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Das Klima Budapest—Wien

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Von der Parteikongreßtribüne aus wurde des öfteren verkündet, daß sich das internationale Ansehen Ungarns gefestigt habe. Vielleicht geschah das zur Vertröstung der Öffentlichkeit, die gerade während des laufenden Jahres viel mehr über die Verlassenheit dieses Volkes klagte. Für die Russen gilt das Land als peripherisches Besatzungsgebiet, für die Tschechen und Rumänen als lästiger Juniorpartner, den zu überflügeln man sich auch in bezug auf Westkontakte eifrig bemüht, für die Jugoslawen liegen die Madjaren am Entwicklungsweg der Aufgeschlossenheit um ein Jahrzehnt zurück. Allein für die Polen gibt es bei jung und alt rührend-herzliche Ungarnsympathien auf Grund der historischen gemeinsamen Schicksalsprüfungen, die bis zur Stunde reichen. Dasselbe trifft etwa stimmungsmäßig für das glücklichere Österreich zu, und darum verdienen zwei Worte der Kongreßrede des Ministerpräsidenten Gyula Kaliai besondere Aufmerksamkeit. Man müsse — sagte er — „gemeinsame Anstrengungen“ unternehmen, um das Klima Budapest-Wien zu verbessern. Wir haben an dieser Stelle bereits erörtert, was uns während des laufenden Jahres von seiten der offiziellen Madjaren keine Freude bereitete. Vermerken wir darum auch als Positivum, daß der Wiener MTI-Korrespondent, A. Heltai, Österreich nunmehr „ohne Vorurteil“ betrachten will, daß der Außenpolitiker von „Nepszabadsag“, J. Hajdu, im ungarischen Fernsehen sachliche, ja sogar fallweise freundliche Wiener Bilder zeigte beziehungsweise kommentierte und schließlich, daß die ungarische Regierung ihre ursprünglich negative Einstellung gegenüber dem Kabinett Dr. Klaus II anscheinend zu überprüfen gedenkt.

Schon vor vier Jahren, als er sein jetziges Amt noch nicht bekleidete, hatte mir gegenüber Premier Gyula Kaliai in einem Privatgespräch ebensoviel Verständnis wie guten Willen für echte, gutnachbarliche Beziehungen mit Österreich bekundet. Darunter verstanden wir den freimütigen Verkehr von Menschen und Gedanken, wie er im Herzenswunsch beider Völker verankert ist, deren Erfüllung nicht immer von Wien und Budapest abhänge. Ebenso, hieß es damals, werde im Donauraum die Stunde für bessere Zeiten dann schlagen, wenn sich zwischen Rotweißrot und Rotweißgrün die Tren- namgslinie allmählich humanisiert. Der Sektionschef im ungarischen Unterrichtsministerium, Dr. Ben- czedy, meinte diesbezüglich vor drei Jahren auf österreichischem Boden, daß „beide Völker von einander viel lernen könnten und müßten". Gewiß wird Wien in diesem Sinne Budapester Wünschen auf dem Gebiet von Diplomatie, Fremdenverkehr und Wirtschaft entgegenkommen, dabei jedoch mit Fug und Recht erwarten, daß man den Alltag des herzleidenden österreichischen Botschafters in Ungarn nicht durch Schikanen untergeordneter Dienststellen erschwere, daß man durch die geplante Gemeinschaftswerbung das touristische Ansehen der Alpenrepublik nicht für unzulängliche Dienstleistungen einspanne und daß Dr. Pittermanns groß aufgezogenes ökonomisches Zu sammengehen nicht derart gepflogen werde, daß wesentlich preisgünstigere österreichische Angebote in der Papier- und Automobilbranche aus politischen Rücksichten zugunsten Finnlands bzw. Frankreichs abgelehnt werden.

Ermutigung zum Abschluß

Weil die Ungarn dazu neigen, ihre eigene Lage eher von außen her denn aus dem Inneren zu beurteilen, hat Janos Kadar, der seinen Untertanen auch etwas Ermutigendes sagen wollte, die bevorstehende Klimabesserung mit Washington und Bonn an die Spitze seiner abschließenden Kongreßrede gestellt. Wenn auch diese Hinweise mit dem madja- rischen „Parteichinesisch“ verbrämt waren, ließen sie die Budapester Herzen dennoch höher schlagen, weil man sich sagte: Da wir nunmehr mit den Vereinigten Staaten und mit der Bundesrepublik normalere Beziehungen pflegen dürfen, kann das nur Gutes bedeuten. Wie lautstark auch die Budapester Propagandamaschinen gegen Washington und Bonn gerattert haben mögen und wie lärmend sie auch jetzt noch tönen, das Ansehen beider Staaten ist in Ungarn unverändert geblieben, wenn es nicht gerade während der Kurserhärtung dieses Jahres noch gewachsen ist. Janos Kadar erweist deshalb seinem eigenen Ansehen den besten heimatlichen Dienst, wenn er sich gegenüber beiden Großmächten die weitestgehende Zurückhaltung auf erlegt. G. McGhee, der US-Botschafter in Bonn, weilte unlängst zu einer mehrtägigen Geheimmission in Ungarn. Desgleichen erwartet man in Budapest Anfang 1967 den Staatssekretär im bundesdeutschen Auswärtigen Amt, Doktor R. Lahr, beziehungsweise dessen Nachfolger zu entscheidenden Besprechungen. Zur Regelung der Kirchenprobleme war Msgr. A. Casaroli, der päpstliche Sonderbotschafter, in letzter Zeit dreimal und vollkommen unbemerkt im Land. Bald soll er wiederkommen. All dies erweckt die Hoffnung darauf, daß Ungarn nach Überwindung der Krisenperiode 1966 zum milden Kurs der vergangenen Jahre zurückflnden kann beziehungsweise zu diesem Kurs zurückfinden darf.

Anläßlich seines ersten Zusammentreffens mit der ungarischen Öffentlichkeit bestärkte Leonid Breschnjew diese Vermutung in der Budapester Beloiannis-Fabrik, als er auf die sympathische Linie seines Vorgängers N. S. Chruschtschow einschwenkte und mit anderen Worten den „Gulaschkommunismus“ empfahl. Die madjarische Publizität widmete diesen Ausführungen — unserer Meinung nach vielleicht aus taktischen Gründen — nicht die gebührende Aufmerksamkeit.

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