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Das Los der Zurückgebliebenen in der Tschechoslowakei

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Als am 28. Oktober 1946 von der tschechoslowakischen Regierung die Aussiedlung der Deutschen aus Böhmen, Mähren-Schlesien und der Slowakei amtlich für abgeschlossen erklärt wurde, befanden sich noch zirka 200.000 Sudetendeutsche im Land — etwa 155.000 Spezialisten und Fachkräfte samt ihren Familienangehörigen, denen nach Mitteilung des Innenministeriums die Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, und außerdem rund 50.000, deren Abschiebung nach Deutschland infolge der Aufnahmesperre der amerikanischen Zone noch nicht erfolgen konnte; andere Quellen sprechen von noch 70.0 oder 100.000 zur Aussiedlung Vorgesehenen. Nicht inbegriffen in diesen Zahlen sind die 25.000 Kriegsgefangenen, die sich gegenwärtig noch in der Tschechoslowakei befinden, sowie die zur Strafverbüßung oder Ln Untersuchungshaft in den Gefängnissen und Straflagern Befindlichen.

Damit ist der Anteil der Deutschen in der Tschechoslowakei, der nach der letzten tschechischen Volkszählung von 1930 noch 24,4 Prozent betragen hatte, auf 2 Prozent gesunken. Die Deutschen stellen heute 5 Prozent der Belegschaft aller Industrie- Unternehmungen des Staates, 49.838 waren im September vorigen Jahres im Grenzgebiet tätig, 34.900 in verstaatlichten Betrieben beschäftigt.

Über die Zusammensetzung dieser Deutschen geben einige Zahlen jüngsten Datums aus dem südmährischen Bezirke Znaim Auskunft: 14.822 Deutsche wurden hier von Amts wegen ausgesiedelt, etwa 50.000 verließen die Heimat in sogenannten „nicht- organisierten Transporten”, das heißt sie wurden über die Grenze geschoben, wobei sie auch die sonst zulässigen 30 bis 70 Kilogramm Handgepäck nicht mitnehmen konnten. Für eine spätere Aussiedlung sind noch 50 vorgesehen, 115 sind als „Antifaschisten” anerkannt, von denen aber auch nicht alle in der Tschechoslowakei zu bleiben beabsichtigen; 958 sind österreichische Staatsbürger, 296 leben in einer nationalen Mischehe, und zwar ist der deutsche Teil in 171 Fällen der Mann und in 125 Fällen die Frau; 15 ist als Spezialisten der Aufenthalt genehmigt.

Aus der Gablonzer Glaswarenindustrie berichtet „Svobodny zitrek”, daß sich unter den 23.000 Beschäftigten der verstaatlichten Industrie nur mehr 500 Deutsche, unter den 3200 Beschäftigten der Privatindustrie hingegen 2500 Deutsche, also fast noch 80 Prozent befinden.

Die Belastung dieser Schlüsselkräfte erfolgte nach sorgfältiger und wiederholter politischer Prüfung; die bloße Bescheinigung antifaschistischer Einstellung genügt hiefür noch nicht, denn — so führte unlängst Jakob Desen&ky im „Dnesek” aus — „die deutschen Antifaschisten waren zwar Gegner des Nationalsozialismus, sie waren aber keineswegs gesonnen, sich tschechisieren zu lassen” und zogen unter diesen Umständen das Verlassen der Heimat vor. Vom Generalsekretär der kommunistischen Partei, dem Abgeordneten Slansky, der in letzter Zeit durch seine Angriffe gegen das tschechische Offizierskorps und den Staatspräsidenten Benes bekannt wurde, stammt der Ausspruch: „Die Antifaschisten werden Ln Deutschland gebraucht, nicht in der Tschechoslowakei”.

Von den Verbleibenden wurde eine Verzichtleistung auf jegliche nationale Ansprüche verlangt. Das genannte Blatt spricht davon, daß sie im tschechischen Volkstum untergehen werden „wie der Zucker im Kaffee”.

