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Das neue Familienrecht in der Tschechoslowakei

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Das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch aus dem Jahre 1811 hat mit dem 31. Dezember 1949 in der Tschechoslowakei aufgehört, auf dem Gebiete des Familien- und Eherechts geltendes Recht zu sein.

Es weist, wie die Berichterstatterin Patschowa über den Entwurf eines neuen Familiengesetzbuches im Prager Parlament versicherte, „alle Merkmale einer kapitalistischen Gesetzgebung“ auf. Denn die Ehe sei danach kin freiwilliger Bund, sondern eine „Zwangsgemeinschaft auf vermögensrechtlicher Grundlage“. Und der Justizminister sah darin die Wurzeln für di vielen Ehescheidungen, für Untreu, Sittlichkeitsdelikte, Alkoholismus und andere Erscheinungen der verderbten kapitalistischen Moral.

Das alles soll nun besser werden. Da neue Gesetz, das fast wörtlich gleichlautend in Polen und der Tschechoslowakei am 1. Jänner 1950 in Kraft tritt, regelt — wenn wir wieder der Abgeordneten Patschowa folgen dürfen — die Beziehungen zwischen Mann und Frau lediglich nach dem Gesichtspunkt gegenseitiger Zuneigung. Aus- der Aufbauarbeit, so erklärte Justizminister Cepißka, „erwächst eine neue Moral“. Ein neues Gesetz mußte geschaffen werden, damit das arbeitende Volk sich in seinen Familienverhältnissen nicht nach Vorschriften richten muß, di von der Moral einer ausbeuterischen Gesellschaft beherrscht sind.

Die wesentlichsten Neuerungen des Gesetzes sind rasch aufgezählt: Die Zivilehe ist obligatorisch. Standesämter sind die „Ortsnationalausschüss e“, die mit dem 1. Jänner 1950 auch die Verwaltung der Kirchenmatriken übernehmen. Es gibt nur mehr Scheidung der Ehen, also Trennung, und keine Scheidung von Tisch und Bett mehr. Bemerkenswert ist, nachgebildet der sowjetischen Gesetzgebung, die an sich gute, aber nur einer tieferen Sanktion entbehrende Bestimmung, daß die Scheidung einer Ehe in Zukunft nur in Ausnahmefällen ausgesprochen wird, und zwar wenn „aus wichtigen Gründen eine dauernde Zerrüttung der Ehe“ eingetreten ist. Dem Gericht, das darüber entscheidet, muß als Volksrichter mindestens eine Frau angehören. Eine Unterscheidung zwischen ehelichen und unehelichen Kindern gibt es nicht mehr. Ein gleichzeitig beschlossenes Gesetz erklärt alle über 18 Jahre alten Personen für volljährig; zum Zweck der Eheschließung kann aber diese Grenze auf das 16. Lebensjahr herabgesetzt werden.

Unter den Neuerungen des Familienrechts ist die auffallendste die geänderte Rechtsstellung der Frau, die im neuen Namensrecht ihren augenfälligsten Ausdruck findet. Mann und Frau können auch nach der Eheschließung ihren bisherigen Familiennamen weiterführen, es kann aber auch die Frau den Namen des Mannes, aber auch umgekehrt, der Mann den der Frau annehmen. Führen die Eheleute verschiedene Namen, so ist bei der Eheschließung eine Erklärung darüber abzugeben, welchen Namen die Kinder führen sollen. Sicherlich war es eine gern ergriffene Gelegenheit, die vielen deutschen Familiennamen — man denke nur an Gottwald oder Fierlinger — zum Verschwinden . zu bringen. Aber die Neuerung ist auch Symbol für eine völlige Verlagerung des Schwergewichts innerhalb der Familie. Begriff und Rechtsstellung des „Familienoberhauptes“ kennt das neue Gesetz nicht mehr. Wo bisher der Ehemann maßgebend war, gilt in Hinkunft nur, was zwischen beiden Ehegatten vereinbart ist oder, falls sie sich nicht einigen können, die gerichtliche Entscheidung. Freilich ändert sich auch manches an den bisherigen Rechten der Frau, insbesondere erfolgt eine wesentliche Schlechterstellung hinsichtlich der Alimentationspflicht. Alle diese Maßnahmen sind dazu angetan, die Frau immer stärker in den Wirtschaftsprozeß einzuschalten und ihr dafür die Führung des Haushalts und die Kinderpflege abzunehmen, die der Staat viel lieber selbst besorgt. Ausdrücklich ist festgelegt, daß zur Ausübung eines Berufes oder zu seinem Wechsel kein Teil die Zustimmung des anderen benötigt.

Noch im Vorjahr konnte der einstige Budweiser Kaplan Plojhar — vielleicht im guten Glauben — behaupten, der volksdemokratische Staat stelle sich mit seiner Familiengesetzgebung voll hinter die Bemühungen der Kirche und unterstütze ihre Interessen. Um so mehr ließ die Predigt des Budweiser Bischofs H 1 o u c h a aufhorchen, die dieser, kurz bevor das neue Familiengesetz dem Parlament vorgelegt wurde, hielt. Gerade die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse macht der Bisdiof für die Zerrüttung der Familien verantwortlich, die heutige Jugenderziehung in der Tschechoslowakei nennt er „einen schrecklichen Mord an unschuldigen Kindern“.

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