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Das harte Beefsteak

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Die Entwicklung der Weltpolitik seit 1945 und die immer stärker werdende Abhängigkeit der Völker und Staaten voneinander haben die Probleme der Außenpolitik weit mehr in den Blickpunkt der breitesten Öffentlichkeit gerückt, als dies früher der Fall war. Die Zeit, „da weit hinten in der Türkei die Völker aufein-anderschlugen“, während der europäische Bürger in Ruhe und Frieden seinen Osterspaziergang machen konnte, sind längst vorbei. Große Entfernungen gibt es nur noch dem Maßstab, nicht mehr der Zeit nach. Daher werden wir von allen Dingen, wo immer sie sich auf unserer Erdkugel ereignen, in irgendeiner Weise berührt. Das bedeutet für Regierungen und Parlamente, daß man sich viel und oft mit der Außenpolitik beschäftigen muß. Denn auch die Zeiten der Geheimdiplomatie gehören der Vergangenheit an, und ein mit allen technischen Raffinements arbeitendes Nachrichtensystem informiert die Weltöffentlichkeit über wahre und unwahre Dinge in hohem Maße. Es ist daher auch nur natürlich, daß jede Regierung ihren außenpolitischen Standpunkt immer wieder überprüfen und den Bürgern ihres Landes über außenpolitische Entscheidungen Rechenschaft geben muß.

Das gilt auch für Österreich. Mit der Begründung der immerwährenden Neutralität ist für unser Land in der Außenpolitik ein fester und unverrückbarer Standpunkt gegeben, von dem alle Überlegungen und Entscheidungen in der Außenpolitik ausgehen müssen. Bei der Beurteilung außenpolitischer Notwendigkeiten wird es allerdings gut sein, wenn man die eigenen Möglichkeiten nicht überschätzt, denn In Wirklich-

keit bestimmen wie eh und je nur die Großen dieser Erde, was zu geschehen hat. Einem Kleinstaat eine echte Mitbestimmung zuerkennen zu wollen hieße, die machtpolitischen Realitäten völlig zu ignorieren. Aufgabe der Kleinen ist es, so gut es eben geht, mit den Großen zu leben. Das über die Möglichkeiten eines Kleinstaates Gesagte gilt auch für den Fall der Neutralität eines solchen Staates, die ja völkerrechtlich dazu verpflichtet, sich aus den Streitigkeiten der Welt herauszuhalten. Es erscheint daher als eine der Wirklichkeit überhaupt nicht entsprechende Phantasie, wenn man — was ja so oft und immer wieder geschieht — Österreich eine besondere „Mission“ zuspricht. Ausdrücke wie „Brücke“ zwischen West und Ost oder „Drehscheibe“, und wie diese schmückenden Beiwörter alle lauten mögen, sind in Wirklichkeit barer Unsinn.

Hat ein Kleinstaat also überhaupt keine Außenpolitik zu machen? Diese Frage wäre eine falsche Antwort auf das oben Gesagte. Denn wenn man auf Grund richtiger Einschätzung von Tatsachen auch ein kindisches, missionarisches Sendungsbewußtsein für Österreich ablehnen muß, so bleiben für einen neutralen Kleinstaat dennoch genug Möglichkeiten, außenpolitisch wirksam zu werden. Nämlich in der Form von Hilfsdiensten, die man als neutraler Kleinstaat den Großen dieser Welt leisten kann, wenn man darum ersucht wird. Wien als Ort der Zusammenkunft von Kennedy und Chruschtschew, als Sitz der Atomenergiebehörde und der UNIDO, dns sind echte Aufgaben von weltpolitischem Format für unser Land. Österreich hat sich diesen Aufgaben

auch gerne unterzogen. Von einem kleinen Geschehen am Rande des großen politischen Ereignisses der Konferenz Kennedy—Chruschtschew soll nun im solgenden erzählt werden.