Voraussetzung für den Verbleib ist natürlich die Bescheinigung über die Unersetzlich- keit für die tschechische Wirtschaft. Hier wird immer wieder von Nationalausschüssen und sonstigen Organen auf Anlegung eines möglichst strengen Maßstabes gedrungen. Die Ausstellung solcher Zeugnisse hatte nämlich vielfach ihren Grund darin, daß die deutschen Arbeitskräfte unter ungleich ungünstigeren Verhältnissen hinsichtlich Lohnhöhe, Arbeitszeit und Urlaub arbeiten müssen als ihre tschechischen Kameraden. So stellte das Grenzlerblatt „Öesky Cheb” (Tschechisches Eger) unlängst die Behauptung auf, viele nationale Verwalter und Betriebsräte hätten die Deutschen in der Hoffnung zurückbehalten, daß die Deutschen für sie arbeiten und sie selbst bequem verdienen würden.

Die Scheidung der beiden Gruppen, also der nur zufällig infolge Einstellung der Transporte in der Tschechoslowakei Verbliebenen und der als Fachkräfte von der Abschiebung Ausgenommenen, ist aber keineswegs endgültig. In einer Rede in Brüx erklärte der Innenminister ausdrücklich, daß bei Unzufriedenheit mit den Leistungen der Spezialisten gegen sie energisch eingeschritten werde und daß Anzeigen gegen sie jederzeit erstattet werden können.

In einer Petition, die einige deutsche Abgeordnete des Prager Parlaments (von 1938), an ihrer Spitze der sozialdemokratische Führer Wenzel Jaksch, den Signatarmächten, des Potsdamer Übereinkommens und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen überreichten, heißt es unter anderem:

„Die Mehrheit der Sudetenarbeiter und -Spezialisten, die sich noch in der Tsdietho- slowakei befinden, hat weder politische noch kulturelle Rechte. In der Regel haben sie auch nur auf geringere Rationen Anspruch. Ein Viertel ihrer Löhne wird ihnen für ,Reparationen’ weggenommen. Sozialversicharungs- zuweisungen, Arbeiterurlaub und sogar die gewerkschaftliche Mitgliedschaft werden ihnen verweigert.’ Ihre Kinder sind seit Mai 1945 ohne Schulunterricht. Diese vielen tausende Sudetendeutscher erleiden oft Härteres als die Austreibung, ihnen ist das schwere Schicksal des geächteten Sklavenarbeiters in der Tschechoslowakei auferlegt.”

Inzwischen hat sich an ihrer Lage doch einiges gebessert: eine wohlwollende Geste war die Aufhebung der bisherigen Pflicht zum Tragen einer weißen Armbinde und die Beseitigung besonderer Lebensmittelkarten für Deutsche mit Rationssätzen, wie sie einst im Konzentrationslager Theresienstadt verabreicht wurden, also ohne Fleisch und Weißbrot. Im Falkenauer Braunkohlenrevier, wo noch eine verhältnismäßig große Zahl deutscher Bergarbeiter geblieben ist, hat nach tschechischen Pressemeldungen die Gleichstellung der Deutschen hinsichtlich Entlohnung und Leben smittelzutei lung ein wesentliches Ansteigen der Förderungsziffer zur Folge gehabt, so daß dieses Revier die im Zweijahresplan gestellten Aufgaben bedeutend überschritt und damit das große Defizit der übrigen tschechischen Kohlenreviere einigermaßen ausgleichen konnte. Das Benützen der Gehsteige i st den Deutschen heute nicht mehr verwehrt. Über ihr Verhalten schrieb der „Dnesek” vom 3t. Dezember 1947, daß ihnen eine kulturelle Tätigkeit gestattet sei, so daß sie sogar eigene Musikkapellen gründen können; sie arbeiten sehr fleißig, strafbare Handlungen seien seit der Revolution bei ihnen kaum vorgekommen. Keineswegs ist aber eine Gleichstellung mit den übrigen Staatsbürgern erfolgt. E i n- griffe in das Privatvermögen ihnen gegenüber sind heute noch genau so möglich wie vor zwei Jahren.

Die Benützung der deutschen Sprache ist im öffentlichen Leben untersagt, deutsche Schulen jeglicher Kategorien existieren nicht. r Auch ist das Verbot des Rundfunkhörens nach wie vor für Deutsche aufrecht und erst kürzlich erfolgten aus diesem Grunde in Jägerndorf Verhaftungen durch die Nationale Sicherheitswache. Im Bezirk Römerstadt wurde den Deutschen erst kürzlich Aas Verbot wieder eingeschärft, ihre Wohnungen zwischen 20 Uhr und 5 Uhr zu verlassen, den Wald zu betreten und Fahrräder mit Ausnahme zur Fahrt zum und vom Arbeitsplatz zu benützen.

