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Das jüdische Museum in Prag

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IN PRAG BEFINDET SICH DIE ÄLTESTE Synagoge Europas, und in Prag drehen sich die Zeiger einer Uhr auf dem jüdischen Rathaus in der verkehrten Richtung; auf dem Zifferblatt dieser Uhr sind keine Zahlen, sondern Buchstaben des hebräischen Alphabets. Und in Prag besteht bis heute ein alter jüdischer Friedhof; auf einer Parzelle, die kaum für ein größeres Haus genügen würde, mußte man die Toten schicht-

weise begraben; ein Ghetto für die Hingeschiedenen. In insgesamt 11 Schichten, bis man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgehört hat, den Friedhof zu benützen. Das heißt für Bestattungszwecke, für ©inen anderen Zweck benützt man ihn noch heute; oder vielleicht eben heute. In Prag steht neben dem neuen Rathaus ein schreckliches Denkmal des berühmtesten aller Prager Rabbiner, des Raw Löw. An den Rabbi schmiegt sich eine nackte Frauengestalt; es ist kein Denkmal eines Rabbiners, es ist das Denkmal eines Teufels — oder eines Juden, der eben ein christliches Kind um- bningt, um Mazzoth zu backen ...

DIE DEUTSCHEN BEABSICHTIGTEN, in Prag ein jüdisches Museum zu gründen, ein Museum der Rasse, die ausgerottet wurde. In Prag besteht heute ein Staatliches Jüdisches Museum; ein Museum einer Rasse, die zwar nicht ausgerottet wurde, in der Tschechoslowakei aber fast aufgehört hat zu bestehen. Diesem Museum gehört nicht nur die älteste Synagoge und der 1000jährige Friedhof, und nicht nur eine einmalige Sammlung von Gegenständen jüdischer sakraler Kunst, dem Museum gehört — obzwar nicht offiziell — auch die ganze jüdische Gemeinde, das Judentum in Prag an. Das Judentum wurde dort zu einem Exponat, zu einer Attraktion für Touristen — wie die Indianer in den Vereinigten Staaten, die in Reservaten leben. Oder wie in verschiede nen mitteleuropäischen Ländern die Bären; man darf sie nicht ausrotten; damit sie auch für die nächsten Generationen bleiben. In Prag leben die Juden in einem Reservat, man darf sie nicht ausrotten, nicht um sie für die nächsten Generationen zu bewahren, sondern um die Touristen anzulocken.

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ALS ICH ZUM ERSTENMAL IN DIE alte Synagoge kam, stand ge rade neben dem Schrein eine kleine Truppe von Touristen, eine Frau und zwei Männer, und eine Führerin gab ihnen Erklärungen in englischer Sprache: „Diese Synagoge’1, sagte sie, „wurde um das Jahr 1270 im früh-ortfiöfilion St of Kant “ Ti Sh Ar Hör

Männer hatte einen Hut auf, der zweite war ohne Kopfbedeckung. Als die Führerin auf einen Augenblick ihre Erklärung unterbrach, fragte ich, ob es hier nicht Pflicht sei, das Haupt zu bedecken und zeigte auf die Mützen, die beim Eingang vorbereitet lagen. Und der bloßköpfige Engländer wollte hingehen, sich eine Mütze holen. Die Führerin jedoch mengte sich ein: „Nein“, sagte sie, „nur während des Gottesdienstes muß man den Kopf bedecken, sonst kann man ohne Kopfbedek- kung bleiben...“ Und setzte Erklärungen fort: „Das handgeschmiedete Gitter in der Mitte der Synagoge stammt aus dem 15. Jahrhundert ...“ In meinen Ohren klang jedoch noch der vorherige Satz: sonst kann man ohne Kopfbedeckung ...“ Das heißt, dachte ich, daß auch während des Gottesdienstes Touristen die Synagoge besichtigen können. Und die Führerin flüstert ihnen wahrscheinlich zu: „Die Synagoge wurde um das Jahr 1270 im frühgotischen Stil errichtet...“ Die Besucher müssen sich zwar ein wenig anstrengen, um ihre Worte zu hören, dafür aber hören sie die Erklärungen beim Akkompagnement eines alten Nigun.

