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Das internationale Ringen um Erzeugung und Absatz

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So verschieden die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen und Ziele in den USA, Großbritannien, Frankreich und in der Sowjetunion sein mögen, so unverhältnismäßig leicht lassen sich die wirtschaftlichen Bestrebungen dieser vier Großmächte in der Gegenwart auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Wenn auch mit verschiedenen Mitteln und verschiedenen Absichten, so streben doch die vier Regierungen auf dem Gebiet ihrer Volkswirtschaft übereinstsanrrtend und mit gleicher Kraft das Ziel einer allgemeinen Steigerung der Erzeugung an.

In den USA ist die Erhöhung der Ge-*' samtproduktion in sehr hohem Maße von politischen Erwägungen geleitet: das ameri-kanisdie Volk wird solange und soweit für fremde Ideologien, die dem gegenwärtigen System in den USA widersprechen, unempfänglich bleiben, als sein Lebensstandard weiter verbessert werden kann. Je mehr Amerikaner am Erzeugungsprozeß teilnehmen und nicht nur ein regelmäßiges Normaleinkommen, sondern infolge der durch die Höchstproduktion notwendig gewordenen Mehrleistungen und Überstunden ein noch höheres Entgelt erhalten, ein um so größerer Prozentsatz der Bevölkerung kann seinen Lebensstandard erhöhen. Dabei wird durdi die große Pro duktion — nach Befriedigung der kriegsbedingten Übernachf'-age — bald ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage entstehen, der von selbst zu einer Preis srabilisieruns führr Auf der wirtschaftlichen Seite verlangt die Finanzpolitik ge bieterisch eine Mehrproduktion, da die Kaufkraft des Dollars nur erhalten werden kann, wenn auf dem freien Markt der USA das Angebot Zumindestens der Nachfrage voll entsprechen kann. Im gegenteiligen Fall würde die derzeitige Preissteigerung unvermeidbar zur Inflation führen. Die Kaufkraft der Konsumentenschaft ist in den USA überaus groß, da das private Sparkapital derzeit 175 Milliarden Dollar beträgt und der private Aktienbesitz über 30 Milliarden Dollar ausmacht. Diese private Kaufkraft ist heute größer als die gesamte Bruttoproduktion des ganzen Landes in einem Jahr. Die Löhne — am Beispiel eines Bergmannes gerechnet — sind von 20 Dollar pro Woche im Jahre 1937 heute auf 65 bis 70 Dollar gestiegen, der Beschäftigtenstand hat durch die Zunahme der mitverdienenden Familienmitglieder die Rekordhöhe von 57 Millionen Menschen erreicht und die Zahl der Arbeitslosen ist auf den in den USA kaum unterschreitbaren Tiefpunkt von 2,5 Millionen angelangt. Der bekannte Praktiker B a r u c h unterstrich die Bedeutung der Produktionserhöhung in den USA drastisch, als er kürzlich in Südkarolina eine allgemeine Verlängerung der Arbeitszeit bis zum Jahre 1949 forderte.

Wesentlich anders liegen die Verhältnisse in Großbritannien, das durch den Krieg nicht nur seine Gold- und Devisenvorräte zum guten Teile aufgebraucht, sondern auch viele seiner Exportmärkte verloren und schwere Schäden an seinen Produktionsstätten erlitten hat — dennodi aber auf große Importe angewiesen bleibt. Trotz erheblicher Einschränkungen betrugen die Einfuhren im Vorjahre 70 Prozent des Vorkriegsvolumens und werden in diesem Jahr 80 bis 85 Prozent dieser Summe mit einem Wert von etwas über 1,5 Milliarden Pfund Sterling erreichen. Davon werden 350 Millionen durch die USA-Anleihe gedeckt, während für den Restbetrag von fast 1,2 Milliarden Pfund Sterling der Export aufkommen muß. Das bedeutet, daß im laufenden Jahr die Ausfuhrzahlen von 1938 um 140 Prozent überschritten, die Zahlen des Vorjahres um 25 bis 30 Prozent erhöht und mindestens 25 Prozent der gesamten Produktionskapazität für den Export verwendet werden m ü t-s e n. Da andererseits die Vorkriegsproduktion noch immer nicht erreicht wurde, wird die Versorgung des Inlandmarktee noch auf Jahre im Hintergrund stehen müssen. Zur Erhöhung der für diese Zwecke unzulänglichen Beschäftigtenzahl von 18,3 Millionen sollen einige hunderttausend Arbeitskräfte aus den Reihen der DP, der Anders-Armee, der britischen Frauen sowie der Wehrmacht in den Arbeitsprozeß übergeführt werden.

