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Das Ergebnis der Pariser Konferenz

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Paris, Ende September 1947 In der yorigen Woche haben die Außenminister und die politischen Vertreter der 16 europäischen Regierungen den Bericht unterzeichnet, der auf Grund der Rede Staatssekretär M a r s h a 11 s in schwierigen Verhandlungen in Paris ausgearbeitet wurde.

Die Höhe der Unterstützung, welche die europäischen Regierungen laufend bis zum Jahre 1951 benötigen, um die Folgen der derzeitigen wirtschaftlichen Entkräftung zu überwinden, beträgt auf Grund der letzten Korrekturen etwa 23 Milliarden Dollar. Die Leistung, die mit dieser Arbeit vollbracht wurde, muß als erster Erfolg intereuropäischer Zusammenarbeit anerkannt werden. Die weiteren Verhandlungen, die sich mit der Herstellung eines freieren europäischen Zahlungsverkehrs sowie einer Zollunion befassen sollen, berechtigen, zur Hoffnung, daß das Denken in wirtschaftlichen Großräumen die Nationalstaaten Europas in den nächsten Jahren stärker als bisher beschäftigen wird. Vielen gibt das amerikanische Argument zu denken, daß es nicht möglich sein wird, in den nächsten Jahren die hohen Zollschranken der europäischen Kleinstaaten aufrechtzuerhalten, die durch wirtschaftspolitische Instrumente, wie Devisenkontrolle und Importquoten, verstärkt werden. Es scheint kaum zweckmäßig zu sein, durch Errichtung neuer Handelsschranken, Industrien, die im Kriege beschädigt wurden, wiederaufzubauen, deren Rentabilität bei Verminderung eines starken handelspolitischen Schutzes in einem europäischen Großraum nicht aufrechterhalten werden kann.

Die Schwierigkeiten, die sich den in Paris tagenden Kommissionen bei Aufstellung des Planes entgegengestellt haben, waren nicht gering. Vor allem mußten die Ideengänge der Vertreter amerikanischer Behörden berücksichtigt werden. 2 9,2 Milliarden Dollar betrug die Summe, die von den 16 europäischen Regierungen angegeben wurde, als Mindestmaß einer finanziellen Unterstützung, die Europa zum Erreichen einer wirtschaftlichen Stabilität und einer finanztechnischen Flüssigkeit im Jahre 1951 benötige. Wenn diese 29,2 Milliarden Dollar jedoch als Einkaufsliste zusammengestellt wurden auf

Grund übertriebener Schätzungen der Bedürfnisse der 16 Nationen, dann wird der amerikanische Kongreß bei seinen weiteren Überlegungen zwar politische Momente im Zusammenhang mit seiner Europapolitik beachten, den endgültigen Bericht der Pariser Kommissionen jedoch nicht berücksichtigen. Die amerikanische Regierung hat Anfang September 1947 festgestellt, daß die Ergebnisse der Pariser Konferenz für den amerikanischen Standpunkt unbefriedigend seien und von Grund auf geändert werden müßten.

Nach den bisherigen Meldungen ist der größte Posten in derBedürfni-liste der 16 Nationen-Getreide. Frankreich' ist einer der Hauptbedarfsträger der amerikanischen Dollaranleihe, und Frankreichs größte Anforderung ist Weizen. W. C 1 a y t o n vom amerikanischen Außenamt erschien in Europa und erinnerte die in Paris tätigen Additionsgruppen der 16 Nationen, daß das mit Weizen bebaute Flächenmaß Frankreichs im Jahre 1947 um 30 Prozent geringer sei als im Jahre 1939. Französische Bauern benützen ehemalige Getreidefelder als Weideland, wo — nach amerikanischer Auffassung — Butter gewinnbringend für den Schwarzen Markt erzeugt wird. Der geldspendende amerikanische Kongreß will seinen Wählern berichten können, daß in diesem Falle Frankreich alle Anstrengungen macht, den Getreideanbau auf die Stufe von 1939 emporzuheben, ehe weitere Getreidemengen von den Vereinigten Staaten finanziert und bereitgestellt werden. Ähnliche Überprüfungen sollen in allen Wirtschaftszweigen stattfinden, in denen Rohmaterialien von Europa angefordert werden. Der Glaube an die Tradition des Abendlandes zwingt uns, zu hoffen, daß die europäischen Staaten in allen diesen Fragen einen gemeinsamen Plan freiwillig koordinieren, ehe die Vereinigten StaaTen eine auch für sie zwingende 'wirtschaftliche Lage zu vielen Einzelinterventionen im europäischen Wirt-schaftsgefüge benützen können.

