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Das große Österreich-Buch

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Ein „Spectrum Austriae” liegt vor.

Zunächst ein Griff nach dem Großen Brockhaus. Schlag nach unter „S”. Spectroscop … Spectro- telegraphie … halt, da ist es. das gesuchte Wort: „Spectrum (lat.), das durch die Zerlegung eines weißen Lichtstrahls entstehende vielfarbige Bild, das sich zeigt, wenn man den zerlegten Strahl durch einen Schirm auffängt “ So, jetzt haben wir uns in der nüchtern-präzisen, wenn auch ein wenig umständlichen Sprache der Naturwissenschaft die Eigenschaften eines Spectrums in Erinnerung gerufen. Es bleibt noch die Aufgabe der Uebersetzung dieser Definition in die schon ein wenig vieldeutige Sprache der Geisteswissenschaften. Der „weiße Lichtstrahl”, den es, zerlegt in die verschiedenen Untersuchungen und gebrochen durch die Medien der Verfasser der einzelnen Beiträge, aufzufangen gilt, heißt Oesterreich — sein Wesen, seine Wirklichkeit. Jenseits der flüchtigen Stunde. Mit den Worten des Herausgebers Otto Schulmeister gesprochen: „Ein solches .Spectrum Austriae’ kann weder nur ein Führer durch die politische, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Gegenwart des Landes sein noch ein Auszug aus der Geschichte, ergänzt durch einige aktuelle Daten. Dieses Spektrum muß vielmehr versuchen, in seinem Linienband das Gestern und das Heute so zur Geltung zu bringen, daß die innere Wirklichkeit Oesterreichs daraus sichtbar wird.”

Erfüllt der vorliegende Sammelband diese selbstgestellte Aufgabe? 735 Seiten Text, Beiträge von mehr als zwanzig Autoren, eine reiche Bildausstattung — und auch der „wissenschaftliche Apparat” nicht zu vergessen. Die Kritik hat es nicht leicht, sofern sie sich nicht, wie dies leider bereits auch geschehen ist, grundsätzlich aus parteipolitischen Ueberlegungen gegen ein Werk sperrt, das Oesterreich nicht im Jahre 1918 vom Himmel fallen läßt. Bestimmt können Meinungen vorgebracht werden, dieses Thema hätte vielleicht bei so einer österreichischen „Summa” Vorrang haben müssen oder jene Arbeit hätte gegenüber einer anderen Untersuchung Zurückbleiben können. Das sind Fragen des individuellen Interesses und Geschmacks. Und die Verfasser? Auch hier sollten persönliche Ueberlegungen zurücktreten gegenüber der wohlbegründeten Ansicht, daß dem Herausgeber und seinen Mitarbeitern ein wohlausgewogenes repräsentatives Werk gelungen ist, zu dem sich viele Kräfte vereinigt hlben. Mag’Mn der’Ä’uswahl der Mitarbeiter auch alles andere als ein ‘‘engherziger ‘köhfessioneller Standpunkt gewaltet haben, so darf doch mit Genug tuung und Freude angemerkt werden, daß das tragende Gerüst des vorliegenden Werkes von seiten der katholischen Publizistik Oesterreichs — und zwar in allen ihren Schattierungen (sozusagen ein „Spectrum Austriae en miniature”) — beigestellt wurde.

Es kann nicht Aufgabe einer Würdigung sein, das Autorenverzeichnis nachzudrucken. Wenn einzelne Namen genannt werden sollen, dann darf es zu nächst der Name von Univ.-Prof. Hans Koren sein, der unter dem an sich leicht zu Fachgelehrsamkeit verführenden Thema „Volksart und Volksgeschichte” eine, fast wäre man versucht zu sagen journalistisch spannende,, aber deswegen nicht weniger gründliche Arbeit beisteuert. Ein Essay voll eigenwilliger Thesen stellt Willy Lorenz’ Untersuchung über den österreichischen Katholizismus dar. Besonders gut gelungen: der Abschnitt über den „ewigen Josefinismus”. Der Schluß, in dem man auf freimütige Aussagen über den österreichischen Katholi zismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wartet, ist leider etwas summarisch. Adam Wandruszka verspricht im Anhang, daß seine Untersuchung über „Parteien und Ideologien im Zeitalter der Massen” keine „Kurzfassung” seiner früheren Arbeit in der von Benedikt herausgegebenen „Geschichte der Republik Oesterreich” sei. Dieses Versprechen wird auch gehalten. Wandruszka geht vielmehr den Weg zurück. Er verlegt sich auf eine Untermauerung der nicht allein von ihm vertretenen These vom gemeinsamen Ursprung der drei politischen Strömungen, die das Leben Oesterreichs bestimmen.

Ein kleiner Lapsus, der uns aber eher ein Flüchtigkeitsfehler zu sein scheint. Wohl kommt Lueger wie auch Adler und selbst Schönerer aus jener gemeinsamen „jungliberalen” oder demokratischen Richtung, die sich gegen den saturierten großbürgerlichen Liberalismus auflehnte, bevor die Aufspaltung in die drei Ströme der „Volksbewegungen” auf trat; es geht aber doch nicht an, von einer „deutschnationalen Herkunft” Luegers (S. 300) zu sprechen. Die dagegen sprechenden Zeugnisse sind unanfechtbar. Christoph Allmayer-Beck wagt sich auf iiun wenig b-reiteten Beden: die Träger der staatlichen Macht. Eine zwischen Soziologie und Historie stehende Untersuchung über die Rolle des Adels, der Armee und der Bürokratie für das Werden und Wesen Oesterreichs. Sie verdient zu einer größeren Arbeit ausgebaut zu werden. So könnte Allmayet-Beck selbst am besten mithelfen, den Strom der Tradition, den er in seinem Schlußwort etwas elegisch dem Zufall und der kommenden Generation überlassen will, das Bett zu graben. Noch weitere Namen und Bemerkungen am Rande? Hugo Hantsch, Friedrich Engel- Janosi, Friedrich Heer, Hans Sedlmayr, Friedrich Torberg … die Liste ist noch lange nicht zu Ende. Der Leser aber möchte aus ihr einiges über die geistige Spannweite eit es Werkes entnehmen, dg weit mehr sein will als eine patriotische Haufoostiae für ein gehobenes Publikum.

Vor bald einem Jahrzehnt ging ein Buch in die Welt, das sich „Oesterreich-Buch” nannte. In Wort und Bild bewußt amüsant und leicht gehalten, sollte es aller Welt Kunde von einem Land und Volk inmitten Europas geben, das neben Walzertanzen und Heurigenbesuchen doch auch noch etwas anderes getan hat und tun will.

Nach dem Feuilleton der Leitartikel.

Ein „Spectrum Austriae” liegt vor. Ein großes Buch über Oesterreich, das große „Oesterreich- Buch”. Es wird in seiner Art sobald nichts Ebenbürtiges an seine Seite gestellt bekommen.

PS.: Beinahe eine Beckmesserei, aber dennoch: war es notwendig, um der lieben Originalität willen, die einen Absatz beschließenden Zeilen rechts auslaufen zu lassen? Es ist auch nicht schöner als die normale Form, nur ungewohnt und deswegen mühsamer bei der Lektüre.

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