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Das neue Österreich und seine Bundestheater

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Bald nach dem ersten Weltkrieg wurde die Frage aufgeworfen, ob die ehemaligen Hoftheater yom neuen Staate übernommen und weiterbetrieben werden sollten oder nicht. Man vertrat vielfach den Standpunkt, das klein und arm gewordene Österreich könne sich nicht mit Bühnen belasten, die selbst für den reichsten der europaischen Höfe verhältnismäßig kostspielig waren, und es ginge nicht an, Steuergelder, die von den Bewohnern aller Bundesländer gezahlt seien, für Institute zu verwenden, die im wesentlichen doch nur den Wienern zugute kämen. EHe maßgebenden Faktoren haben sich ungeachtet der gewiß namhaften Opfer für den Staat damals dahin entschieden, die ehemaligen Hoftheater als Staats-(Bundes-) Theater weiterzuführen.

Die Republik Österreich steht heute nach dem zweiten Weltkrieg wesentlidi ärmer da als nach dem ersten. Es mag daher im ersten Augenblick verwunderlich erscheinen, daß angesichts einer Lage, in der den Österreichern die elementarsten Lebensnotwendigkeiten mangeln und angesichts der Zerstörung des glänzenden Rahmens der beiden . Bühnen und fast ihres ganzen Fundus die nach dem ersten Weltkrieg viel erörterte Frage von niemandem gestellt und insbesondere anläßlich der Budgetverhandlungen für das laufende Jahr von keiner Partei aufgerollt wurde. Wir sehen vielmehr die Tatsache, daß zu den früher laufend bespielten drei Bundesbühnen (Burgtheater, Staatsoper, Akademietheater) nun noch zwei täglich oder fast täglidi spielende Bühnen (Redou-

■ tensail und Volksoper) gekommen sind und daß die Sorge um den Wiederaufbau der zerstörten Häuser geradezu eine vordringliche Sorge der staatlichen Baubehörden bildet.

Wo liegt der Grund für diese — sagen wir es vorweg — erfreuliche Tatsache?

Es ist ein alter nationalökonomischer Satz, daß ein bestimmter Vermögensteil für den Eigentümer um- so mehr an Wert gewinnt, je kleiner sein übriges Vermögen wird.

■ Weltkrieges ist dem neu entstandenen Rumpfösterreich immerhin noch so viel verblieben, daß es gegenüber dem jetzigen, schwer heimgesuchten, um seine Existenz ringenden Staat geradezu als reich gelten konnte. Das Österreich nach dem ersten Weltkrieg war aus einem jahrhundertealten, mit ihm verwachsenen Wirtschaftsgebiet herausgerissen, seiner Rohstoffquellen größtenteils beraubt, “Wien war aus dem

^Zentrum einer Großmacht - die Hauptstadt

• eines Staates geworden, der weniger Einwohner zählte als London; aber innerhalb der Grenzen dieses kleinen Staates standen unverletzt seine Kunstdenkmäler, seine Industrien, seine geordnete Verwaltung, kurz gesagt: was auf wirtsdiafdichem und kulturhistorischem Gebiet in seinem Rahmen bestanden hatte, war unverletzt .erhalten. Welch ein anderes Bild bietet Österreich nach dem zweiten Weltkrieg! Diesmal ist die Furie des Krieges und damit auch der Zerstörung mitten in sein Herz vorgedrungen. Auch was innerhalb seines Gebietes an Werten materieller Art noch vorhanden war, ist zum großen Teil dahin,

Professor Dr. Westphalen hat in einer Septembernummer der „Furche“ geschrieben: „Österreichs Schicksal war es — übrig-. zubleiben“. Nach den Zerstörungen im österreichischen Land sind tatsächlich nur mehr geistig-kulturelle Werte übriggeblieben, und fast nur sie machen noch Österreich aus. Nur vermöge dieser Werte kann Österreich noch eine Rolle in der Welt spielen und sich davor bewahren, als ein auf der Erdkarte fast nicht wahrnehmbarer Punkt der Nichtbeachtung anheim zu fallen. Der Vermögensteil„ der im Geistig-Kulturellen besteht, hat somit jetzt, da er den wesentlichsten Teil des einstigen großen Gesamtvermögens darstellt, für dieses Land größeren Wert gewonnen, als er ihn jemals besaß.

Unter den uns verbliebenen derartigen Werten nimmt nun das Theater einen besonderen, gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt bedeutungsvollen Platz ein, vor allem deshalb, weil es wohl kein Gebiet gibt, für das sich ohne Rücksicht auf Alter. Beruf, Stand, aber audi Nationalität und Sprache, so viele Menschen interessieren wie für das

Theater — und da wieder besonders für che Oper.

Nun muß man sich vor Augen halten, daß die Besetzung Österreichs durch die vier größten Mächte der Welt aus allen Teilen des Erdkreises Menschen nach Wien gebracht hat, die dieses Land kaum dem Namen nach kannten, die hier ein Trümmer feld antrafen, die, der Landessprache unkundig, besonders anfangs nicht imstande waren, mit der Bevölkerung in geistigen Kontakt zu treten, daher über Wert und Unwert dieses Landes und seiner Kultur sich kaum unterrichten konnten. Da ereignete sich die selbst die Österreicher überraschende Tatsache, daß hier sozusagen noch unter Geschützdonner und in Ruinen auf einem allen Völkern bekannten, daher allen zugänglichen Gebiet Leistungen von höchstem Niveau erbracht wurden, die die Aufmerksamkeit und das Interesse gerade der maßgebenden Persönlichkeiten der Besatzung auf sich ziehen mußten: auf dem Gebiet der Kunst, und da wieder besonders auf dem Gebiete des alle interessierenden Theaters, vor allem der Oper, welche die völkerverbindende Sprache der Musik vermittelt. Hier ergab sich der erste Kontakt, das erste gemeinsame Fühlen und Verstehen, hier die Erkenntnis von der Existenz vorhandener, im Wesen des Volkes gelegener Werte. Denn das durch die geographische Lage des Landes, durch die Mischung vieler Blutströme und durch die Geschichte gewordene und in seinen Eigenheiten bestimmte österreichische Wesen konnte wohl für alle nirgends so augenfällig in Erscheinung treten, als gerade im österreichischen Theater.

