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Das Kreuz in der Fahne

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Im Nachstehenden veröffentlicht die „Furche“ eine geschichtliche Darstellung des schweren Kulturkampfes, den die Protestanten Norwegens unter der Führung ihrer Bischöfe in der Zeit der Quisüng-Herrschaft zu bestehen hatten. Der Verlauf dieses heroischen Ringens mit einer gewalttätigen, diktatorischen Staatsmacht, der bisher in Weiten Kreisen der festländischen Öffentlichkeit fast unbekannt geblieben ist, stellt ein Epopöe christlichen Bekenner-Mutes dar, die immer denkwürdig sein wird. .»Die Furche“

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Im Nachstehenden veröffentlicht die „Furche“ eine geschichtliche Darstellung des schweren Kulturkampfes, den die Protestanten Norwegens unter der Führung ihrer Bischöfe in der Zeit der Quisüng-Herrschaft zu bestehen hatten. Der Verlauf dieses heroischen Ringens mit einer gewalttätigen, diktatorischen Staatsmacht, der bisher in Weiten Kreisen der festländischen Öffentlichkeit fast unbekannt geblieben ist, stellt ein Epopöe christlichen Bekenner-Mutes dar, die immer denkwürdig sein wird. .»Die Furche“

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In der Nacht vom 9. zurrt 10. April 1940 drang die deutsche Flotte in die norwegischen Häfen. Unter ihren Mannsdiaften mochte mancher gewesen sein, der während der Zeit nach dem ersten Weltkrieg — vielleicht durch einen von Dekan Fjellbu organisierten Kindertransport — in Norwegen geweilt und auch noch in späteren Jahren bei seinen norwegischen Pflegeeltern gastliche Aufnahme gefunden hatte. Kaum jemand mag die plötzliche Besetzung des Landes schockartiger empfunden haben, als diese „Deutschenfreunde“ unter den Norwegern — unter ihnen der Bischof von Oslo, Eivind Berggrav, 1908 bis 1918 Lehrer an der Grundtvigschen Volksuniversität von Eidsvold, Vertreter eines maßvollen Liberalismus und überzeugter Kriegsgegner.

Wie groß sein Ansehen war, mag man daraus ersehen, daß sich an ihn — nach dem Versagen der „provisorischen Regierung“ — der Vertreter des Reiches wandte und ihn zur Bildung eines „administrativen Rates“ aufforderte, wozu sich Berggrav zwar nicht hergab, dem er aber auch nicht verständnislos gegenüberstand. Jedoch die Ereignisse überstürzten sich: der Hochkommissar des Reiches, Terboven, verkündigte die Absetzung des Königs und der in London befindlichen Regierung, die Auflösung der bestehenden Parteien und das Verbot von Neugründungen; nur die Quisling-Partei „Nasjonal Sämling“ (NS) wurde anerkannt und ihr am 25. September 1940 die ganze Autorität und Macht übertragen. Das Kommissariat für kirchliche Angelegenheiten, das auch den öffentlichen Unterricht mitumfaßte, wurde dem Mitglied der NS, ProfAsor R. Skancke, übertragen.

Wie in einer automatischen Abwehrbewegung schlössen sich die verschiedenen christlichen Strömungen zusammen; bereits am 25. Oktober wurde der „Rat der christlichen Zusammenarbeit für eine norwegische. Kirche“ gegründet; ein Appell an das christliche Volk von Norwegen war von den sieben Bischöfen und zehn der markantesten Vertreter der verschiedensten kirchlichen Kreise gezeichnet. Was wenige Monate vorher undenkbar gewesen wäre, war plötzlich Wirklichkeit gerwor-den! Vorher schon hatte sich eine Anzahl von Pfarrern geweigert, die durch die Regierung verfügten Änderungen im Kirchengebet anzuerkennen, wodurch alles, was den König, sein Haus, den Obersten Rat und das Parlament betraf, ausgeschieden wurde. Nun verfügte die neue Regierung die Aufhebung des Beichtgeheimnisses und verbot die Tätigkeit der Oxfordbewegung. Diese Maßnahmen veranlaßten den Episkopat zu einem Memorandum an den Minister Skancke (15. Jänner 1941), in dem es unter anderem heißt;

