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Das „Bündnis für den Fortschritt“

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Immer noch wird an der plötzlichen Abdankung des brasilianischen Präsidenten Janio Quadros herum- gerätselt. Auf dem kleinen Platz vor der Kaffeebörse in Sao Paulo wächst kein Gras, trotzdem kann man dort das Gras wachsen hören. Und dort hörte der Korrespondent dieses Blattes die plausibelste Erklärung: Janios Besen blieb im Dreck stecken, weil sich die Liberalen, die seit dem Sturz des Kaisers Pedro, im Jahre 1889, die geheimen Fäden der Politik in ihren Fingern haben, bedroht sahen.

Diese illuminierten Großmeister haben außer ihren Riten auch einige Prinzipien. Für Abendländer brauchen sie nicht nähdi 1 efßfptert Werden. Janios Betonung einer .„zutiefst christlichen“ Politik ging ihnen erst dann auf die liberalen Nerven, als er die Freiheit der Presse, des Fernsehens, Kinos, Theaters einschränkte, ja selbst für die Maillots (Badeanzüge) Vorschriften erließ. Wäre Quadros ihrem Haupte entsprungen, hätten sie auch diesen Kreuzzug toleriert, aber ihre aufgeklärte Toleranz ist eng abgesteckt, darin sehr ähnlich dem verhaßten „Caudilismo“. Sie kündigten dem orthodoxen Präsidenten den Kampf an. Unter dem Trommelfeuer ihrer großen Presse zerriß Janio Quadros die Präsidentenschärpe. Mit Goulart, dem Vizepräsidenten auf dem Präsidentenstuhl, Moskaus hoffnungsvollem Genossen, nahm er an ihnen Rache. An diesem Tage, am 25. August, erloschen die Lichter im Menschheitstempel der alten Herren Brasiliens.

Janios Rechnung ging jedoch nicht auf. Die durch den Streich lanios geschlagenen Regierungsparteien und das Heer ließen zwar angesichts eines in Marsch gesetzten Bürgerkrieges Goulart, wie es die Verfassung vorschreibt, nach Brasilia, doch nicht, ohne ihm die Schwungfedern durch die Einführung des Parlamentarismus zu stutzen. In der neuen Regierung sind auch die Parteien Janio Quadros’, die konservative Nationaldemokratische Union und die Christlichdemokratische Partei, vertreten. Der aalglatte Goulart beginnt bereits das Parlament zu überspielen mit dem Ziele, den von Quadros angeschlagenen Ostkurs bis nach Peking zu verlängern und unter irgendeiner juristischen Formel Pankow einzubeziehen.

Der rote Faden

Das von 18 lateinamerikanischen Staaten Unterzeichnete „Bündnis für den Fortschritt“ von Punta del Este macht der Regierung kein Kopfzerbrechen. Die Allianz für den sozialistischen Fortschritt ist älter. Vor Jahren schon wurde in Itamarati, dem an der Meeresbucht von Rio gelegenen „Auswärtigen Amt“, der rote Faden gesponnen. Heute noch wenigen bekannt, wurde vor drei Jahren ein Geheimdokument von dort herumgereicht. Angeblich lag diese Botschaft auf dem Verhandlungstisch der „Operation Amerika“ in Washington, Juli 1958. Der damalige Präsident Kubi-

tschek ließ darin den Amerikanern sagen: Brasilien wird sich dem östlichen Wirtschaftsblock anschließen, falls Washington nicht sofort mit einem umfassenden Hilfsprogramm herausrücke. (Zu bemerken: Brasilia, die Hauptstadt aus der Retorte, brachte das Land hart an den Rand des Staatsbankrotts.)

Man höre und staune: ..Großartiger als der Aufschwung des freien Europas selbst ist das Hochkommen des kommunistischen Ostens, vorab der Sowjetunion. Sie wird gar bald die amerikanische Wirtschaftsmacht überschatten und mit sichtbar umfangreicheren Hilfsmitteln den unterentwickelten Zonen unter die Arme’ greifen als das Nordamerikanern und Westeuropäern möglich ist, wie auch das Beispiel Rotchinas an den Tag legt.“ In diesem Stil ist die wegen ihrer Naivität als Magna zu belobigende Charta verfaßt — die Basis der heutigen brasilianischen Außenpolitik.

Der spanische Schriftsteller und Diplomat Salvador de Madariaga hat vor einiger Zeit ausgesprochen, was in der freien Welt nirgends zu lesen war: die lateinamerikanischen Völker sind versklavt („Neue Zürcher Zeitung").

Mit der interamerikanischen Wirtschaftskonferenz von Punta del Este hat aber eine neue Zeit begonnen. Es war der Präsident Kennedy, welcher der „zweiten amerikanischen Revolution“, wie Perus Ministerpräsident Pedro Beltran das Abkommen genannt hat, die großen Impulse verlieh. Es kam Goulart höchst ungelegen. Seine Stimme wird stockend, wenn er die

Allianz erwähnen muß. Er gleitet darüber hinweg wie ein Schlittschuhläufer über dünnes Eis. Er ist entwaffnet. Bis jetzt war Lateinamerika für Onkel Sam nur der Hinterhof, gleich den Elendsvierteln in New York und London. Wer durch diese Löcher und Gassen wandert, macht sich schmutzig, er kann sogar dabei einige Zähne und die Börse verlieren. Die Amerikaner kümmerten sich nur um die Rohstoffe, um Geschäfte. Sie bezahlten gut. Aber wie alle Ausländer, sie wollten mit den Menschen nichts zu tun haben. Der ganze Kontinent wird von Wall Street kontrolliert. An diesen Zuständen entzündete sich die Seele aller vaterlandsliebenden Lateinamerikaner. Auf diese® HinterEöf des Elends gediehen die Empörer. Auch Goulart. Er ist kein Kommunist, aber ein Bewunderer Fidel Castros.

Kennedy hat ihm und tausend anderen Feinden des „Dollarimperialismus“ das Konzept verdorben. Er hat kein gutes Gewissen, wenn er, einem veralteten Fahrplan folgend, in den Zug nach dem Fernen Osten einsteigt. Die Brasilianer hätten in Punta del Este die Unterschrift verweigern müssen. Der Hilfsplan, der das wirtschaftliche Wachstum Lateinamerikas beschleunigen soll, sieht dafür 20 Milliarden Dollar vor, darunter auch eine Anleihe der Bundesrepublik Deutschland. Das Hauptziel ist gerechtere Verteilung des Volkseinkommens, Bekämpfung des Analphabetentums, Reform der höheren Schulen, Agrarreform, Trinkwasserversorgung, Hygiene. Wohnungsbau.

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