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Das Haus in der Valle Giulia

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Hunderte, oft einige tausend Menschen ziehen täglich an einem Schrank vorbei, der in der Galerie Urbans VIII. in der Vatikanischen Bibliothek steht. Er enthält außer der Büste, einem Abguß der rechten Hand, den Orden und Auszeichnungen, die Schriften eines Mannes, dem als einzigen neben dem berühmten Erforscher der Katakomben, G. B. De Rossi, bisher die Auszeichnung eines so ehrenden Gedenkens zuteil wurde: Ludwigs von Pastor. Sicher weiß auch mancher österreichische Besucher der yatikanischen Sammlungen nicht, daß dieser Mann, dessen zweiundzwanzigbändige Geschichte der Päpste samt deren Uebersetzung in die großen Weltsprachen er in dieser Vitrine vor sich sieht, von 1902 bis 1928 Direktor des Oesterreichischen Historischen Instituts in Rom war. Er hatte die Leitung als Nachfolger Theodors von Sickel (f 1908), des ersten Direktors dieses 1881 gegründeten Instituts — des ältesten unter den ausländischen historischen Instituten Roms, wenn man von der Ecole Francaise de Rome absieht —, übernommen. Dabei hatte er sich schon als junger Forscher kein geringes Verdienst darum erworben, daß Papst Leo XIII. im Jahre 1879 in großzügiger Weise das bis dahin streng verschlossene Vatikanische Geheimarchiv den Geschichtsforschern der ganzen Welt öffnete und damit auch den Anstoß zur Gründung der verschiedenen ausländischen historischen Institute Roms gab. Als Pastor 1928 — seit 1922 war er zugleich österreichischer Gesandter beim Heiligen Stuhl gewesen — für immer die Augen schloß, wurde sein Nachfolger bis zum verhängnisvollen Jahre 1938 sein Schüler und Mitarbeiter, der bekannte Innsbrucker Gelehrte Ignaz Philipp Dengel (f 1947).

Während der Amerikaner, Engländer, Franzose oder Italiener achtungsvoll vor der Reihe der Bände steht, die der „Geschichtsschreiber der Päpste“ der Nachwelt hinterließ, wird der deutsche und vor allem der österreichische Betrachter, der um diesen Mann und dessen Werk weiß, oft die Frage stellen, was aus dem Institut Pastors, dem Oesterreichischen Historischen Institut, geworden ist. Lebte es nach dem zweiten Weltkrieg wieder auf? Setzt es seine große Tradition fort? Schon 193 5 war es auf Grund eines Kulturabkommens zwischen Oesterreich und Italien zu einem Kulturinstitut erweitert worden, wobei jedoch ausdrücklich festgelegt wurde, daß diese Erweiterung des Historischen Instituts „unbeschadet seiner bisherigen Aufgaben“ erfolgen und daß die Bedürfnisse der Geschichtswissenschaft besonders berücksichtigt werden sollen. Unmittelbar vor der Besetzung Oestereichs im Jahre 1938 konnte das neue, nach den Plänen Prof. Dr. K. Holeys erbaute Haus in der Valle Giulia, wo der italienische-Staat einen Baugrund geschenkt hatte, bezogen werden, um dann bis zum Kriegsende das Deutsche Historische Institut in seine Räume aufzunehmen. Nachher zuerst als Sitz der österreichischen Botschaft beim Quirinal verwendet, öffnet es 1950 unter der Leitung des ehemaligen Unterstaatssekretärs, Sektionschef DDr. Ernst Hefel, einem Absolventen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung in Wien, wieder seine Pforten. In dem 1952 abgeschlossenen, neuen Kulturabkommen“ zwischen Oesterreich und Italien wurde das alte Historische Institut zwar nur noch als Vorläufer des Kulturins,tituts erwähnt, aber die Oesterrcichische Akademie der Wissenschaften und das Institut für österreichische Geschichtsforschung in Wien bemühten sich schon vorher und auch nachher noch mit Erfolg, die Fortführung der alten Tradition sicherzustellen. Gegen Ende des Jahres 1954 übernahm der frühere Leiter der Bundestheaterverwaltung, Sektionschef Dr. Egon Hilbert, die Leitung des Kulturinstituts. Gleichzeitig wurde in Aussicht genommen, die „historische Abteilung“- des Kulturinstituts einem in Oesterreich verbleibenden und nur zeitweilig sich in Rom aufhaltenden, namhaften Historiker zu unterstellen, der in seiner Abwesenheit von Rom vom wissenschaftlichen Sekretär des Kulturinstituts vertreten wird. Als Direktor dieser Abteilung ist der um die Erforschung der Papsturkunden verdiente Vorstand des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Professor Dr. Leo Santifaller, vorgesehen.