Am Abend des ersten Konferenztages gab Bundespräsident Doktor Schärf im Schloß Schönbrunn ein festliches Abendessen. Es lag eine eigenartige Stimmung über der prächtig geschmückten Tafel, die wohl dadurch ausgelöst war, daß zum erstenmal sich die Führer der beiden politischen Welten, Ost und West, an einem Tisch trafen. Was uns Österreicher dabei besonders stolz machte, war, daß in dieser aufgelockerten Abendstunde Österreichs Staatsoberhaupt zwischen den beiden Männern saß, die das Schicksal der Welt in ihren Händen hielten. *

Was wäre selbstverständlicher gewesen, als daß der kleine Beitrag, den Österreich zu diesem weltpolitischen Ereignis leisten konnte, nämlich ein gutes Abendessen, auch wirklich geleistet worden wäre? Die angeblich so weltberühmte Wiener Küche — auch das ist eine „sendungsbewußte“ Überschätzung, der wir Österreicher gerne unterliegen!

— hätte sich gerade bei diesem Abendessen bewähren müssen. Fachleute sahen dem aber mit einiger Sorge entgegen. Es war nämlich zu dieser Zeit allgemein in den Kreisen von Regierung und Diplomatie schon bekannt, daß so ziemlich das schlechteste Essen, das man in Österreich serviert bekommen konnte, dann verabreicht wurde, wenn die Präsidentschaftskanzlei dafür verantwortlich zeichnete. Ein ausländischer Diplomat sagte mir in dieser Zeit einmal, daß man über die schlechte Küche der Präsidentschaftskanzlei auch schon in den Protokollabteilungen der europäischen Hauptstädte bestens informiert sei. Da sich die Situation inzwischen wesentlich gebessert hat, kann man ruhig auch von der Pleite des damaligen Abendessens im Schloß Schönbrunn berichten.

Als Vorspeise gab es gefüllte Paprika in Paradeissauce. Es ist schon fraglich, ob diese Spezialität der Wiener. Küche, einem ausländischen Gast überhaupt-zuzumuten ist. Was dieses-Gericht aber als Vorspeise zu tun haben soll, konnte bis heute nicht geklärt werden. Erfährt man aber nun doch, daß sowohl die gefüllten Paprika wie die Paradeissauce in eiskaltem Zustand serviert wurden

— wahrscheinlich wollte man dadurch den Charakter der Vorspeise symbolisieren —, so kann sich jeder selbst ein Bild von der Begeisterung machen, mit der die in- und ausländischen Gäste des Bundespräsidenten nach der ersten Kostprobe Messer und Gabel wieder weggelegt haben. Als Hauptgang gab es sodann Beefsteak mit Gemüse. Auch hier scheiterte der Versuch, etwas zu essen; denn besagtes Fleischgericht war von einer Härte, die es befähigt hätten, als Sohle für unsere weltberühmten Goisererschuhe zu dienen. Was soll man von diesem völlig verunglückten Abendessen noch weiter erzählen? Es war so schlecht, daß sich niemand mehr geärgert, sondern alles nur gelacht hat. Unsere einzige Mission bei dieser großen Konferenz, ein gutes Abendessen zu servieren, war kläglich verspielt. Wie gesagt, man soll vorsichtig mit missionarischen Berufungen umgehen! Diese kleine Geschichte kann aber nicht geschlossen werden, ohne auf eine andere, allerdings sehr eindrucksvolle Kleinigkeit hinzuweisen. Nach dem oben geschilderten verunglückten Abendessen wünschte Präsident Kennedy die österreichischen Minister persönlich kennenzulernen. Als die Reihe an mich kam, überraschte mich der Präsident mit der Feststellung, daß sich nach seinen Informationen der österreichisch-amerikanische Handel gut entwickle, was die Ziffern der Handelsstatistik bewiesen. Und dann kam das Überraschende: Präsident Kennedy wußte ohne Zuhilfenahme irgendeiner Notiz die wichtigsten Ex- und Importziffern aus dem österreichisch-amerikanischen Handelsverkehr auswendig! Das war eine imponierende Leistung des Mannes, der in dieser Welt die größte Macht in Händen und fürwahr andere Sorgen als die österreichisch-amerikanische Handelsbilanz hatte!

Aus dem Im Herold-Verlag, Wien und München, erschienenen Buch „Im Protokoll nioht vorgesehen“ von Fritz Bock.

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