So wurden im gegenwärtigen Augenblick die österreichischen Theater — und unter ihnen allen voran die österreichischen Bundestheater — fast das einzige und wichtigste Sprachrohr für die große Weltöffentlichkeit. Vielleicht liegt der klarste Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung in der unleugbaren Tatsache, daß lange vor der Einladung irgendeines politischen Funktionärs zur Vertretung, der Interessen in London aus aller \Velt Einladungen zu Gastspielen an die Bundestheater gelangten; sie waren und sind fast die einzigen, welche die derzeit noch bestehende Absperrung Österreichs durchbrochen haben, um gleichsam als Wegbereiter des Verstehens und als Künder des wirklichen österreichertums unseren politischen Vertretern vorzuarbeiten.

Es ist bei dieser Sachlage nur zu begreiflich, daß im gegenwärtigen Augenblick über den Wert und die Notwendigkeit des Weiterbestandes unserer Bundesbühnen als einer gesamtösterreichischen Angelegenheit — ungeachtet der unleugbaren Opfer für ihre Erhaltung — eine Diskussion nicht aufgekommen ist.

Diese Stellung der Bundestheater, wertvollster Faktoren österreichischen Kulturbestandes, bringt aber eines in erhöhtem Grade mit sich: Verpflichtung!

Werden wir uns darüber klar, daß die großen Opfer, die der Staat für seine Bühnen bringt, sich nur dann rechtfertigen lassen, wenn in höchstmöglicher künstlerischer Vollendung

wirklich österreichisches

Theater gespielt wird und daß sich auch das kleinste Opfer nicht lohnt, wenn dieses Ziel nicht erreicht wird: zur bloßen Unterhaltung und Zerstreuung — deren Berechtigung im übrigen keineswegs geleugnet werden soll — hat dieser arme Staat kein Geld.

Zu. diesem Thema hier nur ein kurzes Wort. Höchste künstlerische Vollendung! Es muß anerkannt werden, daß im Laufe des letzten Jahres zu den schon altbewährten Kräften neue, scharf profilierte Künstlerpersönlichkeiten von Format getreten sind, die die bestandenen Lücken zum großen Teil aufgefüllt haben. Damit ist sozusagen die Klaviatur geschaffen, auf der Vollendetes gespielt werden kann. Aber jedes Instrument muß e i n gespielt werden. Noch steht die große Arbeit bevor, eine Vielheit zur Einheit zusammenzufassen, aus dem vielfach noch bestehenden Nebeneinander ein Miteinander au bilden und aus wechselnden bleibende Ensembles zu schaffen.

Und mit diesen künstlerischen Mitteln soll wirklich österreichisches Theater gespielt werden, das will sagen, ein Theater, das — um mit Wildgans zu sprechen — der großen „theatralischen Tradition“ eines Landes und besonders auch einer Stadt entspricht, „von der aus die

Zauberflöte, der Figaro und später der Fidelio ihren Siegeszug über die Erde angetreten haben“, die Beethoven, Mozart, Haydn, Schubert, Brahms, Bruckner, Mahler, Wolf, Johann Strauß, Grillparzer, Nestroy, Raimund — Heimat war.

Einer der geistvollsten und bedeutendsten Direktoren der Wiener Staatsoper und einer ihrer besten Kenner, Franz Schalk, hat einmal das Wort geprägt: „Man kann für oder gegen die Tradition sein, aber kennen muß man sie.“ Er war der Meinung, daß die Kenntnis dieser Tradition der Bundestheater nur zu ihrer Bejahung führen könne.

Jeder Kenner dieser Tradition unserer Bundestheater wird, um hier nur einiges Wesentliche hervorzuheben, wissen, daß jeder Annahme eines Werkes eine strengste Prüfung auf seinen Wert oder Unwert und weiter eine sorgfältige Prüfung der Frage über seine Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit im Repertoire vorausging, daß aber anderseits kein wirkliches Meisterwerk ohne Rücksicht auf seinen Entstehungsort und die

Nationalität seines Autors übersehen werden durfte, und daß endlich bei all dem peinlichst vermieden wurde, die Gefühle anders Denkender, insbesondere aber auch religiöse Gefühle, zu verletzen.

Wir sind uns darüber im klaren, daß auch auf diesem Wege Irrtümer unterlaufen können und sogar — es handelt sich um Menschen — unterlaufen müssen. Wir sind aber überzeugt, daß nur auf diesem Wege die Bundestheater ihrer Mission gerecht werden können: für den Staat unentbehrliche Künder österreichischer Kultur und österreichischen Wesens zu sein.

Solange sie dies sind, wird es nicht notwendig .sein, die Frage um ihren Weiterbestand wieder aufzurollen, denn — so paradox es klingt: das alte Österreich konnte Reichtum, Glanz, Macht zu seinen Gunsten in die Waagschale werfen, auf der sein Gewicht in der Welt gemessen wurde; das neue Österreich in seiner Armut legt auf diese Waagschale nicht als kleinstes Gewicht seine Bundestheater.

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