„Im zweiten Abschnitt des ,Kre<k>' anerkennen die Christen Jesus Christus als ihren Herrn, und dies zwar vollständig und unwiderruflich. Für die Kirche steht dieses Gebot, Christus zu gehorchen, vor allem anderen fest. Die politische und administrative Organisation des Staates berührt uns nicht als solche. Nur wenn sie an unsere Gehorsamspflicht Christus gegenüber rührt, sehen wir uns gezwungen, unsere Haltung zu definieren. Wenn nun die Obrigkeit, welche dem Gemeinschaftsleben vorsteht, erlaubt, daß gewalttätige und unerlaubte Handlungen begangen werden und daß ein Druck auf die Seelen ausgeübt Wird, dann muß die Kirche sich erheben, um das menschliche Gewissen zu schützen; denn . die Seele des Menschen ist mehr wert als die ganze Erde ... In der Erfüllung der göttlichen Mission, die uns anvertraut worden ist, fordern wir diejenigen, die uns beherrschen, auf, allem ein Ende zu bereiten, was gegen die heiligen Weisungen Gottes auf dem Gebiet der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Gewissensfreiheit und der Güte verstößt, und wir fordern sie auf, den Staat auf dorn Gebot Gottes aufzurichten!“

Anstatt die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (in dem Memorandum waren zahlreiche Ubergriffe staatlicher Stellen, insbesondere der „Hirden“, der norwegischen Hitlerjugend, angeführt worden), warnte Minister Skancke die Bischöfe vor unüberlegten Schritten und teilte ihnen mit, daß weitere Verlautbarungen dieser Art ernsteste Folgen haben würden. Hierauf redigierten die Bischöfe einen Hirtenbrief, dessen Verlesung zwar von der Polizei verboten, der aber durch Abschriften in ganz Norwegen verbreitet und gelesen wurde. Von nun an wurden die Gottesdienste in den Kirchen und Evangelisationssälen der Kontrolle der Polizei und der Organisation der „Hirden“ unterstellt. Gleichzeitig wurde durch den neuernannten Konsistorialpräsidenten Sigmund Fey-1 i n g der Versuch gemacht, eine Gegenbewegung ins Leben, zu rufen unter dem Wahlspruch „Für Gott, Quisling und die Heimat“. Von 1139 Pfarrern schlössen sich ihr nicht mehr als zwanzig an! Nun begann auch das christliche Volk von Norwegen zu reagieren und boykottierte diejenigen Pfarrer, die sich der NS angeschlossen hatten. Erklärte doch einer dieser Pfarrer, daß die Kirche Norwegens die Pflicht habe, Vidkun Quisling ihren Dank auszusprechen, da dieser „ein Schild Jesu Christi“ geworden und es ihm zu verdanken sei, daß die Lehre der „neuen Zeit“ in Norwegen gelehrt werden kann, Gott und die Zukunft stünden auf seiner Seite ... Der mißglückte Festgottesdienst zu Ehren der „Machtübernahme“ durch Quisling, der vom einfachen Major zum „Ministerpräsidenten“ avanciert war, und die mannhafte Predigt Dekan F j e 11 b u s, die so gar nicht der Bedeutung des Tages angemessen war, schufen eine weitere Verschärfung der Gegensätze. Trotz des Protestes des Bischofskollegiums wurde Dekan , Fjellbu verhaftet, worauf Bischof Berggrav abdankte. Eine Solidaritätskundgebung

von seltener Einmütigkeit war die Antwort: sämtliche Bischöfe, die Dekane der Kathedralen, der Bischof der römischkatholischen Kirche — bis zur Synode der freien lutherischen Kirche — bildeten eine Einheitsfront, die alle religiösen Bekenntnisse umfaßte — mit Ausnahme der etwa 40.000 Seelen der NS-Partei.

Hierauf wurden — eine unerhörte Maßnahme in der Geschichte Norwegens — sämtliche Bischöfe abgesetzt, mit Ausnahme eines einzigen, dessen Demission die Regierung annahm. Von 113 9 Pfarrern verlasen 110 0 die Protestnote der Bischöfe gegen diese Verfügung. Gleichzeitig begann ein maßlos scharfer Feldzug gegen die Lehrer, die sich mit den Geistlichen solidarisch erklärt hatten. Die Regierung sah sich vor eine mehr als schwierige Situation gestellt, und Bischof Berggrav wurde ersucht, vor dem Präsidenten Quisling, der im Schloß von Oslo residierte, zu erscheinen. Diese Unterredung beschloß das Staatsoberhaupt mit den Worten: „Dreifacher Verräter, Sie verdienen es, gehängt zu werden!“ Worauf ihm Berggrav antwortete: „Bitte, ich stehe zu Ihrer Verfügung.“ In einem Dokument von größter Entschiedenheit, „Die Grundlagen der Kirche, ein Bekenntnis und eine Erklärung“, legten Bischöfe und Pfarrer noch einmal ihren Standpunkt dar, erklärten, daß sie keinerlei Gehalt und Befehl mehr vom Ministerium entgegennehmen würden — und demissionierten.

