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Im Herbst 1903 kam Nikolaus II., der weiße Zar, nach Österreich, um mit Franz Joseph in Mürzsteg auf die Jagd zu gehen. Die Welt atmete auf: Diese Begegnung war ein sicheres Zeichen, daß der Friede in Europa wieder einmal gerettet war. In Wirklichkeit war es Rußland, daß diesen Frieden benötigte: Die Auseinandersetzung mit Japan bereitete sich langsam vor, und dafür wollte Rußland unbedingt Ruhe an seiner westlichen Flanke. Wenn Friede zwischen dem Zarenreich und dem Habsburgerreich herrschte, dann gab es auch keine Differenzen zwischen Deutschland und Rußland, und dann konnte Rußland sicher sein, daß ihm Auseinandersetzungen an dieser Grenze erspart blieben. Jetzt scheint sich dieses Spiel zu wiederholen: Rußland benötigt den Frieden in Europa. Denn an der Grenze zwischen Rußland und China wird es unruhig. Zwar, gab es dort immer kleine Scharmützel (das jetzt staittgefuindene soll das 2000. innerhalb der letzten Jahre gewesen sein), aber Rußland, das diese immer verschwiegen hat, kann nun entweder diese Zwischenfälle nicht mehr verschweigen oder will sie nicht mehr verschweigen. Will sie nieht mehr verschweigen, weil sie entweder wirklich schon gefährlich werden, oder weil es sie benützen will; um in Europa ein großes Spiel zu spielen, das Rußland für lange Zeit den Frieden an seiner westlichen Flanke bescheren soll. Die Anbote, die von Rußland beim Treffen in Budapest gemacht werden, zielen mehr oder minder versteckt darauf hinaus, die NATO und die EWG aufzulösen. Rußland würde dafür die Auflösung des Warschauer Paktes und des Comecon-Paktes bieten. Versteckt konnte man auch aus dien russischen Reden heraushören, daß Rußland vielleicht eines Tages nichts gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands hätte, natürlich aber nur, wenn dieses Deutschland ähnlich neutral wäre wie — Österreich. Rußland kennt nur zu gut das Denken des kommenden deutschen Bundespräsidenten, dem die Einheit Deutschlands über alles geht und der dafür bereit ist, einen hohen Preis zu zahlen. Aber Präsident Heinemann kann nicht auf eigene Faust Politik machen, Politik hat das deutsche Parlament und die deutsche Regierung zu machen. Und diese beiden werden den noch so verlockenden Anboten widerstehen. Diese Anbote sind zwar verlockend und gewähren scheinbar Europa einen Frieden auf lange Zeit. Aber sie enthalten doch einen Pferdefuß. Wenn einmal die NATO und die EWG aufgelöst sind, werden sie so rasch nicht mehr ins Leben treten können. Die Staaten aber, die zum Warschauer Pakt gehören, werden unsichtbar doch immer am Gängelband Moskaus bleiben, sei es militärisch, sei es wirtschaftlich.Würde die freie Welt die Vorschläge Rußlands annehmen, dann hätte Rußland tatsächlich keinerlei Sorgen mehr an seiner westlichen Grenze. Dann könnte es jeder Auseinandersetzung mit seinem chinesischen Nachbarn ruhig entgegensehen und sich außerdem sagen, daß es in Europa — sobald diese östliche Auseinandersetzung zu Ende ist —, mehr als leichtes Spiel haben wird, um es ganz in die Hand zu bekommen.

Man muß es der russischen Politik zugestehen, daß sie, zum Unterschied vom Westen, immer neue Ideen hat und neue Spielarten aufs Tapet bringit, um ihr Ziel zu erreichen. Das Ziel: keine Feinde in Europa zu haben und eines Tages sogar Einfluß auf die freie Welt zu gewinnen. Es wird jetzt an der freien Welt liegen, Rußland den Ball zurückzuspielen und konstruktive Vorschläge für einen „ewigen“ Frieden vorzulegen. Europa aber soll die Zusammenkunft von Mürzsteg nicht vergessen: Der Friede in Europa wurde damals wohl bewahrt, aber sobald Rußland die Auseinandersetzung mit Japan beendet hatte, wandte es sich erneut Europa zu. An den Folgen tragen wir heute noch.

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