„Und wird hier nicht täglich gebetet?“ fragte ich. „Nein“, erklärte man mir, „nur Freitag abend und samstags ..."

Und damals kam ich auf die Idee, daß man vielleicht überhaupt nur betet, um die Touristen anzulocken. Um die Synagoge zu besichtigen, muß man Eintrittskarten lösen; vielleicht, dachte ich, sind die Eintrittskarten Freitag abends und Samstag früh teurer?

DAS TOR ZUM ALTEN FRIEDHOF passierte zusammen mit mir eine Gruppe von Touristen, die in einem Autobus gekommen sind, und unter ihnen ein junges Paar aus Deutschland, welches vor Prag Paris besucht hatte. Diese Gruppe wurde durch eine nichtjüdische Fremdenführerin durch den Friedhof geleitet; später erfuhr ich, daß die Führerin einen Doktortitel besaß. Als wir bei einem Grabstein, auf dem ein Fisch abgebildet war, vorbeigingen, sagte die Führerin:

„Es gibt hier mehrere Grabsteine mit diesem Zeichen; es scheint, daß der Verstorbene Karpeles geheißen hat; dieser Name war hier sehr

Vtüivficr (t

„Ein Fisch“, bemerkte ich, „ist bei rüden ein Zeichen der Stille, also les Todes ...“

„Ich berufe mich“, erwiderte die ?ührerin, „auf Dr. Otto Muneles, der ün Buch über diesen Friedhof verlaßt hat. Er ist der Ansicht, daß die Zeichnungen auf den Grabsteinen nit den Familiennamen der Toten n Zusammenhang stehen. Ein Fisch ilso bedeutet Karpeles oder Fischer ..

Sie führte uns zum Grabstein von David Gans (ein Gelehrter, der im fahr 1613, also vier Jahre nach dem labbi Jehuda Liba Ben Betzalel, rnter dem Namen Löw bekannt, geworben ist); auf dem Stein sah man iber einem Davidstern einen Vogel, nöglicherweise eine Gans...

Es wurde uns erzählt, daß es Tage gibt, an denen bis zu 6000 Personen ien Friedhof besuchen. Die junge Deutsche, die aus Paris kam, wandte lieh an ihren Gefährten und lästerte ihm zu: „Wie auf der 3lace Pigalle ..

Die Besucher kommen meistens in Autobussen, wie auf der Place Pigalle; diese Busse jedoch gehören der tschechischen Reisegesellschaft „Cedok“ und die Wartezeit (der Autobusse) ist kürzer, als an der Place Pigalle. Ich bin lange zwischen den Gräbern herumgegangen und versuchte zu erraten, was die Touristen zu diesen toten Juden zieht. Vielleicht, dachte ich, das Alter des Friedhofes, vielleicht das Gedränge der Grabsteine, der Toten; es ist ja ;in Friedhof nur mit Stehplätzen. Aber vielleicht zieht sie die Geschichte vom Golem vom Rabbi Löw an; denn nichts hat so eine Anziehungskraft wie Legenden...

NEBEN DEM ALTEN FRIEDHOF befindet sich die Pinkassynagoge, welche die Tschechen dem Gedenken der Opfer der Verfolgung gewidmet haben. Vier Jahre zeichneten zwei akademische Maler auf den Wänden der Synagoge die Namen der Opfer; 77.297 Familiennamen, Vornamen und Geburtsdaten — damit niemand verwechselt wird. Die sorgfältig und ästhetisch gezeichneten Namensverzeichnisse bedeckten sie mit Chemikalien, die sie vor Witterungseinflüssen schützen sollten, damit sie nicht beschädigt werden und der Zukunft erhalten bleiben. Es zeigte sich jedoch, daß die Verzeichnisse nicht von außen, von den Wetterverhältnissen, sondern von innen, von der Feuchtigkeit in den Wänden und noch mehr von der Feuchtigkeit der Friedhofserde, die die niedrigen Wände teilweise bedeckt, beschädigt werden.

Ich weiß nicht, warum die Tschechen das alles gemacht haben; möglicherweise aus Liebe, aus Sympathie zu den Verfolgten, möglicherweise aus Haß, aus Protest gegen die Verfolger, es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß das einfach zu einem Museum gehört, daß es ein solches Museum der Rasse, die in der CSSR zur Vergangenheit gehört, ergänzt.

