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Das Denkmal der Einsamen

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Vor kurzer Zeit wurde am ehemaligen Prager Wohnhaus des tschechoslowakischen Generals Eliasch eine schlichte Gedenktafel enthüllt, eine Erinnerung an die Vorübergehenden, daß dieser Soldat sein Leben für die Freiheit des tschechischen Volkes dahingab. General Eliasch war bis zum Jahre 1941 Vorsitzender der tschechischen Protektoratsregierung. Im Frühherbst dieses Jahres wurde er von den Deutschen verhaftet und wegen „Hochverrat“ gegen das Dritte Reich zum Tode verurteilt; das Urteil wurde nach dem Attentat auf Heydrich im Juni 1942 vollstreckt. Es hat seine besondere Bedeutung, daß erst jetzt — zwei Jahre nach dem Wiedererstehen der freien tschechischen Republik — des Todes dieses Mannes öffentlich gedacht werden konnte. Die Tafel bedeutet die Korrektur eines bisherigen Irrtums Nach der Wiedererlangung der Freiheit im Jahre 1945 erschien alles verhaßt, was mit den Deutschen irgendwie im Zusammenhang stand. Daran hatten auch alle mitzutragen, die an der sogenann ten Protektoratspolitik beteiligt waren und nun den Schimpf empfingen, als „Quis-linge“ und Kollaboranten angesehen und behandelt zu werden. So auch der von den Deutschen hingerichtete General Eliasch. Die Abneigung gegen alle Männer des „Protektorats“ ging so weit, daß sich 1946 der Betriebsrat des tschechoslowakischen Verkehrsministeriums weigerte, den Namen dieses Generals, der in der sogenannten zweiten tschechischen Republik Vorstand dieses Ministeriums gewesen war, auf die Tafel der Gefallenen zu setzen; er sei als Protektoratsminister ein Verräter gewesen, der vpn Rechts wegen vor das Gericht gehört habe.

Anläßlich der Enthüllung der Gedenktafel wurden zum erstenmal in der tsche chischen Öffentlichkeit Urteile laut — am vernehmlichsten die beherzte Stimme Ferdinand Peroutkas im „Dnesek“ —, die den tschechischen Persönlichkeiten des „Protektorats“ Rechtfertigung zuteil werden ließen. Es vollzieht sich im Denken des Volkes langsam eine Wendung; sie wird einst darin enden, daß jene Politik als eine der großen, denkwürdigen Leistungen angesehen werden wird. Die Männer, die diese Politik trugen, haben sich für eine' Rolle geopfert, die zunächst mit bitterster Verkennung belohnt werden mußte; sie nahmen Schande auf sich, um ihr Volk zu retten.

Der tschechische Staat, der eine unabhängige Politik hätte treiben können, war schon jn der Konferenz von München 1938 zugrunde gegangen. Der einzige Sinn der

zweiten Republik war nur mehr, eine möglichst große Autonomie innerhalb des um-'.'ammernden Dritten Reiches zu bewahren. Als in den Märztagen 1939 auch diese Möglichkeit schwand, gab es nur mehr einen Weg: mit dem Rest selbständiger Verwaltung, der noch geblieben war, ein Maximum an Schutz für das tschechische Leben herauszuholen. Vieles war Attrappe, aber es war doch noch Leben darunter, so unter den Ministerien mit deutschen Sektions-diefs und tschechischen Ministern. Die unteren Beamten waren Tschechen und die I Jitlerleu'te hatten die Zähigkeit und Intelligenz der Tschechen unterschätzt.

Es gab eine eigene Finanzverwaltung und damit die Möglichkeit, viel tschechisches Eigentum zu retten. Es gab eine eigene Polizei und Gendarmerie, die doch gegen Tschechen niemals so vorging, wie die Polizei der Gestapo es getan hätte; es gab eine eigene Gerirhtsorganisation, und wenn ihr auch viele Fälle entzogen waren — alle Streitfragen zwischen Tschechen und Deutschen, alle Vergehen gegen das „Reich“ —, so war es doch ein unschätzbarer Vorteil, daß viele tschechische Zivil-und Strafsachen von Tschechen verhandelt wurden. Es gelang, die Schulverwaltung aufrechtzuerhalten. Wenn auch die Hochschulen geschlossen wurden, so blieben doch die Volks-, Bürger-, Gewerbe- und ein großer Teil der Mittelschulen. Man muß immer wieder das Schicksal Polens, das von alldem nichts besaß, vor Augen haben, um die Leistung der Männer des Protektorats zu erkennen. Es blieb dem tschechischen Volk erspart — zum Unterschied von den Slowaken und Kroaten —, als Soldaten für das Dritte Reich kämpfen zu müssen, und ihm blieben durch dieses Spiel die furchtbaren Blutopfer erspart, die Polen und Serben in offenem Kampfe bringen mußten, Blutopfer, die, nach Millionen zählend, für die Zahl des tschechischen Volkes fast tödlich gewesen wären.

