer fremden Macht sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben. Einfache Menschen aus dem Volk, kleine Leute — unter ihnen eine Hilfsarbeiterin und eine Hausgehilfin — wurden durch sie einem ungewissen, dunklen Schicksal zugeführt. Man steht fassungslos der Tatsache gegenüber, daß dies durch Männer geschah, die das Recht haben, im Namen der Republik aufzutreten und deren oberste Aufgabe und beschworene Pflicht es ist, Hüter und Wächter der Gemeinschaft zu sein. Nichts verständlicher und berechtigter daher als die Frage, wie dies möglich war, in Wien, dessen Polizei noch vor zwei Jahrzehnten überhaupt als vorbildlich vom Ausland anerkannt und deren Chef — der damalige Polizeipräsident Schober — mit dem Vorsitz auf internationalen Polizeikongressen geehrt war.

Die Erklärung hat ein Kapitel österreichischer Geschichte nach dem zweiten Weltkrieg zum Inhalt. Ohne Leidenschaft, allein geleitet von der publizistischen Verantwortung, wo Lebensinteressen des österreichischen Volkes auf dem Spiele sind, sei dieses Kapitel aufgeschlagen. Die Ereignisse des April 1945 in Wien sind bekannt. Dem gleichen Plan, der dann auch in allen Ländern der Volksdemokratie Anwendung fand, folgte die extreme Linke, in einer Situation, in der die Zusammenarbeit aller Parteien die Losung war, als sie das Ressort des Innern und mit ihm die Kontrolle über die Organe der öffentlichen Sicherheit für sich in Anspruch nahm. Man vertraute sie ihr an. Sie dankte dies damit, daß durch sie nicht nur ihre Gesinnungsgenossen, sondern oft auch kriminelle Elemente in jenen Wochen und Monaten vor sechs Jahren Einzug in die Polizei-sluben und Kommissariate halten konnten. Vor allem Schlüsselpositionen, die früher nur von in langen Dienstjahren erprobten Fachleuten verwaltet wurden, kamen in die Hände von berufs- und sogar landfremden, nur durch ein bestimmtes Parteibuch ausgewiesenen Leuten.

Die Novemberwahlen 1945 machten diesem Spuk — nach außen hin — ein Ende. Entgegen allen Erwartungen übergab der kommunistische Staatssekretär ohne Zögern und Widerstand seine Geschäfte. Er konnte ruhig gehen. Seine Saat reifte im Verborgenen weiter. Die Elemente, die er in den Sicherheitsdienst hineingepumpt hatte, blieben zurück. Während die österreichische Gendarmerie und Zollwache, geführt von Männern, die bewährt in bitterer Heimsuchung, in Verfolgung und den Lagern der Diktatur, zu sicheren Garanten der staatlichen Ordnung wurden, hielt die Reorganisation der Polizei mit dieser Entwicklung nicht Schritt. Zu groß waren die schwachen Stellen im Gefüge ihres Aufbaus, zu zahlreich die unsicheren Kantonisten in ihren Reihen, zu wenig konsequent aber auch das Konzept, nach dem eine Neuordnung versucht wurde. Maßnahmen, geführt unter dem Schlagwort von der „freien Bahn für die Menschen der arbeitenden Klasse“ und einer „volksverbundenen Polizei“ — wäre sie es doch! — nützten nur jenen, die gerade die arbeitende Bevölkerung schon lange als ihre Feinde erkannt hat. Das Ergebnis: eine große, äußerst freizügige Pragmati-sierungsaktion. Sie spielte die Beamtendekrete denen in die Hände, die sie noch so oft und schwer mißbrauchen sollten. Hier liegt ein entscheidender Fehler, den vermieden zu haben, viel späteres Unheil erspart hätte. Aber so waren aus den Polizisten der Ära Honner, aus den selbsternannten „Bezirkspräfekten“ Polizeikommissare, Polizeioberkommissare und Hofräte geworden — österreichische Staatsbeamte, pragmatisiert, unkündbar! Daß der Übergabe der Beamtendekrete in manchen Fällen kurz zuvor erst die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorausgegangen war, ist unverständlich, aber nun einmal geschehen. Wenn Namen genannt werden sollen, dann der des kommunistischen Vertrauensmannes in der Exekutive, Fels-Margulies. Dieser ist nur ein Beispiel. Die Liste könnte fortgesetzt werden.

Die gemachten Fehler rächten sich schwer, sie wurden deutlich sichtbar im Oktober des vergangenen Jahres, währen der kommunistischen Streikwelle. Damals zeigte sich, wo sich der Verrat eingenistet hatte. Wer aber für die Argumente des Stimmzettels besser zugänglich ist, dem mußten die Augen aufgehen bei den letzten Gewerkschaftswahlen der Angestellten des öffentlichen Dienstes. Von 907 Kriminalbeamten stimmten in Wien 317 für die kommunistische Liste. Also jeder dritte ein Kommunist. Wer wundert sich da noch über die Taten der Kriminalbeamten Miroslaw Cmejrek und Kaiman Csernak ...

So liegen die Dinge in einer der wichtigsten Einrichtungen der staatlichen Ordnung und Sicherheit. Sie können nicht allein durch höhere Gewalt erklärt werden. Das österreichische Volk hat genügend Einsicht dafür, wie weit — oder wie wenig weit — der österreichische Einfluß heute reicht, wo er seine Grenze findet. Es ist diesem Volk in sechs Jahren auch nicht entgangen, daß sein Land besetzt und seine Souveränität beschränkt ist. Es kennt die harten Verpflichtungen, die die alliierte Vormundschaft mit sich bringt. Aber es ist nicht so, daß wir in unserem eigenen Haus und mit. eigenen Kräften gar nichts tun können, nicht entschlossener auch mit Berufung auf das Kontrollabkommen handeln könnten, um endlich auszufegen, die begangenen Versäumnisse gutzumachen und gefährliche Überbleibsel zu beseitigen. Es ist höchste Zeit.

Das blaue Signal ist ein Zeichen, das von allen Straßenbenützern Aufmerksamkeit verlangt. Das Signal, das in diesen Wochen gegeben wurde, ist mehr als ein Anruf, es ist ein Warnungssignal: Achtet mehr auf die Sicherheitseinrichtungen des Staates; sie sind in Gefahr, in das Gegenteil ihrer Aufgaben verkehrt zu werden.

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