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Das Heil aus den „Lagern“?

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Sprechen wir von den Konzentrationslagern.“ Unter diesem Titel nimmt das intellektuelle Haupt des österreichischen Kommunismus, Ernst Fischer, im .Tagebuch“ Nr. 2 vom 19. Jänner 1950 Stellung zu unserem Artikel „Die Welt ohne FenSter“ („Furche“ Nr. 49 vom 3. Dezember 1949). Ein Thema von Weltbedeutung, ein ernstzunehmender Verfasser. Sein Ziel: er will mit seinem Beitrag zu einer „ernsten Diskussion“ herausfordern, über das KZ im allgemeinen, über die sowjetischen Arbeitslager im besonderen.

Fischer appelliert an den Historiker, von dem er glaubt, aussagen zu müssen, daß er „antikommunistische Behauptungen reproduziert, ohne den Tatbestand genau überprüft zu haben“.

Geben wir also zuerst dem Historiker das Wort, da wir glauben, daß dieser Ernst-Fischers Verteidigung der „Lager“ als Ausdruck einer sehr eigentümlichen historischen Position am objektivsten würdigen kann. Wesen, Stand eines Autors, der hier als historische Quelle zu untersuchen ist, sind nur faßbar innerhalb des spezifischen Raumes, in dem er sich bewegt. Das .Was“ und das .Wie“ seiner Aussagen sind in ihrem Sinn erst erkennbar, wenn man weiß, in welche größere Bezüge sie eingebaut sind. Diese Gesichtspunkte der historischen Forschung erlauben es nun, ebenso Standort, Quellenwert und Bedeutung eines mittelalterlichen Kanonisten, eines islamitischen Theologen zu orten wie auch den des kommunistischen Politikers Ernst Fischer. Es geht deshalb — wir sprechen immer noch als Historiker — nicht an, einen Artikel dieses hochbegabten Literaten über das KZ als ein .Ding an sich“ aufzufassen, er kann vielmehr nur innerhalb des Koordinatensystems jener geschlossenen östlichen Heilswelt des neuen Byzanz verstanden werden. — Aufgabe eines Publizisten — in dieser Heilssphäre — ist es, mit Hilfe dieser allmächtigen Heilslehre die Heilstatsachen ihrer geschlossenen Welt zu erklären, zu deuten und wider alle Angriffe und Einwände tatsächlicher oder sup-ponierter Gegner zu verteidigen. Dieses Wesentliche müssen wir also im Auge behalten: Da die Errichtung von Lagern in der neuen byzantinischen Heilssphäre als ein Politikum ersten Ranges, als eine' strukturelle Notwendigkeit für den Aufbau der Wirtschaft, Gesellschaft, des gesamten neuen Kosmos angesehen wird, kann es einzig und allein Aufgabe eines kommunistischen Autors sein, dieselben mit allen Mitteln des Wortes zu verteidigen.

Besehen wir nun die zwei Hauptargumente Fischers. Er kleidet das erste in die Frage: „Weiß Friedrich Heer, daß der Vertreter der Sowjetunion in der UNO am 28. Februar 1949 den Antrag stellte, eine internationale Kommission von Gewerkschaftern einzusetzen, um in allen Ländern der Erde die Verhältnisse in den Arbeitslagern und die allgemeinen Arbeitsbedingungen zu untersuchen, und daß dieser Antrag von den Westmächten abgelehnt wurde?“ Vergleichen wir diese schwerwiegende Behauptung mit den Tatsachen. In der Sitzung des Rates der UNO für wirtschaftliche und soziale Fragen vom 16. Juli 1949 erklärten sich 18 Stäaten einverstanden mit einer internationalen Untersuchung der „Lager“, der Arbeitsbedingungen usw. in ihren Ländern, worauf der englische Delegierte an den Vertreter der UdSSR die Frage stellte, ob die UdSSR ebenfalls auf ihrem Territorium die Arbeit einer unparteiischen Untersuchungskommission über die Zwangsarbeitslager gestatten würde: .Wird der Vertreter der UdSSR offen auf diese Frage antworten? Man erwartet hier von ihm ein Ja oder ein Nein.“ Der Sowjetdelegierte Arutinian hielt hierauf eine lange Rede über die Vorzüge des sowjetischen Regimes und über die Umtriebe der kapitalistischen und kolonialimperialistischen Nationen. Schließlich zog er sich auf den bereits in der aditen Sitzung desselben Rates von Tsarapkin am 28. Februar 1949 vorgebrachten Gegenvorschlag zurück: dieser fordert die Einsetzung einer internationalen Kommission von Gewerkschaftern zum Studium: 1. der Arbeitslosenfrage in allen Staaten, in denen es noch Arbeitslose gibt, 2. der Lage der Arbeiter in den Kolonien und nicht autonomen Gebieten und 3., und nun kömmt der springende Punkt: Die Kommission soll zu diesem Zwecke die Unterlagen studieren, die ihr die zuständigen Regierungen, Gewerkschaften und anderen Arbeiterverbände über Zwangsarbeitslager zu liefern haben.

Es handelt sich also bei diesem von Ernst Fischer angezogenen Antrag um Büroarbeiten einer internationalen Kommission ...