Die Zeitungsberichte über die beispiellos rege und erfolgreiche Tätigkeit des Kulturinstituts durch Veranstaltung von Konzerten, Theateraufführungen, Dichterabenden, Filmvorführungen, Vorträgen namhafter österreichischer Wissenschaftler und Männer des öffentlichen Lebens, Organisation von Kunst- und Buchausstellungen usw. könnten vielleicht manchen auf den Gedanken bringen, daß dies auf Kosten der wissenschaftlichen Aufgaben und Arbeiten des Instituts geschehe. Daß dem nicht so ist, geht rein äußerlich schon daraus hervor, daß das Institut Mitglied der Unione Internazionale degli Isti-tuti di Archeologia, Storia e Storia dellArte ist, im Exekutivkomitee für die Herausgabe des Repertoriums der mittelalterlichen Geschichtsquellen und in der Comissone Internazionale per la Bibliografia dell'Archivio Vaticano vertreten ist. Im übrigen entspricht es der Natur wissenschaftlicher Arbeit, daß sie in der Stille geleistet wird und nicht in dem Maße in Erscheinung tritt, wie große Veranstaltungen. Immerhin kann darauf verwiesen kverden, daß sich das Kulturinstitut seit seiner Wiedereröffnung an der Publikation zweier Bände der Nuntiaturberichte aus dem 16. Jahrhundert, die noch im alten Institut vorbereitet worden waren, beteiligte und einen ersten Band seiner eigenen Publikationen herausbrachte, der sich mit der Geschichte des Patriarchenstaates Aquileja, also eines Gebietes ehemaliger österreichischer Herrschaft in Italien, befaßt.

Man hatte sich im alten Historischen Institut von Anfang an um die Ausbeutung der römischen und italienischen Archive und Bibliotheken für die österreichische Geschichte. ' bemüht, anderseits aber in richtiger Erkenntnis der internationalen Bedeutung solcher Arbeiten sich an der Erforschung der Geschichte der universalsten Institution des Mittelalters und der Neuzeit, des Papsttums und der römischen Kurie, beteiligt. Die „Römischen Berichte“ von Th. v. Sickel, die „Mitteilungen aus dem Vaticanischen Archive“, Sickels Untersuchung und Edition des ,Tiber Diurnus“, zahlreiche Veröffentlichungen verschiedener Forscher auf dem Gebiete des päpstlichen Urkunden- und Kanzleiwesens, wie von Diekamp, Donabaum, Fanta, Kaltenbrunncr, Ottenthai, Tangl, Werunsky usw., die „Nuntiaturberichte aus Deutschland“ für die Jahre 1560 bis 1572, die „Publikationen des Oesterreichischen Historischen Instituts in Rom“ und schließlich Pastors monumentale Geschichte der Päpste sind ein sprechender Beweis dafür. '

Bei der Wiedereröffnung des Kulturinstituts knüpfte man in wissenschaftlicher Hinsicht an diese Tradition an. So wurde für die Neuzeit über Anregung des damaligen Präsidenten des Instituts die Veröffentlichung des Schriftverkehrs zwischen dem päpstlichen Staatssekretariat und der Nuntiatur am Kaiserhof in Wien, beginnend mit 1760, in Angriff genommen. Von der Publikationsreihe, die durch die vom Staatssystem des Josephinismus geprägte Zeit der Koalitionskriege und des Vormärz bis zum Abschluß des Wiener Konkordats von 1855 führen soll, sind zwei Bände nahezu vollendet. Sie umfassen die beiden Nuntiaturen Borromeo und Visconti, also die Zeit von 1760 bis 1774. Ziel dieses Unternehmens ist, unter Anwendung einer neuen Methode der Publikation moderner Akten, das ungeheure Material dieser für die allgemeine Kirchengeschichte und die österreichische Geschichte im besonderen so wichtigen Archivbestände der Forschung zugänglich zu machen.

