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Das gefährliche Geschäft des Schreckens

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Es gab eine Zeit, da niemand in Europa Hitler mehr „komisch“ fand, man aber in den USA noch über ihn lachen konnte — nun lacht man in Europa noch über McCarthy (oder macht sich über seine Gegner lustig), während ihn drüben niemand mehr komisch findet. Vorbeugend: Wir wollen die beiden Männer keinesfalls vergleichen, aber wir wollen uns auch gewissen, sehr auffälligen Analogien nicht verschließen. Zunächst: Warum ist das Lachen drüben erstorben, das Lachen, das noch so fröhlich war, als eine Filmschauspielerin dem Vorsitzenden eines Ausschusses für „un-american activities“ zurief: „Wenn Sie mich noch einmal fragen, ob ich Kommunistin bin, schlage ich Ihnen mein Diamantenkollier um die Ohren?“ Ist es allein die Häufung von Selbstmorden, für die der tragische Fall des Rechtsberaters der Vereinten Nationen, Mr. Feller, charakteristisch war? Es ist mehr als das, die Gegner des Senators spüren allzu deutlich und allzu oft die ungeheure Macht dieses Mar.nes. Macht aber ist niemals komisch, der Augenblick, in dem sich hinter einer Person bestimmte soziale Stoßtrupps versammeln, ist stets ernst und schicksalsschwanger. Seitdem aber Eisenhower mehrmals vor McCarthy zurückgewichen ist, seitdem er es für notwendig fand, sich mit McCarthy, knapp nachdem dieser den von Eisenhower verehrten Marshall (er war jetzt als Vertreter des Präsidenten in London) einen Verräter genannt hat, öffentlich zu zeigen, kann wohl niemand mehr über den kolossalen Einfluß des Senators aus Wisconsin im unklaren sein.

Nein, Macht ist niemals komisch, am wenigsten, wenn sie mit Skrupellosigkeit und mangelndem Anstand gepaart ist, und die Lage wird noch bedenklicher (wer sollte das besser wissen als wir!), wenn die Anhänger sich bereits in einen Fanatismus hineingesteigert hen, der sie für den Nachweis ihrer moralischen Defekte immun macht.

„Skrupellosigkeit, mangelnder Anstand“, diese Worte wurden hier keinesfalls leichtfertig gesetzt; es ist innerhalb der letzten Monate sehr viel Material über McCarthy veröffentlicht worden (man fragt sich allerdings manchmal, ob die europäischen Bewunderer des Senators sich überhaupt die Mühe genommen haben, in diese Publikationen Einblick zu nehmen), und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in England, wo drakonisch strenge Gesetze die persönliche Ehre schützen, so daß aus der Tatsache, daß der Senator nirgends eine Klage anstrengte, auf die Stichhaltigkeit der Behauptungen geschlossen werden kann. Welcher Behauptungen? Wir wollen uns hier an das vor kurzem in England erschienene Buch zweier Journalisten halten („McCarthy: The Man, The Senator, The ,Ism'“ von Jack Anderson und Ronald W. May, Gol-lancz), in dem folgende Anschuldigungen, die übrigens auch in den meisten anderen Veröffentlichungen zu finden sind, auftauchen.

1. Der Senator kandidierte für sein Amt, während er noch Richter war (dies ist gegen die Verfassung) und hat seine richterliche Position dazu mißbraucht, um gewichtigen politischen Anhängern und Förderern eine rasche Scheidung zu ermöglichen.

2., Er hat über seine militärische Laufbahn Darstellungen gegeben und begünstigt, die ihn in einem unbegründet heldenhaften Licht erscheinen lassen. So wurde in einem von ihm inspirjerten Artikel erzählt, er hätte an einem bestimmten Tag eine Rekordzahl von Maschinengewehrgurten leergeschossen, man vergaß nur hinzuzufügen, daß nicht auf japanische Stellungen, sondern auf Kokosnußbäume geschossen wurde.

3. Er hat öffentlich erklärt, schlüssige Beweise zu besitzen, daß 205 Angestellte des State Departements Kommunisten seien. Schließlich stellte sich heraus, daß er überhaupt keine Unterlagen besaß und nicht einen einzigen Fall beweisen konnte.

Man wird hier vielleicht gewisse Einwände

erheben. Was Punkt 1 anlangt, wird man bemerken, es sei dem Senator nicht allzu schwer anzulasten, wenn er sein Richteramt dazu verwandte, um politischen Anhängern ein unlieb gewordenes Eheband zu lösen. Scheidungen, wird man sagen, sind in Amerika ein noch häufigeres Phänomen als in Europa, die Vorstellung, daß es sich hier um einen sakrosankten Bund handle, findet sich nur vereinzelt, und im Grunde hat McCarthy vielleicht nur eine Formalität beschleunigt. Das Gegenargument . ist naheliegend und schwer zu widerlegen: McCarthy ist Katholik, mußte also, seiner eigenen Religion — auf die er sich bisweilen gerne beruft — nach eine andere Auffassung besitzen. Was aber Punkt 3 anlangt, so wird man vielleicht folgendermaßen argumentieren: Zugegeben! Der Senator hat hier übertrieben, vielleicht war wirklich keiner der 205 Angestellten des State Departements Kommunist (obwohl wir da von einem Fall Hiss gehört haben), aber niemand kann leugnen, daß während der Roosevelt-Aera Kommunisten in den Staatsdienst eingesickert sind, daß dies eine Bedrohung bedeutete, die, wenn auch vergröbert und maßlos übertrieben, zur Kenntnis des Publikums gebracht zu haben, ein

