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Das neue Risorgimento Italiens

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Das Wort „Vertrag“ bedeutet ein Rechts-gesdiäft, durch das zwei oder mehrere Parteien ihre Bedürfnisse wechselseitig ausgleichen oder ergänzen. Bei dem Akt, den man den Friedensvertrag zwischen Italien und den Alliierten nennt, handelt es sich nicht um eine solche Wecheslseitig-keit, vielmehr um ein ; Abkommen unter den Alliierten, wobei die Rolle Italiens sich auf Kenntnisnahme beschränkt.

Zwar könnte sich Italien weigern, diesen einseitigen Akt zu unterzeichnen, aber es lehnt eine solche Konsequenz ab, denn nur mit der formellen Annahme kann es wieder zu einer vollen Persönlichkeit internationalen Rechts gelangen und Einlaß zu den Vereinten Nationen erhalten. Im Rahmen der Vereinten Nationen, .unter denen Italien auch die vielen Stimmen seiner südamerikanischen Freunde besitzt, wird es zu rechter Zeit seine Schritte zu einer Revision machen können.

Am härtesten trifft das italienische Empfinden die Abtretung an Jugoslawien von Istrien, Fiume und Zara sowie die Loslösung Triests. Es ist kaum anzunehmen, daß sich künftige Generationen damit abfinden. Was auch immer die Kormnunisten-führer sagen mögen, in der Zukunft wird Italien keine Mittel scheuen, die Lage des Status quo ante, die schon eine Kompromißlösung war, wieder herzustellen.

Was lastet man Italien an? Der Italiener weiß nur allzusehr, daß, wenn in seinem Lande Mussolini auf der Seite Hitlers gekämpft hat, es an ähnlichen Staatsmännern auch in Jugoslawien nföfet gemangelt hat, und daß große jugoslawische Verbände bis Stalingrad Schulter an Schulter mit Deutschen gekämpft haben. Hat es in Jugoslawien eine Guerilla gegeben, so kann Italien auch eine weitgehende bewaffnete Resistenz, welche von den Verbündeten seiner, zeit höher geschätzt wurde als der Kleinkrieg Titos, aufweisen. Wenn einzelne faschistische Ausschreitungen gegenüber den Jugoslawen in Erinnerung gebracht werden, so sind diese durch die von den Jugoslawen selbst gegen die Italiener östlich des Isonzo verübten Greueltaten bei weitem ausgeglichen. Mit einem Worte, Jugoslawien hat Italien gegenüber keine Rechte zu fordern, denn das begangene Übel und die Verdienste der beiden 'Teile gleichen einander aus. Die an Jugoslawien gemachten Konzessionen hat es in der Tat Rußland zu verdanken, und diese müssen daher von selbst fallen, wenn Raßland eines Tages daran kein Interesse geltend machen will.

Dagegen wird es in Italien allgemein als billig empfunden, daß die ä g ä i s c h e Zwölfinselgruppe an Griechenland abgetreten wird. Denn für Griechenland besteht kein Anlaß, eine Verantwortlichkeit mit Italien zu teilen, und es muß zugegeben werden, daß es von dem faschistischen Regime Übles erfahren hat. Die Abtretung Albaniens an die jugoslawische Einflußzone läßt Italien ganz gleichgültig. Albanien hat dem italienischen Schatzamt ungeheure Summen gekostet und hat sich als höchst unzuverlässiger Partner erwiesen. Die Ausschaltung Albaniens aus dem Bereich der italienischen Einflußzone dürfte alsbald eher von den Albanern hart empfunden werden.

