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Das Kärntner Slowenenproblem

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Der Königsgedanke der Pariser Vororteverträge, die den Krieg von 1914/18 liquidierten, war die Durchführung der Nationalstaatsidee. Sie setzt voraus, daß Staats- und Volksgrenze einander angeglichen werden können. Dies war wohl in Westeuropa möglich, je weiter man sich aber nach Osten bewegte, um so mehr Schwierigkeiten ergaben sich infolge der Gemengelage der Völker in verschiedenen Staatsgebieten. Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu den neuen Nationalstaaten sollten den Ausweg bilden. Doch auch sie konnten keine restlose Erledigung bringen: Millionen von Menschen verblieben als nationale Minderheiten, für deren Schutz eigene Verträge zu sorgen hatten.

Eine Volksabstimmung dieser Art war jene, die unter der Aufsicht einer internationalen Komimission am 10. Oktober 1920 im gemischtsprachigen Teile Kärntens stattfand, einem Gebiete, auf welches das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen Anspruch erhoben hatte. Die besondere Bodengestaltung dieses österreichischen Bundeslandes, die es als eine durch hohe Gebirge von Südslawien abgetrennte Einheit erscheinen läßt, die jahrhundertalte kulturelle Lebensgemeinschaft seiner Bewohner und seine wirtschaftliche Geschlossenheit bewirkten, daß sich die Bevölkerung der Abstimmungszonen mit überwiegender Mehrheit — mit 22.025 gegen 15.279 Stimmen — für den Verbleib bei österreidi entschied, trotzdem dieses auch damals arm war. Die slowenische Minderheit hat also im Jahre 1 9 2 0 selbst über ihre staatliche Zugehörigkeit entschieden und damit den. Ver lauf der südslawisch-österreichischen Grenze in zweifelfreier Weise festgelegt. Die feierliche Erklärung der Großen Vier, Österreich innerhalb seiner Grenzen von 1937 wiederherzustellen, brachte für die Gegenwart eine neuerliche Bekräftigung dieser Grenze.

Gleichwohl blieb hier wie anderswo das Problem einer nationalen Minderheit bestehen. Es war selbstverständlich, daß ihre kulturellen und politischen Rechte gewahrt und gepflegt werden mußten. Schon die Staatsgrundgesetze der österreichisch-ungarischen Monarchie stellten ihre Staatsbürger ungeachtet ihrer Nationalität vor dem Gesetze gleich. Darüber hinaus konnte die Minderheit die Schutzklauseln des Friedensvertrages von St.-Germain für sich in Anspruch nehmen. Daß es trotzdem Unstimmigkeiten gab und gibt, liegt in der Natur der Sache • und in dem Umstände, daß auch das gewiß einwandfrei demokratische Mittel einer Volksabstimmung in der Zahl der Überstimmten einen Kern von Unzufriedenen und Vergrämten zurückläßt. In Kärnten fand diese „Minderheit in der Minderheit“ ihren politischen Ausdruck in der „Koroska slovenska stranka“, der Partei der Kärntner Slowenen, die in den Wahlen, die zwischen 1921 und 1938 abgehalten wurden, mit nahezu mathematischer Genauigkeit immer die gleiche Zahl von rund 9800 Stimmen aufbrachte und damit zwei Landtagssitze errang. Das ergibt für ihre Gesamtheit, wenn man auf jeden Wahlberechtigten durchschnittlich zwei Nichtwahlberechtigte rechnet, eine Kopfzahl von rund 30.000, zu der noch die Säumigen und Wahlunwilligen zu rechnen sind. Zusammengenommen käme man also auf eine Ziffer von 37.000, das ist auch ungefähr die Zahl jener Personen, die sich nach der amtlichen Volkszählung vom Jahre 1923 in Kärnten zur slowenischen Sprachgemeinschaft bekannt haben (37.224). Der slowenischen Sprache mächtig ist natürlich eine größere Anzahl von Kärntnern. Aber diese fühlen sich nicht als nationale Slowenen und nidit als Minderheit.

In dieser Spaltung-, der slowenisch Spre-dienden liegt seit jeher die größte Schwierigkeit für eine allseits befriedigende Lösung des Minderheitenproblems in Kärnten. Es ist das eine Frage, die im Schöße der Volksgruppe selbst bereinigt werden müßte. Sie kompliziert sich noch dadurch, daß die politisch aktive Slowenengruppe, mit dem Ressentiment der Niederlage in der Volksabstimmung belastet, dem österreichischen Staate nicht fest verbunden ist. Um ihre zahlenmäßige Geringfügigkeit wettzumachen, nehmen sie die Mehrheit Andersgesinnter für sich in Anspruch, indem sie deren Recht, aus freiem Willen über ihre nationale Zugehörigkeit zu entscheiden, bestreiten. Sie verlangen, daß nicht der Wille der Einzelpersönlichkeit maßgebend sei, sondern die nationale Zugehörigkeit nach sogenannten „objektiven Merkmalen“ bestimmt werde, also nach Prinzipien, wie sie etwa die berüchtigten „Nürnberger Gesetze“ auf das Judenproblem anwandten. Es erklären sich daraus aber auch die Differenzen, die sich in den Ziffern des Personenstandes der slowenischen Minderheit zeigen, je nach den Quellen, aus denen sie schöpfen.