Eine Aufgabe von nicht geringer Wichtigkeit, die zur Zeit der Gründung des Instituts noch nicht aktuell war und ihm nun gerade von seifen des Kulturinstituts zuwächst, wäre des weiteren eine Geschichte der österreichischen Verwaltung in Italien bis zum ersten Weltkrieg.

Für das Mittelalter ging man an die Erforschung und Darstellung einer Geschichte . des päpstlichen Konsistoriums, der aus den Kardinälen sich zusammensetzenden beratenden .Körperschaft des Papstes, und damit einer Geschichte der kurialen. Politik in dem Zeitraum vor Pastors Papstgeschichte, die erst mit der Renaissance einsetzt. Daß die überaus schwierige Quellenlage bisher die Forscher davon.abgeschreckt hatte, macht die Arbeit um so wichtiger und , dringender.. Sp.äter, kam durch“ die Initiative Prof. L. Santifallers und in Zusammenarbeit mit dem Institut für österreichische Geschichtsforschung in Wien dazu noch die Edition der Register Innozenz III'. (1198 bis 1216), die neben einem Bruchstück der Register Johanns VJII. (872 bis 882) und dem berühmten Register Gregors VII. (1073 bis 1085) den ältesten derartigen Bestand des Vatikanischen Geheimarchivs bilden. Hier ist das Ziel eine kritische Ausgabe der in sechs Pergamentbäriden erhaltenen Urkunden und Briefe dieses großen Papstes, die für Empfänger in der ganzen damaligen Welt bestimmt und zu einem großen Teil nur in diesen Handschriften überliefert sind. Es ist einsichtig, daß es sich dabei um eine Geschichtsquelle ersten Ranges handelt. Ein erster Band der Edition ist schon so weit gediehen, daß bald an den Druck gedacht werden kann.

Auch auf dem Gebiete der Kunstgeschichte schritt man nach einer Arbeit über die Gotik in Italien, über Anregung des Vorstandes, des Kunsthistorischen Instituts der Universität Wien, Prof. Dr. Karl M. Swoboda an ein auf längere Sicht geplantes Unternehmen, das bereits von Max Dvofak und Ludwig v. Pastor begründet worden war: die Quellenschriften zur Geschichte der Barockkunst in Rom. Von Oscar Pollak waren die Quellen über die Kunsttätigkeit Urbans VIII. (1623 bis 1644) gesammelt und in zwei Bänden posthum publiziert worden. Nun setzt man die Sammlung des in römischen Archiven und Bibliotheken befindlichen Materials über die Kunsttätigkeit der folgenden Päpste fort.

Der Hauptakzent des wissenschaftlichen Bemühens im Kulturinstitut liegt auf der Geschichte und Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, aber auch archäologische, alt-und prähistorische, philologische, rpmanistische und musikhistorische Forschungen und Studien werden hier von jungen österreichischen Wissenschaftlern betrieben, denen seit 1950 das Bundesministerium für Unterricht über Vorschlag der Oesterreichischen Akademie der Wissenschaften Stipendien für einen Aufenthalt am Kulturinstitut verleiht.

Dem Zuge einer neuen Zeit folgend, hat sich in den 75 Jahren, auf die das Institut heuer zurückblickt, das Feld der Betätigung erweitert, aber es ist trotz der Unterbrechung durch zwei große Kriege seiner ursprünglichen Bestimmung treu geblieben. Das österreichische Institut braucht den Vergleich mit den anderen Instituten Roms nicht zu scheuen.

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