Das Verlassen der Heimat ist den von der Aussiedlung über die Grenze Ausgenommenen nur in seltenen Fällen erspart geblieben: anfangs Oktober 1947 hat der Zentralausschuß des Verbandes der Nationalen Revolution dem Ministerpräsidenten eine Resolution überreicht, in der die Verschickung der in der Republik verbleibenden Deutschen einschließlich der in Mischehen Lebenden in das Landesinnere gefordert wurde. Eine Demonstration der Frauen von Eger unterstrich diese Forderung. Die Richtlinien des Innenministeriums an die Bezirksnationalausschüsse haben dann auch eine solche „Säuberung” des Grenzgebietes angeordnet, die nun Zug um Zug durchgeführt wird. Dabei ist ähnlich wie seinerzeit bei den Transporten in die russische und amerikanische Zone Deutschlands lediglich die Mitnahme von etwa 50 Kilogramm Handgepäck gestattet, soweit die Betroffenen heute noch so viel ihr Eigen nennen. Da diese Vertriebenen aber im Landesinneren zur Last fallen würden und als Arbeitskräfte nicht voll ausgenützt werden könnten, hat man jetzt auch die Mitnahme des wichtigsten Hausrates gestattet, freilich nicht eigener Sachen, sondern aus bereits früher konfiszierten Beständen, die sich in den Magazinen der Verwaltung des nationalen Eigentums befinden, während die kompletten Wohnungseinrichtungen der von der „inneren Emigration” Betroffenen als weitere Werte an den Staat fallen.

Für die aus ihren Wohnungen Vertriebenen wurden zum Teil Lager errichtet, die dem Staat allerdings beträchtliche Kosten verursachen. So meldete kürzlich das „Prävo Lidu”, daß in der kleinen Festung in Theresienstadt derzeit 80 Deutsche untergebracht sind, zu deren Bewachung ein Oberstleutnant, ein Stabskapitän, zwei Leutnante und einige Dutzend Wachtmeister und Stabswachtmeister des Korps der Nationalen Sicherheit zur Verfügung stehen, die di Deutschen bei der Arbeit beaufsichtigen.

Auf das Überschreiten der tschechoslowakischen Grenze durch Angesiedelte sind äußerst schwere Strafen gesetzt, die nicht nur die Rückkehrer selbst treffen, sondern auch jeden, der sie aufnimmt oder anderweitig unterstützt oder auch nur von ihrem Aufenthalt weiß, ohne Anzeige zu erstatten. Auch die kürzlich gemeldete Verhaftung von sieben Nonnen in Mährisch-Ostrau wurde mit der Aufnahme von Verbindung mit Sudeten deutschen in Deutschland begründet. Die Ausländern erteilten Visa für die Einreise in die Tschechoslowakei berechtigen diese nicht zum Betreten des etwa 18 bis 25 Kilometer breiten „Sicherungsgürtels” entlang der Straßengrenze, in der der nichtslawische Bevölkerungsanteil anfangs Oktober 1937 nur mehr 3 Prozent betrug. Die in letzter Zeit wieder verstärkt einsetzende Repatriierung der in der Tschechoslowakei noch verbliebenen Österreicher hat unter anderem hierin ihre Ursache.

Der bisher noch unangetastet gebliebene Grundsatz der Familie nein heit ist inzwischen auch in Frage gestellt: Bei Mischehen ist der Besitz des deutschen Teiles vor Beschlagnahme nicht ausgenommen, der Tod des schützenden Ebeteiles bedeutet aber auf jeden Fall das Ende der bisher noch eingeräumten Vorteile. 80.000 Familien, in denen lediglich der Mann Deutscher ist, haben ihre Wohnungen samt allem Hausrat verloren, auch die Mitgift der tschechischen Ehegattin nicht ausgenommen, 150.000 minderjährige Kinder aus solchen Mischehen, die natürlich als Tschechen gelten, sind von dieser Maßnahme betroffen.

Das Los der aus der Heimat vertriebenen Sudetendeutschen ist gewiß nicht beneidenswert. Das Los derer, die in der Heimat verbleiben durften oder mußten, ist aber vielfach noch schwerer: auch sie müssen stündlich gewärtig sein, ihr Bündel zu schnüren, alles zu verlassen, was sie heute noch ihr Eigen nennen. Ihnen erscheint das vielfach als Glück, wogegen sie sich einst verzweifele wehrten: der Weg in die Fremde. Aber auch dieser Ausweg ist ihnen heute versperrt.

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