Auf seine Souveränität über seine afrikanischen Kolonien, so bestimmt der Vertrag, hat Italien Verzicht zu leisten. Dies läßt noch immer die Möglichkeit offen, die Verwaltung im Rahmen der Vereinten Nationen als e i n e Art Mandat zu erlangen. Damit dürfte sich auch die öffentliche Meinung in Italien abfinden. Die vorfaschistischen Kolonien (Äthiopien) sind dem Negus zurückgegeben worden, ohne überhaupt die Einwilligung Italiens einzuziehen, obwohl die Annexion dieses Landes internationale Anerkennung ge-Junden hatte. Italien wendete auf Äthiopien bedeutende Kosten auf, ohne daß der wirtschaftliche Erfolg dafür lohnte. Anders liegen die Interessen Italiens in L y b i e n, Erythrea und S o m a 1 i e n, Gebiete, in denen das leitende Element aus italienischen Kolonisten gebildet ist, die mit zäher Arbelt die wenigen Entwicklungmöglichkeiten jener Länder gefördert haben. Mit Ausnahme der aufgewiegelten Senussibanden in der Cyrenaika (im ganzen vielleicht 10.000 Nomaden, die das Innere der Kolonie durchstreifen), ist das Verhältnis Italiens und der italienischen Kolonisten zu den Emgeborenen (Berber, Araber, Kopten und Somalis) immer gut, ja sogar herzlich gewesen. Wozu denn also, fragt man sich in Italien, Änderungen? Für Mussolini ist die Preisgabe Äthiopiens schon genügende Buße, und nachdem diese mageren Kolonien ein wahrer Zankapfel unter den Alliierten sind, wäre das Vernünftigste, sie bei Italien zu belassen.

Der finanzielle und der militärische Inhalt des „Friedensvertrages“ wird als u ndurchführbares Absurdum bezeichnet. Man fragt sich, wie ein 46-Mil-lionenvolk ohne genügende eigene Wehrkraft dauernd den Gelüsten irgendwelcher Mächte ausgesetzt bleiben kann und überhaupt, ob es untrer dem Damoklesschwert einer Invasion im Falle eines Konflikts anderer existieren soll. Würden derartige Zustände ernst gemeint werden, so wäre es besser, auf die Selbständigkeit zu verzichten, um im Schatten eines Mächtigeren geborgen zu sein. Die internationalen „Garantien“ flößen dem italienischen Volke kein besonderes Vertrauen ein.

Wie aber sollen Kontributionen praktisch eingezogen werden? Italien ist noch aui lange auf fremden Beistand für seinen Wiederaufbau angewiesen und wird nicht in der Lage sein, die vielen Millionen Dollar an Rußland, Jugoslawien, Griechenland, Albanien und Äthiopien zu zahlen. Um so weniger, als Äthiopien Milliarden italienischer Goldlire in den wenigen Jahren italienischer Verwaltung verschlungen hat, ebenso Albanien. Beide Länder wären eher Schuldner als Gläubiger Italiens, und Griechenland ist durch die obenangeführte Gebietsabtretung weit genug entschädigt, denn während des Krieges hat Italien Griechenland durch Lebensmittel-Zufuhren von einer totalen Ausrottung be-wahrt. Die einzige Kontribution, die als gerecht, angesehen wird, ist diejenige, die von Rußland gefordert wird, der Betrag ist aber übertrieben und muß einer Revision unterzogen werden, vorausgesetzt, daß jemah Italien in die Lage kommt, sie zu bezahlen.

Soweit die Kritik des Diktats in dem allgemeinen Urteil des italienischen Volkes.

Die Katastrophe, welche der Fall des Faschismus in Italien verursachte, hat ihresgleichen in der italienischen Geschichte nicht, ja selbst die Züge Hannibals trafen das Land verhältnismäßig milder. Trotzdem verzweifelt das italienische Volk an seiner Zukunft nicht. In seiner dreitausendjährigen Geschichte hat Italien zahllose Invasionen über sich ergehen lassen müssen Das italienische Volk hat darunter gelitten, ist aber als Volkseinheit erhalten geblieben, die Fremden jedoch haben letzten Endes nur ihre Gräber zurückgelassen.

So vertraut das Land trotz allem noch heute seiner Zukunft. Für die Rechtmäßigkeit seiner Zuversicht sprechen deutlich drei Symptome: der natürliche Bevölkerungszuwachs während der Kriegsjahre, die Erhaltung der nationalen Einheit und die große Sympathie, welche das verunglückte Land in der westlichen Welt entdeckte.

Was ist groß? Wenn man Im Unglück tapfer und zäh ausholt, wenn man den Überfluß nicht nur ablehnt, sondern ihm geradezu feindlich gegenübersteht, wenn man nicht tollkühn ist, aber auch nicht feige, wenn man nicht auf Geschenke des Schicksals wartet, sondern sein Geschick selbst In die Hand zu nehmen weiß, wenn man bereit ist, ohne Furcht und Verwirrung Im Glück und Unglück vorwärts zu schreiten und wenn man sich nicht durch den Lärm des Unglücks und auch nicht durch den Glanz des Glückes verwirren läßt.

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