Zum zweiten Tatsachenargument Fischers: Er führt als Beispiel für den hohen Erziehungswert der sowjetisdien Lager das Läger Bolschewo an, daß er aus eigener Erfahrung kennt. Wir stimmen alldem, was er über dieses Lager berichtet, voll und ganz zu. Verschwiegen wird aber im Bericht unseres geschätzten Dichters, daß es sich hier iri ~ Bolschewo um ein hochqualifiziertes Sonderuntemehmen handelt —, ein gewiß großartiges Experimentierfeld, in dem durch selfcontrol und selfgovernement kriminelle Schwerverbrecher den Weg zu einem neuen Leben finden sollen: ein weltbekanntes Unternehmen, das auch von objektiven Westlern durchaus anerkannt wird (vergl. etwa Paul Reiwald „Die Gesellschaft und ihre Verbrecher“, Zürich 1947). Will Ernst Fischer, um in der Nähe zu bleiben, im Ernst Buchenwald und Sachsenhausen mit dem Eliteunternehmen sowjetischer kriminalogi-scher Forschung Bolschewo vergleichen?

Nun zu den anderen, mehr rhetorischen Argumenten unseres Autors. Im Angriff die beste Verteidigung sehend, fragt er, ob wir mit gewissen barbarischen Relikten im Strafvollzug der westlichen Demokratien einverstanden und ob wir uns mit den faschistischen KZ-Verteidigern identifizieren? Gewiß nicht, wir halten unser bekanntes klares Nein aufrecht, wiederholen es hier nur, um ein Wichtiges anzumerken: kommunistischen Wortführern fällt es schwer, ja ist es genau besehen unmöglich, an ein objektives Interesse ihrer Kontroverspartner zu glauben, da sie selbst nur eine utilitaristisch-partei bezogene Stellungnahme kennen. Deshalb wird auch David Rousset als „ungemein fragwürdig“, mit dem Signum des Heiisgeg-ners also, abgestempelt, deshalb wird seine Forderung nach einer unparteiischen Untersuchung der Lager in aller Welt als Mittel des kalten Krieges der Westler gegen den Osten denunziert, deshalb unterstellt man auch uns eine parteipolitische Stellungnahme für den „imperialistischen Westen“, obwohl wir bereits in unserem ersten Artikel auf Kogons Mahnung verwiesen, daß die KZ-Welt prinzipiell keineswegs auf den Osten beschränkt ist — wir unterstrichen, daß sie eine Versuchung für die gesamte materialistische Moderne darstellt —, für Ost und West, Nord und Süd.

Fischer faßt seine Argumentation in dem Satz zusammen: Die sowjetischen „Lager“ sind im wesentlichen Arbeitslager und als solche Erziehungslager. Er fragt sodann weiter, ob wir den „sozialistischen Grundsatz: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen! für richtig oder für unrichtig“ halten. Wenn ja, ob wir dann nicht auch der Meinung wären, daß „die weitverzweigte Bande von Schmarotzern, Schleichhändlern, Spekulanten, Glücksrittern, Zuhältern, Spionen jeder Fasson“, in Osterreich in Arbeitslager einzuschließen sei, da sie ohne Zwang nie und nimmer zu ehrlichem Erwerb zu bringen wäre! Also: Lager auch in Österreich — ja oder nein?

Ein erstes Wort der Entgegnung: „Schmarotzer“, „Spekulanten“, „Glücksritter“, „Spione jeder Fasson“, das sind so einige Kategorien von Menschen, die den Anfang bei der Einlieferung in die Lager machen sollen —, schon diese völlig unjuridischen Begriffe sind dermaßen dehnbar, daß man darunter vom Gesichtspunkt einer totalitären Weltanschauung aus so gut wie alle Menschen greifen kann —, zumindest alle jene, die sich nicht an die „Linie“ halten, die aus der Reihe des Einheitsvolkswillens tanzen.

Jeglicher Denunziation, jeder Verfolgung wird hiemit die Tür geöffnet —, die Tür, die zu den Toren der Lager führt. Wer bestimmt jene Klassen und Kategorien, die in die Lager einzuweisen sind: das „Volk“ — das „Volk“ der Revolution? Das ;,Volk“ der Volksgerichtshöfe?

Und nun noch eine Antwort: der Satz „wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ steht in der Bibel (2. Thessal. 3, 10) —, er ist jener bedeutende Satz, den die Verfassung der UdSSR gemeinsam mit dem Evangelium hat. Gerade hier aber scheiden sich die Geister, die Weltanschauungen. Wir Christen kennen diesen Satz seit zweitausend Jahren. Als ein von Gott inspiriertes Wort, eine Weisung, den Menschen gegeben. Wir haben in diesen zweitausend Jahren bitleres Lehrgeld für diese Erfahrung zahlen müssen: das Wort Gottes läßt sich nicht mit Zwangsmaßnahmen verwirklichen. Nicht mit „heiligen Reichen“ — und nicht mit „Lagern“, den letzten Säkularisierungen dieser „heiligen Reiche“. Unser Gott, der Schöpfer-Gott der Dreifaltigkeit, ist ein Gott der Freiheit: er hat uns in Freiheit geschaffen und hat uns zur Freiheit berufen, Ihm in Freiheit zu dienen. Mit dieser Freiheit ist die Errichtung von Lagern unvereinbar: mögen diese Lager nun von nördlichen Kopfjägern oder von südlichen Monomanen, von westlichen Imperialisten oder östlichen Totalitaristen geschaffen werden. Wir wiederholen deshalb unsere These — nicht als Aufruf zu Krieg und Kreuzzug, nicht als Marktgeschrei dieser oder jener parteipolitischen Propaganda, sondern als das stille, stete Wort wahren Friedenswillens: für den Menschen der atheistischen Moderne bedeutet das KZ, das Lager in all seinen Schattierungen eine ungeheure Versuchung — es ist die letzte Illusion der Illusionslosen —, es erscheint als die Chance, Welt und Kosmos einem verzweifelten unbändigen Willen, alles zu ändern, zu unterwerfen. Die Chance, Gott auf Erden zu werden. Gott auf Erden? ... dii estis? Die Menschen, die aus den „Lagern“ kommen, sehen nicht nach Göttern aus.

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