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Das Gewissen des anderen

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In seiner aufsehenerregenden, viel und oft falsch kommentierten Rede an der Pro-Deo-Universität (13. Jänner 1963, Rom) hat Kardinal A. Bea das Problem Toleranz mit Schärfe and Klarheit aufgeworfen und so ein Tabu der offiziellen Kirche durchbrochen. Man hatte bisher das Gefühl, daß die Kirche zwar gern für sich Toleranz des Staates in religiösen Dingen in Anspruch nehme und zu diesem Zwecke sich auf die pluralistische Demokratie und ihre Auffassung der Menschenrechte berufe, daß sie aber selbst nicht geneigt sei, wo sie im Bunde mit dem Staate steht, dieselbe Toleranz anderen Konfessionen zu gewähren. „ ... der Irrtum habe kein Existenzrecht“, zitiert der Kardinal seine integralistischen Gegner und trifft damit auf ein Hintergrundargument. Aber die Wurzel mittelalterlichen Denkens liegt tiefer, im Kir-:henbegriff. Die Kirche ist nicht das von Jesus verkündete Reich Gottes (sie ist nur sein Vorgeschmack, seine .Anzahlung“); sie kann weder Tote erwecken noch die Sünder ausrotten; sie ist vielmehr selbst Sünderkirche als Ort der Barmherzigkeit Gottes. Der am Konzil mit Recht oft kritisierte „Triumphalismus“ dagegen (er hat monophysitische Tendenz) verwechselt die am Wege befindliche, unter dem Gottesgericht stehende Kirche mit dem himmlischen Jerusalem und zeigt chiliastische Züge. Wenn das Reich Gottes gekommen ist, haben tatsächlich in den Mauern der heiligen Stadt ler Gottlose und der Verbrecher keine Existenzmögüchkeit mehr. Hier aber, auch in der Kirche, ist Unkraut neben dem Weizen, und niemand hat das Rerht, das Unkraut vorzeitig auszureißen.

Die Kirche des Gekreuzigten

Auch ist die Kirche keine Theokra-tie wie das alte Israel, noch darf sie den Staat so sakralisieren, daß er, zum exklusiven Christenstaat, zur Christianitas geworden, mit seinen Machtmitteln das Christliche-propagieren und festhalten darf. Weder der Kreuzzug noch das Autodafe kommen dem Staate zu; er ist allein, als Kategorie der vom Menschen fortgesetzten Schöpfung, eine naturale Größe. Die Leistung eines Thomas, der naturale und supranaturale deutlich unterschied, muß auf die Soziologie angewendet werden. Die Kirche ist die Kirche des Gekreuzigten, der Petrus verboten hatte, zu seinen Gunsten das Schwert zu ziehen.- Die mittelalterliche Zwei-Schwertertheorie ist nicht nur exegetisch phantastisch, sondern

besagt genau das Gegenteil des von Christus Gemeinten und Befohlenen.

Der Staat darf und muß jene sozialethischen Prinzipien verteidigen, auf die er und die Gesellschaft aufgebaut

sind; wenn es nötig und opportun ist, kann er in diesem Bezirk physische Gewalt anwenden. Er darf auch die Freiheit der Kirche verteidigen, weil diese Freiheit menschenrechtlich begründet ist; der Staat ist aber kein Polizist der Kirche, der sie durchzusetzen oder zu erhalten hat. Staats-kirchentum führt zur Abhängigkeit der Kirche, bedeutet eine Art Schutzhaft für sie und läßt sie an allen Vergehen der Politik mitschuldig werden; zu enge Symbiose mit dem Staat führt zur Diskreditierung der Kirche und endet unter Umständen in der Konstituierung einer Nationalkirche nach kommunistischem Muster.

Die Kirche des leidenden Gotteslam-

mes, das seinen Mund nicht auftat, als es zur Schlachtbank geführt wurde, kann sich nicht diktatorischer Mittel bedienen oder staatliche Mittel bedenkenlos einsetzen; das Vorgehen, Ver-

halten der Kirche : hängt vom Inhalt ihres Glaubens ab. Das Evangelium der Barmherzigkeit Gottes kann nicht mit denselben Mitteln propagiert werden wie der kommunistische Chiliasmus der klassenlosen Gesellschaft. Die Kirche ist selbst Glaubensgeheimnis; sie muß also geglaubt werden und das aus Überzeugung und in Freiheit.

Die Wahrheit Gottes ist ein Liebesantrag Gottes an die Menschen; sie

kann weder durch Aufklärung und Schulung eingetrichtert werden, noch durch Gehirnwäsche psychisch erzwungen werden. Kein Wahrheitsserum kann sie dem Menschen injizieren. Christus ist auferstanden und herrscht; das heißt aber nicht, daß die Kirche herrschen darf; sie hat den Kreuzweg Jesu in seiner Nachfolge durch diese Zeitlichkeit zu gehen; sie ist Kirche der Mission, apostolica, Einladung Gottes an die Menschheit, nicht Herrschaft im kirchenpolitischen Sinne.

Welt: Chance der Bekehrung

Die Kirche ist vor allem Dienst, Kirche des füßewaschenden Jesus. Toleranz ist Achtung vor dem Gewissen des anderen, vor seiner Subjektivität. Glaube ist aber Subjektivität als Antwort auf die objektive Gottesoffenbarung. Christentum als bloß institutionelles Gebilde gibt es nicht; die Kirche wächst aus dem Glauben der freiwillig Glaubenden. Auch das Ärgernis, die Versuchung des Häretikers können nicht mit Gewalt aus der Welt gebannt werden; die Welt ist kein Mädchenpensionat; sie ist ein geistiges Schlachtfeld und ein Tummelplatz von Dämonen.

Den Ungläubigen ausrotten wollen, heißt, die Gläubigen im Glashaus züchten wollen. Die Kirche hat Konkurrenz und Auseinandersetzung nötig. Jesus hat sie nicht aus der bösen Welt herausgenommen; er ist selbst versucht worden und läßt uns zum Vater beten „führe uns nicht in Versuchung“ (damit ist die physische Verfolgung durch die Antichristen, nicht deren schlechtes Beispiel gemeint).

Auch darf den Nichtkatholiken nicht a priori böser Wille imputiert werden; der Irrende, oft Suchende, ist kein Bösewicht. Der Irrende kann moralischen Hochstand zeigen, der uns beschämt; er hat mit uns sehr vieles gemeinsam, wenn er Christ oder Gottesgläubiger ist. Ausrottung der Getrennten ist Bruderkrieg und zwar reiner Brudermord. Wenn die Gläubigen sich physisch und politisch bekämpfen, triumphieren die Ungläubigen und. .Antichristen. Toleranz hat nichts mir Agnostizismus, weltanschaulichem Relativismus, geistiger Charakterlosigkeit zu tun. Sie ist die Haltung Gottes selbst, der weder den Irrenden noch den Sünder ausrottet, sondern dieses Leben und diese Welt als spa-tium poenitentiae, als Chance der Bekehrung betrachtet und die am meisten liebt, die es am meisten nötig haben.

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