Verdienst darstellt. Nun, die Infiltration des öffentlichen Dienstes ist tatsächlich eine ernste Angelegenheit, die das ganze Land betrifft, wie Rebecca West, die sich auf Verratsangelegenheiten spezialisiert hat, unlängst in einer Artikelserie überzeugend nachwies. Das von McCarthy häuptsächlich angegriffene State Departement hat sich dabei, im Vergleich durch die von New Deal und Krieg neugeschaffenen Aemter, als relativ immun erwiesen (als die Behauptung von den 205 Kommunisten fiel, war Hiss nicht mehr im State Departement, im übrigen läßt die vor kurzem veröffentlichte, durchdringende Studie des Hiss-Prozesses durch Sir Allan Jowitt — er war englischer Generalstaatsanwalt und später noch Lord Chancellor — in einem Verfahren, in dem die Beweise von Verteidigung und Anklage stets ein eigenartiges Gleichgewicht hielten, gewisse belastende Momente in einem neuen Licht erscheinen).

Kann es aber nützlich sein, auf diese, wir wiederholen, ganz reale Gefahr durch maßlose Uebertreibung aufmerksam zu machen? Stimmt man dem zu, muß zusätzlich gefragt werden, wie weit man in dieser Technik nun eigentlich gehen darf! Ist es zum Beispiel noch statthaft, in einem Verfahren aus dem Brief eines früheren Regierungsberaters in Fern-Ost-Angelegenheiten — wir meinen hier Professor Owen Lattimore, den McCarthy nun seit drei Jahren mit geradezu berserkerhafter Wut angreift — Stellen vorzulesen, die nie in diesem Brief gestanden haben? Wenn ja, müßte man hypothetisch weiterfragen, ob es der gute Zweck nicht auch rechtfertige, etwa ein öffentliches Gebäude in Brand zu stecken, wie man es den Nazis

(ohne daß sich dafür bisher ein letzter Beweis erbringen ließe) vorgeworfen hat?

Gott sei Dank besteht aber in Wirklichkeit keinerlei Notwendigkeit, sich auf eine so abschüssige Ebene zu begeben, es sei denn, man habe sich entschlossen, ein ernstes und schicksalhaftes Anliegen, wie die Abwehr des Kommunismus, zur Ausweitung persönlicher Macht zu benutzen, wie Hitler es im Reichstagsbrandprozeß und McCarthy auf andere Weise versucht haben. Die Methoden eines kritik- und maßlosen Vulgär-Antikommunismus sind nämlich gefährlich und zweischneidig. Falsche Behauptungen werden ja, solange es eine demokratische Presse und unabhängige Richter gibt (die gab es auch in Leipzig noch), schließlich widerlegt. Auch der amerikanische Richter Youngdahl hat jetzt vier der Beschuldigungen gegen Owen Lattimore zurückgewiesen und den drei restlichen dasselbe Schicksal vorausgesagt. Erkennt aber das Publikum, daß es getäuscht wurde, schlägt das Pendel unfehlbar später in die andere Richtung aus, und die Gefahr wird auch dort nicht mehr erkannt, wo sie nahe und unmittelbar ist. Hier hilft letzten Endes nicht .einmal die Knebe-

lung der Presse. Nachdem Hitler lange Zeit die reale bolschewistische Gefahr mit so zweifelhaften Mitteln wie den Reichstagsbrandprozeß und anderen Vergröberungen demonstriert hatte, war der europäische Widerstandswille schließlich völlig ausgehöhlt, erst die Begegnung mit harten, neuen Gegebenheiten ließ ihn wieder Kraft und Richtung gewinnen. Hat man das Argument mit den europäischen Bewunderern McCarthys bis zu diesem Punkt durchgestanden, so erfolgt ein plötzlicher Stellungswechsel, die ganze Gesprächsbasis wird auf ebenso temperamentvolle wie verblüffende Weise verschoben. Wie kann man sich über McCarthy erregen, heißt es jetzt, wenn sich im Osten noch immer die Welt der Lager und Gefängnisse, die Welt der absoluten Polizeigewalt vom Baltischen Meer bis zum Pazifik erstreckt? Und ist nicht der beste Beweis, daß McCarthy keinesfalls die Freiheit bedroht, darin gelegen, daß viel Abträgliches, das hier zitiert wurde, aus amerikanischen Quellen stammt? Dazu ist nun zu sagen, daß die Demokratie, solange sie lebendig und vital bleibt, einen ständigen Prozeß der Ausgärung, Veredlung und. Vervollkommnung mitmacht, für den manchmal rascher Fortschritt, manchmal plötzlicher Rückschlag kennzeichnend ist; diesen äußerst komplizierten, oft leidvollen Vorgang an dem Maßstab der völligen Negation zu messen, wäre völlig unlogisch, ebenso könnte man aufhören, sich zu waschen, weil die Neger sowieso schwarz sind. Was aber den Widerstand gegen jede Einengung der Freiheit anbelangt, so sollte jeder, der schon einmal in einer Diktatur gelebt hat, zumindest eines

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