Wieweit sich Quisling in Denkart und Ton seinen Auftraggebern genähert hatte, möge seine Erklärung dartun, die er als Antwort auf das Bekenntnis der Kirche an die Presse gab:

„Die politisierenden Geistlichen und Bischöfe haben einen Religionskampf vorgeschützt, der nur im Gedankengang des Herrn Berggrav existiert. Dieser Intrigant will einen Glaubenskampf organisieren, der gar kein Fundament hat ... Es ist mein Vorsatz, die Kirche Norwegens von solchen Menschen zu reinigen; denn diese Schädlinge und Verbrecher stehen im Dienste von London und Moskau... Aber sollten sie auch zahlreich sein, so werden sie doch hinausgeworfen werden. Durch ihr Betragen zwingen sie uns, s i e zu vernichten; und jene, die mit ihnen gehen, müssen erwarten, mit ihnen zu fallen.“ Am 9. April, dem zweiten Jahrestag der Invasion, wurden Berggrav und andere führende Geistliche verhaftet. Man brachte sie ins Konzentrationslager von Bredtfeld bei Oslo, wo sie der „Obhut der Hirden“ übergeben wurden. Telegraphisch wurden sämtliche Pfarrer Norwegens aufgefordert, sich innerhalb von zwei Tagen für die Wiederaufnahme ihres Amtes zu entscheiden. Andernfalls würden sie revolutionärer Umtriebe schuldig erklärt und ohne Anspruch auf Besoldung oder Pension entlassen. Im Zeitraum von vierzehn Tagen hätten die Widerstrebenden ihre Pfarrhäuser und Amtsbezirke zu verlassen. Von 1100 Pfarrern hatten sich zwei der Drohung der Regierung gebeugt. Die Niederlage der Regierung war eine vollständige; Verhandlungen mit einer „Vermittlungskommission“ scheiterten, und auf verantwortungsvollste Posten wurden gänzlich unzulängliche Männer berufen. Pfarrer Feyling, als Sprecher seines Chefs, erklärte Quisling zum Oberhaupt der norwegischen Kirche, — und schließlich könne das Christentum auch ohne Kirche bestehen. So kam es> daß zum erstenmal in der Kirchengeschichte Norwegens Bischöfe durch einen einfachen Dekan eingesetzit wurden und fünf Pfarrer die Ordination durch die Hand eines anderen Pfarrers erhielten. Es versteht sich von selbst, daß diese Einsetzungen und Ordinationen in den Augen des norwegischen Volkes sowie bei den Schwesterkirchen in Schweden, Finnland und Dänemark als null und nichtig angesehen wurden.

Auf den dringenden Rat der Besatzungsmacht wurden erneut Verhandlungen mit der Kirche aufgenommen, die aber sehr bald an der Forderung scheitern, unverzüglich Bischof Berggrav in Freiheit | zu setzen. Als Antwort — wieder scharfe Repressalien; Verhaftungen und Vertreibungen, die bis zur plötzlichen Deutschlandreise Quis-lings dauerten. An alle 'Propagandabeauftragten der Regierung erging plötzlich das Verbot, „von heute an sowohl in Wort als in Schrift die Fragen des Konflikts zwischen dem Staat und der Kirche zu berühren“. Hierauf neue Verhandlungen und neuer Konflikt. Und nach dem Zuckerbrot die Peitsche: Ausweisung von 15 Pfarrern in einer ersten und von 26 in einer zweiten Welle, Beschlagnahmung der Pfarrwohnungen, Unterstellung der ganzen Geistlichkeit unter die Aufsicht der Polizei und Verbot des „Norske Kirkeblad“, des offiziellen Kirchenblattes, wegen illegaler Haltung. Der provisorische Kirchenrat aber ließ anläßlich des Jahreswechsels (am 17. Jänner 1943) eine Botschaft verlesen, die eine stolze Bilanz der Heimsuchungen und der Bewährung der Kirche Norwegens ist. Sie schließt mit den Worten:

„Es bleibt daher für die Kirche unwichtig, was Menschen unter dem Zwang der Gewalt gegen sie beschließen mögen! Die Kirche Norwegens und in ihrem Gefolge das norwegische Volk haben uns, wie Kirche und Volk Finnlands, gezeigt, daß der wahre christliche Glaube immer stark genug ist, um einen geistigen Sieg davonzutragen, selbst dann, wenn, menschlich gesprochen, alles verloren zu sein scheint. Die Kirche lebt and ergibt sich nicht !*'

Dos standhafte Verhalten der Kirche bis zu ihrer Befreiung bewirkte nicht nur ihre Festigung im Innern, sondern verstärkte auch die Solidarität des Nordens. Aus zahlreichen Zeugnissen kann man schließen, daß, je schwieriger während des Krieges die Verkehrsverhältnisse zwischen den nordischen Staaten wurden, desto reger sich der geistige Kontakt gestaltete. Denn es ist kein leeres Symbol, daß alle fünf nordischen Staaten ein Kr.eufc im Zentrum ihrer Fahne tragen — als Zeichen ihrer Verbundenheit über alle zeitlichen Gegensätze hinweg.

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