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Das große Debakel

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Achtzehn Millionen stimmberechtigte deutsche Bundesbürger gingen am Sonntag den 14. Juni zur Urne, um die Landtage für das Saarland, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu wählen. Achtzehn Millionen Stimmberechtigte stellen 44 Prozent aller deutschen Wähler dar. Diese Wahlen in die Landtage waren deshalb mehr als nur Abstimmungen auf Landesebene. Sie wurden schon lange vorher mit Recht als ein Plebiszit für oder gegen die Regierung Brandt deklariert. Der Wahlausgang stellt ein echtes Debakel für die Regierung Brandt dar: Die FDP, die ..nationale“ Partei also, verschwand aus zwei Landtagen; im Saarland konnte die CDU einen außerordentlich großen Vorsprung erringen. In den beiden anderen Landtagen liegt die CDU mit der SPD in einem Kopf-an-Kopf-Rennen.

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Achtzehn Millionen stimmberechtigte deutsche Bundesbürger gingen am Sonntag den 14. Juni zur Urne, um die Landtage für das Saarland, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu wählen. Achtzehn Millionen Stimmberechtigte stellen 44 Prozent aller deutschen Wähler dar. Diese Wahlen in die Landtage waren deshalb mehr als nur Abstimmungen auf Landesebene. Sie wurden schon lange vorher mit Recht als ein Plebiszit für oder gegen die Regierung Brandt deklariert. Der Wahlausgang stellt ein echtes Debakel für die Regierung Brandt dar: Die FDP, die ..nationale“ Partei also, verschwand aus zwei Landtagen; im Saarland konnte die CDU einen außerordentlich großen Vorsprung erringen. In den beiden anderen Landtagen liegt die CDU mit der SPD in einem Kopf-an-Kopf-Rennen.

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Neun Monate erst ist die Regierung Brandt, richtiger gesagt: die Koalition der SPD mit der FPD im Amt, und schon empfing sie eine derart harte Quittung für ihre bisherige Politik.

