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Das Leibnitzer Lager

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In der Südsteiermark befindet sich in der Nähe von L e i b n i t z ein Flüchtlingslager, das 1900 Insassen zählt. Davon sind 700 Kinder unter vierzehn Jahren. Sie werden in einem eigenen Lagerkindergarten und in einer eigenen Lagerschule erzogen. Im Lager gibt es auch ein eigenes Flüchtlingsspital mit zwei Ärzten und je ein Altersheim für Männer und Frauen. Ursprünglich dienten die Baracken zur vorübergehenden Aufnahme der Umsiedler aus dem Buchenland, später zur Aufnahme russischer Kriegsgefangener. Dann übernahmen die Engländer das Lager, und einige Monate hindurch beherbergte es fremdsprachige DP. Seit mehr als zwei Jahren wohnen hier — soweit man überhaupt von Wohnen sprechen kann — deutschsprachige Vertriebene. Kürzlich besuchte ein österreichischer Abgeordneter, geführt von dem Lagerleiter und der dort stationierten Caritasschwester, das Lager. Eine Flüchtlingsfrau, Mutter von vier

Kindern, deren Barackenstube peinlichst sauber war, bat den Lagerleiter, sie nicht wieder in eine andere Baracke zu verlegen, da sie sich jetzt einigermaßen wohnlich eingerichtet habe. Ein Sprechen in dieser Wohnung ist nur i m F 1 ü s t e r-t o n möglich, denn von der nebenan wohnenden Familie ist man nur durch eine dünne Holzfaserplattenwand getrennt.

In einer anderen Baracke ist eine Familie untergebracht, deren Vater in Kapfenberg arbeitet und nur zum Wochenende zu seiner Familie fahren kann Vier Kleinkinder, von denen das Älteste noch nicht sechs Jahre alt ist, bevölkern zusammen mit der Mutter und der Großmutter die Barackenstube. Der leitende Arzt des Flüchtlingsspitals führte bittere Klage darüber, daß selbst die arbeitsfähigen Lagerinsassen n i c h t z u r Arbeit zugelassen werden, weil sie nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Selbst Heimarbeiten, wie Korbflechten und Herstellen von Filzpantoffeln, wurdenaufVerlangender zuständigen Innungen untersagt! Arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen sind zur Untätigkeit verurteilt. Dieser erzwungene Müßiggang zermürbt die Menschen. Dadurch, daß die Kinder im Lagerkindergarten und in der Lager-schule erzogen werden, kommen sie mit den einheimischen Kindern nicht in Berührung, und es wird ihnen dadurch ständig zum Bewußtsein gebracht, daß sie eben nur Heimatlose sind. Was von diesem Lager gesagt wird, gilt auch für viele andere über ganz Österreich verstreute Flüchtlingslager.

Ein ganzes Beamtennetz, zusammengesetzt aus Organen der Gemeinde, “der Polizei- und Meldestelle, des Fürsorge- und Wohnungsamtes, verhindert zwangsmäßig, nicht durch bösen Willen, jedes Hineinwachsen in den österreichischen Raum.

39 + 31 Millionen Kosten

Nun könnte man meinen, daß diese zentrale Lager- und Menschenverwaltung zweckmäßig und billig und in der heutigen Notzeit eine unbedingt notwendige Sparmaßnahme bedeute. Die Ziffern sprechen eine andere Sprache: Die Lagerinsassen zahlen für den bescheidenen, meist primitiven Wohnraum nicht nur ein ganz normales Entgelt, das oft höher ist als Mieten für prachtvolle Mieterschutzwohnungen, und dazu noch hohe Nebenkosten für Licht, elektrische Kocher, Müllabfuhr usw. Hiezu haben die Steuerzahler, östereicher wie NichtÖsterreicher, noch fast 40 Millionen Schilling jährlich — nach den Angaben des Budgets — dazuzu-zahlen. Es bedeutet dabei keinen Trost, daß sich diese Summe gegenüber dem Vorjahr um eine Million Schilling verringert hat und daß die wesentlich geringere Anzahl der anderen Ausländer eine nicht viel niedrigere Summe, nämlich 3 1 Millionen Schilling, benötigt.

Weit mehr als ein Viertel dieser Ausgaben für die Volks- und Reichsdeutschen, nämlich 1 1,8 M i 11 i on en Schilling, wird für die 1200 Bediensteten und Beamten der Flüchtlingsverwaltung ausgegeben.

Diese bisherige Art der Lagerverwaltung ist also weder menschenwürdig noch billig und der baldmögliche

Abbau dieser Verwaltungsstäbe und der in den meisten Ländern bestehenden ÄmterfürUmsiedlungistfür die rasche Eingliederung der Heimatvertriebenen in Österreich wichtig und zugleich ein Gebot der Zweckmäßigkeit. (Einige dieser Ämter zur Verwaltung des Elends brachten sogar den traurigen Mut auf, ihr fünfjähriges Bestehen festlich zu begehen...) Was not tut, ist die Belassung eines knappen Lagerverwaltungsstabes, sonst aber eine Überleitung dieser heimatyertriebenen Menschen in die normale österreichische Verwaltung.

Wenn man sich zu diesem Schritt entscheidet, so wird schon ein Drittel der bisher jährlich verbrauchten Gelder, rund 12 Millionen Schilling, dem österreichischen Siedlungsfonds zur Beschaffung von normalen Wohnungen dienen können; um diese Summe könnten bei entsprechend umfangreicher Mitarbeit des Wohnungssuchenden 60 Einfamilienhäuser gebaut werden. Es wäre damit wenigstens ein Anfang für einen Abbau der Lager, für ein planvolles Aufsaugen gemacht.

Endlich handeln!

Österreich hat durch den Krieg mindestens 300.000 Menschen verloren. In den Lagern leben sehr wertvolle Kräfte, deren wirtschaftliche Fähigkeiten nur zum geringsten Teil ausgenutzt werden. Hier hätte der Staat einzugreifen und nach einem gesunden Ausleseprinzip alle jene Familien planmäßig in den österreichischen Volkskörper einzugliedern, die auf Grund ihrer Kenntnisse, ihres Fleißes und ihres Arbeitswillens in der Lage wären, ein neues Leben zu beginnen. Aber es fehlt der konstruktive Plan, vor allem die landwirtschaftlichen Kräfte richtig einzusetzen. Die bei der Bundesregierung und bei den Landesregierungen bestehenden Ämter fürUmsiedlung sollten sich daher in erster Linie mit der Frage der Ansiedlung der Heimatvertriebenen beschäftigen. Sie würden auf diese Weise nicht nur zur Überwindung des Lagerelends beitragen, sondern letzten Endes auch dem Staat wertvolle Dienste leisten und außerdem könnten sie mithelfen, daß sich die vom Staat aufzubringenden Mittel für den Unterhalt der Lager von Jahr zu Jahr verringern. Denn das Leben in Baracken und Notunterkünften darf nur eine vorübergehende Erscheinung sein, will man hier nicht ein Geschwür am Volkskörper sich bilden lassen.

Die Kirche hat — obwohl ihr nur geringfügige Mittel zur Verfügung stehen — mutig begonnen und in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen, ausländischen Hilfsstellen usw. in Salzburg, Linz und in der Steiermark (bäuerliche Siedlungen in der „Heimat Österreich“) beispielhaft begonnen. Der Staat folge nach!

Die Stunde ist für Lösungen überreif. Es wäre eine Schande, noch länger zu warten.

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