Dies ist zugegebenermaßen nicht einfach. Französische Wirtschaftsfachleute antworteten Mr. Clayton auf seine getreidetechnischen Ratschläge, daß kommunistische Zwangsmethoden nötig seien, um dem französischen Bauern anzuordnen, was er mit seinem Gut anfangen solle. Außerdem benötige Frankreich die von Amerika im Marshall-Plan angeforderten Traktoren, ehe mehr Getreide angebaut werden könne.

Die amerikanischen Spezialisten schütteln bei den Anforderungen Englands solange voller Zweifel den Kopf, als sie in den Zeitungen von tagelangen Verhandlungen lesen, in denen englische Bergarbeiter gebeten werden, doch einige Stunden länger Kohle zu fördern. Diese und ähnliche Bedenken vernahm Sir Oliver Franks, •der britische Vorsitzende des Pariser Koordinationsausschusses, als er nach Genf zu Mr. Clayton gerufen wurde. Sir Oliver begab sich wieder nach Paris und berichtete seinen Mitarbeitern, daß der 29,2-Milliar-den-Anspruch der Pariser Konferenz nicht Aussicht habe, vom Kongreß erfüllt zu werden. Die Experten in Paris begannen hierauf ihre Scheren zu schleifen, und der europäische Minimalbedarf wurde erheblich beschnitten. Nil novi sub sole — auf internationaler Ebene sahen unsere erstaunten Augen ein Verfahren, das von österreichischen Bewirtschaftungsbehörden häufig in den letzten zwei Jahren praktiziert wurde, wenn einer geringen Holzaufbringung oder einer ungenügenden Eisenerzeugung astronomische Bedarfszahlen gegenüberstanden. In kürzester Zeit wurden die Anforderungen der 16 Nationen auf etwa 20 Milliarden ermäßigt. Folgende Methoden wurden dabei angewendet:

1. Der Vierteljahresbedarf der 16 Nationen an Lebensmittelimporten, der 95 Prozent des Totalbedarfes ausmacht, wurde um etwa 3 Milliarden gekürzt.

2. In einer bewegten Diskussion rang sich die Konferenz in Paris über Nacht zur Erkenntnis durch, daß Exporte der 16 Nationen bis 1951 mit Nationen, die außerhalb des Konferenzrahmens stehen, um 2 Milliarden gehoben werden könnten.

3. Auf Grund verschiedener Andeutungen der Spezialisten vom State departement wurden alle Anforderungen von Maschinen und Kapitalgütern vom Marshall-Plan gestrichen, die Wunschliste damit um weitere 1,5 Milliarden gekürzt. Die Bank von B r e 11 o n Woods soll auf Grund der neuesten Entwicklung die Finanzierung des Hinfuhrbedarfes der 16 Nationen auf den Sektoren EisenhOtten und Walzwerke, elektri-scheGeräte und Bergausrüstungen, Handelsschiffe und Kapitalinvestitionen für Ölraffinerien übernehmen.

4. Die 16 Hungerkünstler mußten sich entschließen, eine weitere halbe Milliarde Güter nicht von dem .Erbonkel Marshall anzufordern, sondern in anderen Ländern der Welt ihre eigenen Handelsbeziehungen auszunützen.