Frankreichs Nachkriegswirtschaft steht im Zeichen des Monnet-Plans, dessen oberster Leitsatz die Erzeugungssteigerung ist: Frankreich soll im Jahre 1950 um 25 Prozent mehr produzieren als in dem bisherigen Rekord jähr 1929. Die Auerüstung und der Aufbau der eigenen Produktionsindustrie, die Bezahlung der importierten Rohmaterialien und die Versorgung des Inlandmarkts sind die Hauptziele der Erzeugungssteigerung. Der Monnet-Plan wird etwa 2250 Milliarden Francs erfordern, zu deren Abdeckung das Land bisher Anleihen für 2,8 Milliarden Dollar aufgenommen und um Kredite für 0,5 Milliarden Dollar angesucht hat. Der Plan rechnet mit einem Defizit an Arbeitskräften derzeit von 1,25 Millionen Menschen, von denen 480.000 bis Ende 1948, 220.000 bis 1950 und überdies 550.000 für die zu entlassenden Kriegsgefangenen erforderlich sind. Mit diesen Arbeitskräften und den angeforderten Geldmitteln soll über eine Rekordproduktion des Jahres 1950 die Wiedereingliederung Frankreichs in die Weltwirtschaft erreicht werden.

In der Sowjetunion spricht die unbedingte Forderung einer ständigen Produktionserhöhung als das leitende Motiv der sowjetischen Wirtschaftspolitik ebenso aus dem Prinzip der Leistungslöhne, wie aus jeder Bestimmung des Fünfjahrplans, der im wesentlichen nichts anderes ist wie die Summierung geplanter Produktionserhöhungen. Dem 'gleichen Prinzip dient auch die Zuweisung des größten Postens (102 Milliarden Rubel) des gegenwärtigen Budgets (319 Milliarden Rubel) an die nationale Wirtschaft und dort wieder die Ausgabe von 64 Milliarden Rubel für die Sowjetindustrie. Neben der wiederholten Aufforderung an den Sowjetarbeiter, besser und mehr zu arbeiten, steht die Erhöhung der Produktionskapazität durch das Verdopplungsprinzip beim wirtschaftlichen Wiederaufbau. Obwohl viele Produktionsstätten vor dem deutschen Einbruch nach dem Osten gerettet werden konnten und in der Zwischenzeit dort ihre volle Leistungsfähigkeit erreicht haben, werden an den alten Erzeugungsplätzen im russischen Westen die gleichen Anlagen mit womöglich noch größerer Kapazität neu aufgebaut. Der Bedarf des Inlandmarktes ist seit jeher überaus groß und durch die persönliche Berührung des russischen Soldaten mit dem mitteleuropäischen Lebensstandard nur noch größer geworden. Die Regierung ordnete daher im Dezember 1946 die Beschleunigung der Verbrauchsgütererzeugung an und reihte diese in die erste Dringlichkeitsstufe ein, die bis dahin von der Schwerindustrie besetzt war. Das Interesse an einer Produktionserhöhung für Ausfuhrzwecke, beziehungsweise zur Sidie-rung der Währung ist wesentlich geringer als in den Weststaaten, obwohl auch in der Sowjetunion seit Kriegsende inflationistische Erscheinungen wahrzunehmen sind, die aber natürlich nicht auf ein Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, sondern auf eine Erhöhung der Produktionskosten zurückgehen. Diese ist auf eine verminderte Wirksamkeit der industriellen Ausrüstung durch die gesteigerte Abnützung während des Krieges, zum Teil auch auf deren schlechtere Qualität und auf eine gewisse Nachkriegserschöpfung der Arbeiter zurückzuführen, deren Arbeitszeit bei Kriegsbeginn einheitlich um drei Stunden pro Tag erhöht wurde und die jetzt wieder mit acht Tanzstunden festgesetzt ist.

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