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Das Geheimnis des Dr. Frei
Das. Ergebnis der chilenischen Präsidentschaftswahlen hat weltpolitische Bedeutung. Die unerwartete Wahlniederlage des „Volksfront-Kandidaten Dr. Allende beweist, daß die chilenischen Wähler trotz der alarmierenden Wirtschaftskrise linksradikale Lösungen ablehnen. Obwohl die Kommunisten nur eine Minderheit in der ..Volksfront’’ bilden, wäre ein Wahlsieg Allendes propagandistisch als großer Erfolg des Ostblocks bei der Infiltrierung Lateinamerikas dargestellt worden. Auch hätte die von Dr. Allende geforderte Enteignung der nordamerikanischen Kupferminen und die Brüskierung der „Organisation amerikanischer Staaten“ zu einer inner- amerikanischen Spaltung geführt, bei der Chile wahrscheinlich auf den Weg Kubas abgerutscht wäre.
Der überwältigende Sieg des christlichen Demokraten Dr. Edu ardo Frei (Vatername) — Morctalve (Muttername) stellt einen Lichtblick auf dem düsteren Himmel der lateinamerikanischen Politik dar. Mit ihm kommt einer der wenigen Politiker an die Macht, die Kennedys Ideen
— in dem Zehnjahresplan „Allianz für den Fortschritt“ — verwirklichen wollen, obwohl sie der Washingtoner Politik kritisch gegenüberstehen. Sie sehen; nicht, t— wie die meisten lateinamerikanischen Präsidenten — ipn Amt die, Möglichkeit, ihren Parteigängern Geld und Posten zu verschaffen, sondern wollen eine moralische Verpflichtung erfüllen. Sie predigen die Revolution. Aber während für die meisten dieser Intellektuellen die „klassenkämpferische“ Revolution die einzige ist, mit der sie den Rückstand von 100 Jahren in der lateinamerikanischen Situation, auf- holen können, spricht Dr. Frei von der „friedlichen Revolution“;. Für ihn folgt gerade aus dem Christentum und nicht aus dem Marxismus die Aufgabe, die Struktur Lateinamerikas — feudalistisch auf dem Agrar-, frühkapitalistisch auf dem Industriesektor — zu modernisieren. Frei sucht den „dritten Weg zwischen Marxismus und Kapitalismus“, wobei er die Demokratie als „die politische Form der Revolution“ bezeichnet.
Der jetzt 53jährige Dr. Frei, der Schweizer Abstammung ist, war Journalist, Anwalt, Universitätsprofessor für Arbeitsrecht und Nationalökonomie, vor einigen Jahren zeitweilig Minister für öffentliche Arbeiten, seit , etwa zehn Jahren Senator; er hat die christlichdemokratische Partei — zum Unterschied von den „bürgerlich“ gewor- denen christlich-demokratischen Parteien Europas bisher eine gemäßigte linke Oppositionspartei! — mitbegründet und vier vielbeachtete wirtschaftspolitische Bücher geschrieben. In allen Funktionen hat er es immer wieder die Aufgabe der Politiker genannt, „das Leben der Menschen menschlicher zu gestalten“.
Mut zur „friedlichen Revolution“
In diesem Sinne fordert er eine „demokratische Planwirtschaft“. In ihrem Mittelpunkt steht eine langfristige Agrarreform, mit der er
500.000 Familien eigenes rentables Land verschaffen will. „Agrarpolitik vor Agrarreform“ äst sein Schlagwort. Die Landteilung muß am Ende, nicht am Anfang der Entwicklung stehen. Erst müssen Wege und Häuser gebaut sein, Pflüge, Samen, technische Beratung usw. zur Verfügung stehen, ehe lebensfähige Betriebe auf genossenschaftlicher Grundlage rentabel arbeiten können. Frei will Land aus Staatsbesitz verteilen, dann ungenügend bewirtschaftete Güter enteignen und schließlich den Großgrundbesitz begrenzen. Er bezeichnet es als ebenso unsinnig, daß sechs Prozent der Eigentümer 60 Prozent des Bodens als „Latifundien" ausbeuten, wie, daß 130.000 Kleinbesitzer auf ihren sogenannten „Minifundien“ schon jetzt ruiniert sind. Er will das Lebenshaltungsniveau der 500.000 Landfamilien — 31 Prozent der Gesamtbevölkerung — verbessern und die groteske Situation beseitigen, daß ein Land wie Chile jährlich 120 Millionen Dollar für Lebensmittelimporte ausgeben muß. Die Agrarreform will er durch eine veränderte Kupferpolitik finanzieren. Die nordamerikanischen Gesellschaften sollen die Kupfer- und Erzproduktion verdoppeln, das Metall in Chile raffinieren und — ohne Rücksicht auf politische oder strategische Erwägungen — an alle Interessenten verkaufen. Frei sagt, es sei untragbar, daß die nordamerikani schen Gesellschaften das Erz nach den USA exportieren, es dort schmelzen und schließlich das chilenische Kupfer in Hamburg an die Russen verkaufen. Frei will normale diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu allen Ostblockstaaten (einschließlich Pekings?) aufnehmen, im Rahmen prowestlicher aber unabhängigerer Politik auf der Basis völliger Gleichberechtigung gute Beziehungen zu den USA aufrechterhalten. Er lehnt den Bruch mit Kuba ab, den die im November abtretende Regierung des korrekten Großindustriellen Alessandri gemäß dem Beschluß der „Organisation amerikanischer Staaten“ vorgenommen hat.
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