Und welches sind die Ursachen dieses Debakels? Vor allen Dingen gibt es deren zwei: Zunächst zeigte die von der Regierung betriebene Wirtschaftspolitik ausgesprochen inflationistische Tendenzen. Und die große Inflation der Zeit nach' dem ersten Weltkrieg lastet immer noch als schwerer Alptraum auf dem deutschen Volk. Aus den Erzählungen der Großeltern wissen alle Heutigen, wie damals die Vermögen und auch die kleinsten Ersparnisse in nichts zerrannen. Die Niederlage des ersten Weltkrieges bewirkte nicht einen annähernd so großen Schock wie die große Inflation, die darauf folgte. Nach dem zweiten Weltkrieg waren die Deutschen durch das Wirtschaftswunder aus Bettlern wieder zu reichen Leuten geworden. Und dieser Reichtum sollte nun plötzlich wieder dahinschwinden wie seinerzeit der Reichtum, den die Deutschen sich vor 1914 geschaffen hatten? Zweite Ursache des Debakels ist die Ostpolitik der Brandtschen Regierung. Welche Ziele der deutsche Bundeskanzler damit verfolgte, hat er bis heute nie klar ausgesprochen. Willy Brandt, der vor den Bundestagswahlen immer scharf gegen jede Geheimpolitik zu Felde gezogen war, hat in den wenigen Monaten seiner Regierung in bezug auf den Osten selbst eine geradezu typische Geheimpolitik betrieben. So kann man also nur ahnen und mutmaßen, was er damit erreichen will.Kann man bei Brandt nur ahnen, wohin die Wege führen sollen, so weiß man bei den Russen und Ulbricht um so eher, welche Ziele sie erreichen wollen. Wie immer, treiben die Russen eine rein russische Politik. Ihr Ziel ist die Sicherung der Westgrenze ihres Imperiums. Wenn die Bundesrepublik die Oder-Neisse-Grenze anerkennt und diplomatische Beziehungen zu Ulbricht aufnimmt, dann sind die beiden Außenforts Polen und DDR gesichert. Dann sinkt aber auch der Wert der BRD für die NATO ganz beträchtlich. Ulbricht und seine DDR wären natürlich auch gerettet, wenn die Bundesrepublik offizielle Beziehungen zum Pankower-Regime aufnehmen würde. Die von der Bundesrepublik bisher vertretene Hallstein-Doktrin besagt, daß es rechtlich nur ein Deutschland geben könne. Und daß dieses Deutschland durch die BRD vertreten wird. Anerkennt aber Brandt Ulbricht, dann bedeutet das, daß diiese Doktrin endgültig fallengelassen wurde, dann gibt es zwei deutsche Staaten und nicht nur einen, der das gesamte Deutschland vertritt. Und mit dieser Tatsache würde Ulbricht, der bisher diplomatisch in der Luft hing, endlich Boden unter den Füßen fühlen. Und was wollte Brandt mit dieser Politik, die offensichtlich nur auf Vorteile der Russen und Ulbrichts hinauslief und die den Deutschen kaum Vorteile brachte? Die geheimen Gedankengänge Brandts kann man, wie gesagt, nur ahnen. Der Österreicher wird sich vielleicht an jene Aktion erinnern, die der damalige Außenminister Kreisky für Südtirol auf internationalem Boden,nämlich bei der UNO, startete. Diese Aktion war sicherlich von dem Wunsche diktiert, den Südtirolern zu helfen, aber sie hatte gewiß ebenso viele innerpolitische Aspekte. Wer für Südtirol auf internationalem Gebiet einen Sieg erringen konnte, der konnte sicher sein, daß bei der nächsten Nationalratswahl viele Österreicher, beeindruckt von diesem Erfolg, seiner Partei die Stimme gaben würden. Aber der Erfolg stellte sich nicht ein, und so ging die Rechnung des damaligen Außenministers nicht auf. Ähnliche Gedankengänge dürften bei Brandt vorauszusetzen sein. Heuer werden es 100 Jahre sein, daß der Deutsch-Französische Krieg begann. Auf der Basis der militärischen Erfolge der vereinigten deutschen Truppen entstand das Deutsche Kaiserreich unter Wilhelm I. Vielleicht wollte der deutsche Bundeskanzler, als ein neuer Wilhelm III., auf der Welle der nationalen Begeisterung, die im Gefolge der Sedan-Feiern entsteht, wieder eine deutsche Einigkeit in irgendeiner Form erzielen und damit sein Reich für lange Zeit festigen. Wenn dem so ist, so heißt dies, daß er von den Deutschen, wie sie heute sind, nicht viel weiß. Denn die Einigkeit, d5e er nach Hause bringen wollte, wäre im Grunde genommen gar keine gewesen, sie hätte nur den Russen und dem Ulbricht-Regime Vorteile gebracht. Und das merkten nicht nur die vielen Millionen Ostflüchtlinge und ehemaligen Staatsangehörigen der Zone, sondern auch die übrigen Deutschen und quittierten einen Gedanken mit einer Denkzettelwahl. Was nun? Zunächst werden die Russen kaum noch Lust haben, mit Brandt weiter zu verhandeln. Eine Regierung, die nur noch formalrechtlich eine Mehrheit im Parlament hat, ist für sie uninteressant.

Und die FDP wird, wenn sie überhaupt noch Zukunftschancen haben will, das Steuer ihrer Politik radikal herumwerfen müssen.

Vielleicht wird es der FDP gelingen, die Brandtsche Außenpolitik in neue Geleise zu leiten. Vielleicht wird die Koalition zerbrechen — dann müßten entweder Neuwahlen kommen oder die SPD müßte mit der CDU eine Koalition eingehen. Sicherlich würde dann der neue Kanzler nicht mehr Brandt heißen. Und damit wäre dieses Zwischenspiel zu Ende.

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