Manchmal passiert es, daß ein tschechischer Jude, der die Pinkas- synagoge in Prag besucht, zu schreien beginnt; er hat in den Verzeichnissen seinen Namen entdeękt, seinen Vornamen, Geburtsdatum, es unterliegt keinem Zweifel, daß es sich um ihn handelt, daß er gemeint ist! Er konnte sich retten und er lebt aber! In solchen Fällen entfernt man seinen Namen, und in den Verzeichnissen, auf den Wänden, bleiben weiße Flecken, die nicht die Feuchtigkeit verursacht hat. Und auch ich, als ich die prachtvollen Museen in Prag besichtigte, hatte Lust gehabt zu schreien: „Da ist ein Irrtum unterlaufen. Begrabt uns nicht, auch nicht in diesen Museen voller Kostbarkeiten, denn ein Museum ist auch ein Grab. Und wir haben uns gerettet! Wir leben! Am Israel Chaj!“Stämme und vor allem die Bestimmung aus der Verfassung entfernt werden, wonach jede Beschränkung des Wahlrechtes und jede Verfassungsänderung verboten ist.

Die geplanten Maßnahmen werden das Leben und die Rechte der afrikanischen Bevölkerung von Südrhodesien entscheidend beeinflussen. Wenn bisher das Kabinett Smith in Salisbury sich bemüht hat, wenigstens nach außen hin den rechtsstaatlichen Grundsätzen zu folgen, so verfolgt es jetzt seine Absichten völlig unverfroren: aus Südrhodesien ein zweites Südafrika zu machen, wo allein die Hautfarbe über die soziale Stellung entscheidet.

Zwischen zwei Feuern

Dieser Schritt Ian Smiths kann die Stellung der britischen Regierung auf der Jahreskonferenz der Premierminister der Commonwealthländer beeinträchtigen, die in London am 6. September begonnen hat. Einerseits kann Harold Wilson nunmehr etwaige Vorwürfe, Großbritannien „verkaufe“ die afrikanische Mehrheit den weißen Siedlern von Südrhodesien, unter Hinweis auf den Abbruch der Kontakte aibwehren. Anderseits werden voraussichtlich die überseeischen Mitglieder des Commonwealth ihren Druck auf London verstärken, wirksame Mittel gegen Ian Smith und seine Nationale Rhodesiilsche Front zu ergreifen. Der Präsident von Zambia, Kaunda, wird — sofern er überhaupt an der Tagung teilnimmt — seine Forderung nach militärischer Intervention Großbritanniens wiederholen und darin sicherlich bei den afrikanischen und asiatischen Delegierten viel Sympathie finden. Wenn schon keine militärische Aktion, dann möchte die große Mehrheit der Commonwealthländer wirklich spürbare Sanktionen unter dem Schirmmantel der UNO sehen. Beide Forderungen wird Harold Wilson, wie in der Vergangenheit, wahrscheinlich ablehnen. Die engstirnige Haltung der weißen Siiedler kann daher sehr wohl die Auflösung des Commonwealth zumindest beschleunigen, wenn nicht sogar unmittelbar herbeiführen. Auf diese Weise wäre eine der wichtigsten außenpolitischen Linien, welche zu verfolgen der Premierminister vorgibt, ad absurdum geführt: die Stärkung des Commonwealth.

Die rhodasisehe Frage ist so vielschichtig, daß man sie nur andeuten kann. Ihre Wichtigkeit für Großbritannien dürfte aus der letzten Feststellung hinlänglich erhellt worden sein: Hier liegt ein echtes Dilemma vor, und man kann die gewisse Unentschlossenheit Harold Wilsons verstehen. Ein falscher Schritt, und das Commonwealth gehört ebenso wie dais Imperium der Vergangenheit an; damit aber auch jede Anstrengung aller Nachkriegsregierungen Großbritanniens, eine weltpolitische Rolle zu spielen, war doch London nicht etwa wegen seiner Tradition Mitregisseur des internationalen Mächtespiels, sondern wegen der mehr als 600 Millionen Menschen, die dais Commonwealth umfaßt. Die 55 Millionen des „Mutterlandes“ reichen bei weitem nicht us, diiese Rolle auszufüllen.

