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Das Kind im Scheidungsprozeß

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Durch ein Urteil auf Scheidung der Ehe werden nicht nur die Rechtsverhältnisse der Eheleute, sondern auch die der Kinder empfindlich betroffen. Denn nach der Scheidung wird das Kind entweder auf Grund einer Vereinbarung der Eltern oder einer Verfügung des Pflegschaftsgerichtes dem einen Elternteil in Pflege und Erziehung überwiesen, während dem anderen Eltemteil ein mehr oder weniger beschränktes Besuchsrechl oder dergleichen verbleibt Und doch statuiert unser Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch eine Reihe von Pflichten der Eltern dem Kind gegenüber, die ebenso als Rechte des Kindes gegenüber seinen Eltern aufgefaßt werden können. Die Pflichten der Eltern bestehen unter anderem darin, daß sie die Kinder gemeinschaftlich erziehen und ihre Handlungen einverständlich leiten. Die gemeinsame Ausübung der Erziehung durch die Eltern ist daher ein im Gesetz normiertes Recht der ehelichen Kinder auf elterliche Fürsorge.

Durch die Folgen der Scheidung

wird nun der Grundsatz, daß die Eltern die Kinder vereint ernähren und erziehen sollen, durchbrochen Die Zuweisung des Kindes an den einen oder anderen Eltemteil beraubt das Kind eines seiner wichtigsten Rechte, nämlich der gleichzeitigen Erziehung durch beide Elternteile. Auch davon abgesehen muß von einer pädagogischen unc sozialen Schlechterstellung der Kinder aus geschiedenen Ehen gegenüber solchen, die in ihrer Familie aufwachsen, gesprochen werden.

Das Interesse des Kinde

Diese Nachteile der Scheidung füi das Kind sind so bekannt, daß sic nicht weiter ausgeführt werden müssen, und es entsteht die Frage, wie diese Nachteile durch den — füi Kinder aus geschiedenen Ehen zuständigen — Pflegschaftsrichter vor dem Kind abgewendet oder gemildert werden können.

Dies ist nach dem Gesetz schwel oder kaum möglich, wenn einmal die Ehe der Eltern geschieden ist, da da Gericht ja erst hinteiher, wenn ein

Situation unleidlich geworden ist, angerufen weiden kann. Da nun das Pflegschaftsgericht das gesetzliche Recht und die Pflicht hat, von amts- wegen alles zu unternehmen, was dem Wohl des Kindes, das ja unter dem besonderen Schutz der Gesetze steht, dient, hat ein Wiener Pflegschaftsrichter (der auch durch seine wissenschaftlichen Publikationen bekannte Landesgerichtsrat Dr. Hans Köhler) einen Weg gefunden, die Interessen des Kindes vorbeugend zu schützen, indem er zu Beginn des Scheidungsprozesses einen Kolli- sionskurator für ein Kind bestellt und ihn angewiesen hat, dem Ehescheidungsprozeß namens des Kindes als Nebenintervenient auf Seite des beklagten Elternteiles beizutreten.

Das Prozeßrecht gibt nämlich einer Person, die an einem Rechtsstreit zwar nicht beteiligt ist, jedoch ein rechtliches Interesse am Obsiegen eines der beiden Teile hat, die Möglichkeit, als Nebenintervenient am Prozeß teilzunehmen. Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient dann, wenn die Entscheidung in einem Prozeß unmittelbar oder mittelbar auf seine privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt. Als solches rechtliches Interesse wird man auch ein familienrechtliches ansehen müssen. Es ist keine Frage, daß das Kind ein Interesse hat, daß die Ehe seiner Eltern nicht geschieden wird. Das Interesse des Kindes an der Aufrechterhaltung der Ehe wird der Kollisionskurator durch seine Beteiligung am Scheidungsverfahren zu wahren haben, indem er durch Vorbringen oder Bestreiten von Tatsachen, durch Führung oder Bekämpfung von Beweisen, durch Einlegung von Rechtsmitteln usw. auf Abweisung der Klage hinwirkt. Vor allem wind er auf den die Scheidung begehrenden Eltemteil einzuwirken haben, daß dieser von der

gesetzlichen Möglichkeit der Verzeihung von Eheverfehlungen Gebrauch mache. Nicht zuletzt wird der im Scheidungsprozeß intervenierende Kollisionskurator darauf zu achten haben, daß den in der Form unzulässigen, der Sache nach um so häufiger praktizierten einverständlichen Scheidungen (bei denen ein Teil irgendeine Eheverfehlung behauptet, der andere Teil sie ohne weiteres zugibt, und auch ein gefälliger Zeuge dem Gericht vorgefüihrt wird) durch eine kritischere Beurteilung der Tat- und Rechtsfrage ein Riegel vorgeschoben wird.

Neuland

Eine solche Tätigkeit des Kolli- sioniskurators des Kindes im Scheidungsprozeß der Eltern ist nicht so neu, wie sie aussehen mag, bestand doch bis zur Einführung des natio

nalsozialistischen Ehegesetzes im Jahre 1938 des Instituts des Verteidigers des Ehebandes. Ein solcher mußte von amtswegen jedem Scheidungsprozeß beigezogen werden, mit der Aufgabe, die für die Scheidung geltend gemachten Argumente zu bekämpfen und die für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechenden Umstände geltend zu machen, und zwar nicht nur in erster Instanz, sondern auch durch Berufung an das höhere Gericht. Die Nebenintervention zugunsten der ehelichen Kinder ist daher etwas wie eine Rückkehr zum altösterreichischen Scheidungsprozeß.

Es ist abzuwarten, ob das von einem verantwortungsbewußten Pflegschaftsrichter beschrittene Neuland sich in der Praxis der Gerichte durchsetzen wird.

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