5. Der Bedarf an landwirtschaftlichen Geräten wurde um etwa 200 Millionen Dollar gekürzt.

Sechzehn hochwertige Fachleute sollen von England und Frankreich auf dem Sektor Außenhandel zur Pariser Tagung entsendet worden sein. Diese haben entdeckt, daß die Zahlungsbilanz der 16 europäischen Länder im Jahre 1951 noc himmer ein jährliches Defizit von 5,8 Milliarden Dollar aufweisen würde. Da die Hoffnungen des amerikanischen Kongresses auf prompte Rückzahlung Europas im Jahre 1951 bei klarer Beleuchtung dieser Tatsache sinken würde, mußten, zufolge von Weisungen Mr Claytons die außenhandelstechnischen Prophezeiungen für west-und mitteleuropäische Defizite im Jahre 1951 auf 3,2 Milliarden vermindert werden.

Mit Bleistift und Papier wurde innerhalb weniger Tage die Wirtschaftslage

Europas in den nächsten vier Jahren um ein weiteres erheblich verbessert. Nachdem alle Akteure — durch Mr. Clayton belehrt — erkannt hatten, daß das Kind Europa im Sonntagsanzug vor den Kongreß treten müßte, stellte man weiter über Nacht fest, daß der Getreidepreis bis zum Jahre 1951 um etwa ein Drittel fallen würde. Diese optimistische Prophezeiung würde das obenerwähnte Defizit der 16 Nationen im Jahre 1951 auf 2,8 Milliarden Dollar vermindern.

In England stehen 'Wirtschaftsfachleute auf dem Standpunkt, daß Washington allein die Verantwortung tragen muß, wenn die an und für sich wertvollen Ergebnisse der Pariser Konferenz auf Grund freundschaftlicher Ratschläge von Mr. Clayton und seiner Garde für den Gebrauch des Kongresses geschminkt und umfrisiert werden. Durch Kürzung der Lebensmittelimporte wird die Arbeitsfähigkeit der europäischen Bergarbeiter und der Arbeiter der Schwerindustrie vermindert. Durch Verzögerung in der Feststellung der Kreditbedingungen für Düngemittel, landwirtschaftliche Geräte usw. wird die landwirt-' schaftliche Eigenaufbringung der 16 Nationen gefährdet.

Trotz aller Schwierigkeiten muß das Ergebnis der Pariser Besprechungen vom österreichischen Standpunkt aus als positiv angesehen werden. Es ist jedoch zu hoffen, daß die Pariser Konferenz zu dem schließlichen Ergebnis des Kreditbedarfes von 23 Milliarden Dollar auf Grund der Möglichkeiten gekommen ist, die Europa produktionsmäßig durch engere und aktivere Zusammenarbeit zur Verfügung stehen. In britischen Kreisen wurde vor einiger Zeit festgestellt, daß selbst bei voller Hilfe Amerikas in der Höhe von 29 Milliarden Dollar der durchschnittliche Kaloriensatz der 16 Nationen den Vorkriegsstand noch immer nicht erreichen würde. “Wenn die Vereinigten Staaten ihre Kredite aus politischen Erwägungen beschränken müssen, muß angenommen werden, daß ihnen ein europäischer Bericht, welcher in Paris von Mr. Clayton beeinflußt wurde, dazu nicht die äußere Handhabe gibt.

Auf jeden Fall ist für Österreich zu erwarten, daß die wirtschaftlichen Konferenzen, die auf gesamteuropäischer Ebene abgehalten werden, die verantwortlichen österreichischen Wi rt s c h a f t s p o 1 it i k e r in einen engeren Kontakt mit den Wirtschaft s p o 1 i t i s c h führenden Kreisen des übrigen Europa bringen. Dieser Kontakt muß lebendige und aktive Ideen wirtschaftlicher Zusammenarbeit ergeben, welche die derzeit noch vielfach sich meldenden Stockungen in der österreichischen Wirtschaft beseitigen können.

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