Aber die Demütigung der Fremdherrschaft lastete zu sehr auf diesem Volke. Es vermochte nicht zu erkennen, was in dieser verzweifelten Lage der klügste Ausweg war. In der furchtbaren Nacht, da sozusagen die letzten Reste der tschechischen Staatlichkeit liquidiert wurden, fiel das historische Wort des Präsidenten Hacha in der Berliner Reichskanzlei: „Ich opfere mich; wenn schon nicht de.- tschechische Staat gerettet werden kann, so soll wenigstens das tschechische Volk gerettet werden.“ Hacha und seine nächsten Mitarbeiter waren sich im klaren, daß sie von ihrem Volke mißverstanden werden würden. Im vertrauten Kreis sagte einmal Hacha, entweder werde er von den Deutschen oder von den Tschechen erschossen werden. Im großen Prozeß gegen die Protektoratsregierung, der im vorigen Jahre abrollte, wurde dem damals schon gestorbenen Dr. Hacha von Dr. Drabek, dem Ankläger, der Vorwurf gemacht, er hätte in jener Nacht in Berlin das Ultimatum Hitlers nicht annehmen, sondern den Befehl zum Widerstand geben sollen. Die Österreicher kennen diese Situation. Die Vernichtung der weitaus unterlegenen, von vier Seiten her umklammerten Armee wäre das rasche Ende gewesen. Göring ließ damals in der Reichskanzlei keinen Zweifel übrig: Wenn Hacha das Ultimatum nicht annehme, werde Prag am nächsten Tag von der deutschen Luftwaffe in einen Trümmerhaufen verwandelt werden. Man hat die Reden der Protektoratsminister, in denen von Zusammengehen mit Berlin die Sprache war, die Ergebenheitstelegramme an den „Führer“ als Beweis ihres Hochverrates angesehen, auch seitens der Exilregierung. Aber London und Prag waren in Kriegszeiten weit voneinander entfernt. Das Dasein dieser Auslandsregierung war für das tschechische Volk von unschätzbarem Vorteil. Die Männer in London konnten sich nicht leicht mit ganzer Klarheit die Lage in Prag vorstellen. In Prag war sozusagen die Front, der Terror, die Gestapo, die Männer des „Protektorats“ sehen sich den KZ gegenüber, die ihre Handlungen bestimmten. Und die Lage der Männer in Prag wurde von Jahr zu Jahr schwerer, der Terror größer. Die Regierung Dr. Krejpjs, des Nachfolgers Eliaschs. hatte einen schwierigeren Stand als die dieses Generals. Eliasch hatte Neurath, mit dem man gelegentlich noch reden konnte, und Frank neben sich, und vor allem keinen tschechischen Quisling innerhalb der Regierung. Cfh v a 1 k o v s k y, der Außenminister in der zweiten Republik gewesen war, wäre vielleicht so etwas gewesen, aber sein Einfluß war durch die Abschiebung auf den Posten des Protektoratsgesandten in Berlin stark gemindert. Die Regierung Krejci hatte Heydrich und dessen gleichwertige Nachfolger nebst Frank über sich und einen tschechischen Quisling innerhalb der Regierung, Emanuel M o r a v e c, einen ehemaligen Oberst des tschechoslowakischen Generalstabes. Aber er war der einzige. Was ihn dazu bewog, ihn, den früheren Anhänger der Entente, ist bis heute nicht geklärt. Wahrscheinlich ging er zu den Deutschen über, weil er moralisch an der Erfahrung zerbrach, daß die Westmächte Prag aufgegeben hatten.Angesichts dieser Lage versteht man 31e Reden der Protektoratsminister. Oft genug kam sie das Verlangen n, zu demissionieren; Eliasch wollte' schon Anfang 1941 gehen, er blieb auf ausdrücklichen Wunsch Hachas, obwohl, wie er selbst sagte, dies seinen Tod bedeute. Hacha wollte nach der Verhaftung Eliaschs abdanken, aber er blieb schließlich auf Bitten der tschechischen Minister. Und Krejci konnte gir nicht mehr abdanken, wollte er nicht, daß der „Quisling“ Moravec sein Nachfolger würde.

Als 1946 der große Prozeß gegen die Mitglieder der Protektoratsregierung ablief, waren die wichtigsten Akteure nicht mehr am Leben. Moravec hatte sich erschossen, Chvalkovsky war bei einem Fliegerangriff in Berlin getötet worden, Eliasch hatten die Deutschen erschossen, Hacha war in den Tagen des Umsturzes gestorben. Sein Tod war für die überlebenden Mitglieder der Protektoratsregierung besonders tragisch. Hätte Hacha noch gelebt, wäre wahrscheinlich in den meisten Fällen das Urteil gegen die Protektoratsregierung günstiger ausgefallen. Denn Hacha hätte für viele Handlungen seiner Minister die Verantwortung übernommen, und er war ja für viele tatsächlich verantwortlich. Und Hacha hätte nicht verurteilt werden können. Denn der Präsident der tschechoslowakischen Republik besitzt eine Art

„Privilegium fori“. Er kann nur wegen eines einzigen Delikts angeklagt werden, nämlich wegen Hochverrat. Sein Gericht ist das tschechoslowakische Parlament in gemeinsamer Sitzung beider Häuser. Seine einzige Strafe kann nur bestehen im Veflust des Präsidentenamtes. Es ist über alle Zweifel erhaben, daß Hacha legaler Präsident war. Noch der Ankläger im Protektoratsprozeß, Dr, Drabek, anerkannte seine Legalität. Er hätte also nur wegen Hochverrats angeklagt und verurteilt werden können. Und seine Strafe hätte in nichts anderem bestanden, als in der Aberkennung seiner Präsidentenwürde. Wenn der Hauptakteur praktisch nicht bestraft hätte . werden können, dann hätte die übrigen Akteure, soweit sie bona fide waren, kaum eine große Strafe treffen können.

Als im Jahre 929 Boleslaus seinen Bruder, den Herzog Wenzel erschlug, weil er sein Land unter das deutsche „Protektorat“ gebracht hatte, war die Stimmung der Großen des Landes sicher für den Mörder. Die Nachwelt hat erkannt, daß diese Tat des großen Herzogs dem tschechischen Volk das Schicksal der Elbslawen — nämlich von der Erdoberfläche zu verschwinden — erspart hatte. Tausend J;ihr= später erlebte Böhmen seltsam ähnliche Verkettungen.

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