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Das Dach unseres Domes

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Seit ungefähr acht Wochen, seit Mitte Juli, arbeiten 60 Dachdecker auf dem Dach von St. Stephan in schwindelnder Höhe, wahrhaftig zwischen Himmel und Erde, mit Liebe und Begeisterung für das große Werk, und wenn das bisherige Zeitmaß eingehalten werden kann, besteht die Hoffnung, daß bis Mitte November die schwierige Arbeit abgeschlossen ist. Freilich müssen die Arbeiten in einem Zuge ausgeführt werden, denn jede Unterbrechung birgt die Gefahr, daß durch Stürme die schon eingedeckten Teile aufgerissen werden und die ganze geleistete Arbeit vergebens war.

Die Vorarbeiten wurden bald nach der Katastrophe mit der Suche nach einer geeigneten Erzeugungsstätte der Dachziegel begonnen. Die Ziegel waren seit jeher, wahrscheinlich seit dem 15. Jahrhundert, von Unter-Themenau an der niederösterreichisch - mährischen Grenze, heute in der Tschechoslowakei, bezogen worden, weil dort ein Rohmaterial zur Verfügung stand, das in dieser Beschaffenheit nirgends in Österreich vorkommt. Außerdem waren die großen heimischen Ziegelwerke, besonders in Wien die Wienerberger, durch Kriegseinwirkungen so in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, daß sie für den großen Umfang des Auftrages, 250.000 Stück, nicht in Betracht kamen. Dazu kommt noch, daß die erforderlichen Glasurfarben und die Herstellung der Glasuren damals nur in der Tschechoslowakei möglich waren. Die finanziellen Verhandlungen wegen der Bereitstellung von Kompensationen und Devisen erforderten trotz der größten Bereitwilligkeit aller in Betracht kommenden staatlichen Stellen mehr als ein Jahr, und ehe die Erzeugung anlaufen konnte, vergingen weitere zwei Jahre für die Vornahme von Material- und Glasurproben, die von den österreichischen und tschechoslowakischen staatlichen Versuchsanstalten immer wieder eingehend geprüft wurden. Erst nach all diesen Vorarbeiten, die zahlreiche, nicht immer leichte Reisen in das Nachbarland erforderten, als eine genügende Menge Ziegel zum Abtransport bereitstand und als durch die Miilionenspende der Gemeinde Wien und durch den Ertrag von einer Million des Augartenfestes am 17. Juni dieses Jahres die erforderlichen Kosten sichergestellt waren, konnte an den Beginn der Eindeckung gedacht Werden. Die Innungsmeister, vor allem von Wien und Niederösterreich, stellten sich mit selbstloser Aufopferung zur Verfügung, und Arbeitsgemeinschaften aus beiden Bundesländern übernahmen die Durchführung des großen, seit Jahrhunderten größten Werkes der Dachdeckerkunst, denn die Ausführung stellt nicht nur wegen der Größe der Aufgabe, sondern auch wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten die größten Anforderungen an die Meister und alle damit verbundenen Beschäftigten, die vielfach aus Begeisterung für die einmalige Aufgabe ihre Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung stellten. Die Ausführung erfolgt nach genauen Plänen, in denen jeder einzelne Ziegel in seiner Lage und Farbe verzeichnet ist, so daß eine möglichst getreue Wiederherstellung der Dachdeckung gewährleistet ist.

Als Vorbild dienten zeichnerische und photographische Aufnahmen des alten Daches. Schon in den ältesten Darstellungen des Domes auf den Bildern im Schottenstifte, etwa aus der Zeit von 1469, und auf dem Babenbergerstamm-baum in Klosterneuburg von 1482 ist das farbige Zickzackornament des Daches zu ersehen. Die Dächer des Chores im Osten des Domes erhielten erst im Jahre 1831 gelegentlich einer Umdeckung, die wahrscheinlich durch die Beschädigungen, die während der Franzosenkriege verursacht worden waren, auf der Nordseite die große Jahreszahl 1831 mit dem Doppelkreuz der Erzdiözese und auf der Südseite eine große Darstellung des Doppeladlers mit dem Monogramm F I, Franz des Ersten. Die damalige Restaurierung wurde von dem kaiserlichen Hofarchitekten Johann Aman geleitet, und die Kosten wurden von der Regierung getragen, so daß das damalige Staatswappen als historisches Dokument angebracht wurde. Als im Jahre 1938 unter der Leitung des derzeitigen Dombaumeisters eine Umdeckung notwendig geworden war, wurden sowohl die Jahreszahl als auch der Doppeladler unver-

ändert beibehalten, trotz mancher Beanstandungen im Hinblick auf die neue Regierungstorm.

Als die Stadt Wien durch ihre große Spende die Weiterführung der Arbeiten ermöglichte, hielt die kirchliche Bauherrschaft es gerechtfertigt,- die Tatsache durch die Anbringung des Wappens der Stadt Wien, das auf der Nordseite neben dem Wappen der Erzdiözese unter Weglassung der Jahreszahl 1831 seinen Platz erhalten soll, festzulegen. Es lag nahe, daß, symmetrisch zu der Nordseite des Chores, auch an der Südseite zwei Wappen angebracht werden, der alte Doppeladler von 1831 aus der Zeit Franz I. und das derzeitige Bundeswappen aus der Zeit der größten Zerstörung und der umfangreichsten Wiederherstellung. Beide Wappen sind Dokumente historischer Treue, und wenn das alte Wappenbild auch nicht mehr so groß sein kann wie früher, so ist es doch immer noch beinahe 13 Meter hoch und 9 Meter breit und von weither sichtbar. •

Noch ein Wort über das neue Aussehen der glasierten Ziegel. Die Farben sind nach den alten Resten und nach vielen Proben ganz getreu hergestellt worden, und die kleinen Haarrisse und Unregelmäßigkeiten der Oberfläche werden im Verein mit dem Ruß und Staub der Großstadt dafür sorgen, daß sich eine neue Patina bilden wird. Auch die alten Ziegel waren längst nicht mehr aus dem 15. Jahrhundert, sondern sind ständig bei Ausbesserungen und Umdeckungen ausgewechselt worden. Auf dem Dachboden des Domes lagen stets größere Stapel neuer Ziegel für diese Arbeiten bereit.

Die größte Sorge des Wiederaufbaues ist es, daß es gelingt, die Eindeckung ohne Behinderungen und Verzögerungen vor Eintritt des Winters zum Abschluß zu bringen.

Dieses Ziel verfolgen alle Beteiligten mit größtem Verantwortungsgefühl, und wir hoffen und bitten, daß wir, wie bisher, vom Vertrauen aller Gutgesinnten, denen die Wiederherstellung des Domes eine Herzensangelegenheit ist, unterstützt werden.

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