Wenn nun die Mehrheit der Kärntner Slowenen den Separatismus der Minderheit ablehnt, ist sie deswegen doch nicht gewillt, auf kulturelle Eigenheiten und ihre Pflege zu verzichten. Es ist auch bei ihnen üblich, das Slowenische als Haussprache mit den Kindern, dem Gesinde und den Handwerkern zu gebrauchen. Die Kinder kommen daher vielfach ohne Kenntnis der deutschen Sprache zur Schule. Wenn nun auch die Eltern aus verständlichen Gründen immer den größten Wert darauf legen, daß ihre Kinder das Deutsche erlernen, ist es doch nötig, zumindest in den ersten Jahren des Volksschulunterrichtes, sich des Slowenischen zu bedienen und überhaupt die Pflege dieser Sprache als der eines benachbarten Volkes zu pflegen, zumal auch rein kulturelle Momente das erfordern. Das Thema des muttersprachlichen Unterrichtes ist daher aus den Gesprächen mit der Minderheit niemals wegzudenken gewesen — (ausgenommen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, die auch den Slowenen gegenüber eine solche schärfster Unterdrückung war). Die Lösung wurde im Wege der utra-quistischen Schulen gesucht, denen ein Lehrplan ähnlich dem zugrunde lag, wie ihn die romanischenPrimarschulen des SchweizerKantons Graubünden verwenden. Darin ist eine ausreichende Berücksichtigung der slowenischen Spradie vorgesehen. An den höheren Schulen wird sie als allgemeiner Freigegenstand gelehrt. Nach der Statistik des Kärntner Landes-schulrates von 1931 dienten diesem Zwecke im Volksschulwesen 76 utraquistische Schulen mit 208 Klassen, an denen 10.575 Kinder von 206 Lehrern unterrichtet wurden. Von diesen waren 126 in slowenischer Spradie geprüft, 34 hatten slowenische Sprachkenntnisse: noch kein idealer Zustand, aber doch nicht ein Zeichen für eine Unterdrückung! Seit der Befreiung Österreichs wurde eine bedeutende Verbesserung des slowenischen Unterrichtswesens getroffen und die Kenntnis des Slowenischen in den gemischtsprachigen Teilen des Landes auch für die deutschen Kinder obligatorisch erklärt, um die beiden Volksteile einander noch mehr zu nähern.

Ähnlich ist die Lage auf den anderen Gebieten des Lebens. Die Slowenen haben ihre eigenen kulturellen und wirtschaftlichen Organisationen. Wenn im Gefolge des

Nationalsozialismus die eine oder andere Organisation aus verwaltungstechnischen Gründen noch unter öffentlicher Verwaltung steht, wird sich das bald ändern. Auch die Presse ist frei und die slowenische Sprache bei Gericht zugelassen. Weitergehende Maßnahmen für die Minderheit werden seit langem erwogen. Daß sie nicht zur Durchführung kamen, war vor 1938 zum allergrößten Teile die tragische Schuld jener unruhigen Elemente, die die deutliche Sprache der Volksabstimmung nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Eine solche Haltung hat verhindert, daß den Kärntner Slowenen schon im Jahre 1929 eine kulturelle, Autonomie gegeben wurde, die von den großzügigsten Gedanken getragen war. Unter Berücksichtigung der inneren Spaltung des slowenischen Teües der Kärntner Bevölkerung und der Tatsache, daß sie zum überwiegenden Teile in Streusiedlung lebt und eine volle regionale Erfassung aus diesem Grunde unmöglich ist, liegt eine Schwierigkeit, des Minderheiten -Problems schon darin, den Umfang der Gruppe festzustellen, die betreut werden will. Es ist dies nur im Wege eines personellen Bekenntnisses möglich. Der Gesetze t-wurf über die Kulturautonomie sah deshalb die Anlage eines Volksbuches vor, in das sich die Angehörigen der Minderheit frei von allem Zwang einzutragen gehabt hätten. Diese selbstverständliche Forderung genügte, um das ganze Projekt zu Fall zu bringen. Es wurde schließlich zurückgestellt. Bs sollen nun neuerliche Versuche unternommen werden, eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Jedenfalls kann einwandfrei festgestellt werden, daß der ernste Wille vorhanden ist, die für alle Teile beste Lösung zu finden, soweit eine solche überhaupt noch erforderlich ist. Es werden dafür vom Lande sogar materielle Ofer gebracht werden, die angesichts der numerischen und wirtschaftlichen Schwäche der Minderheit unerläßlich sein werden. Die ganze Situation würde eine wesentliche Erleichterung erfahren, wenn nicht immer wieder die Gefahr einer Gebietsbeeinträchtigung Kärntens aufsdiiene.

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