Anatomie eines Zwistes

Deshalb soll hier in wenigen Strichen die Anatomie des Zwistes um Südrhodesien beschrieben werden.

In dem Land, das nach britischer Meinung sich noch immer im Status einer Kronkolonie mit Selbstverwaltung befindet, nach mhodesiischer Auffassung hingegen ein unabhängiger Staat ist, leben rund vier Millionen Einwohner. Davon sind 3,9 Millionen Neger. Nur 217.000 Personen sind europäischer Herkunft. Auf einem Weißen entfallen in Südrhodesien also 18 Neger. Nur die weißen Bewohner dürfen wählen. Die eingeborene Bevölkerung wird für ein allgemeines Wahlrecht als zu unreif bezeichnet. Etwa ein Viertel der weißen Einwohner kam erst nach dem zweiten Weltkrieg in das Land. Die Mehrzahl der europäischen Einwanderer und ihrer im Land geborenen Nachkommen lebt von der Landwirtschaft; sie bewirtschaftet riesige Farmen. Hauptsächlich wird Tabak angebaut. Nur ein Bruchteil des Bodens gehört den Afrikanern.

Dais politische Problem Südrhodesith begann sich schon vor zehn Jahren; abzuzeichnen. Die britische Regierung glaubte mit der Zentralafrikanischen Föderation eine Lösiang gefunden zu haben. Sie schien zunächst durch den Gang der i

Ereignisse auch bestätigt zu werden. Gemäßigte Politiker wie Whitehead und Welensky wollten in kleinen, fein dosierten Abmessungen den weißen Siedlern die bittere Pille der politischen Gleichberechtigung der eingeborenen Bevölkerung eingeben. Als den weißen Siedlern bewußt wurde, worum es ging, wurden sie ihren politischen Führern untreu und gründeten eine neue politische Partei, mit dem Ziel, ihre Vorherrschaft langfristig abzusichern. Den Weißen ging es nämlich nicht nur um wahlrechtliche Angelegenheiten, sondern um den Fortbestand der sozialen Ordnung und auf diese Weise ihrer bisherigen wirtschaftlichen Existenz.

Wirtschaftsbasis: Wanderarbeiter

Wie Südafrika, basiert auch Rhodesiens Wirtschaft auf der billigen Arbeitskraft. Die Arbeiter wandern vorübergehend vom Dorf in die Stadt und arbeiten in Bergbau- oder Industriebetrieben. Die Abwanderung vom Dorf hemmte die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend. Schon 1944 meinte Sir Godfrey Huggins (später Lord Malvem), daß die europäischen Siedler auf die Wanderarbeiter angewiesen seien und sie deshalb fördern müßten. „Die Siedler behaupten“, so führte vor mehr als 25 Jahren Sir Godfrey aus, „daß sie ohne eingeborene (billige) Arbeitskräfte keine fünf Minuten existieren können. Er (der Wanderarbeiter) ist wesentlich für unsere Lohnstruktur, wenn nicht für mehr.“ Falls die Wirtschaft nach europäischen Maßstäben, daß heißt mit Löhnen, wie sie ein Arbeiter in England erhält, kalkulieren müßte, könnten die meisten Betriebe zusperren. An dieser Feststellung ist manches etwas übertrieben, aber ein Großteil gilt auch heute noch, zumindest für die Höhe der Gewinnrate. Nach einer Schätzung der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1958 zahlte die rhodesische Industrie (einschließlich der nordrhodesischen) im Jahre 1945 den Afrikanern Löhne von insgesamt 1,4 Milliarden Pfund Sterling, erzielte aber einen Bruttogewinn von 5,5 Milliarden Pfund Sterling. Im Jahre 1956 war die Lohnsumme auf 6,4 Milliarden Pfund Sterling, die Summe der Bruttogewinne hingegen auf rund 80 Milliarden Pfund Sterling gestiegen. Während die Löhne also auf etwa das Fünffache sich erhöhten, wuchsen die Bruttogewinne auf das Fünfzehnfache.

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