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Das Opfer geht einem ans Herz

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dieFurche: Warum debattiert man jetzt wieder die lebenslange Freiheitsstrafe?

Liane Höbinger-Lehrer: Mir ist es rätselhaft. Die Debatte ergibt sich leider immer erst dann, wenn etwas Schreckliches passiert ist. Mein Standpunkt zu „lebenslänglich" gründet sich auf 23 Jahre Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft, wo ich enorm viele scheußliche Mordfälle bearbeitet habe. Da bekommt man doch einen erweiterten Einblick, man sieht dann nicht mehr alles täterorientiert, sondern da liegt etwas auf dem Boden, was kaputt gemacht worden ist, auf die gräßlichste Art, die man sich vorstellen kann, ausgeweidet... Wissen-Sie, das beeinflußt einen, das legt man nicht mit einem Akt weg, das beschäftigt einen in die Nacht hinein. Und nicht der Täter, sondern das Opfer geht einem ans Herz. Aus dieser Si -tuation ist die Rede entstanden „Lebenslang muß lebenslang bleiben"; was übrigens falsch ist, denn wann bekommt man heute schon lebenslang.

die Furche: Zu selten lebenslang?

Höbinger-Lehrkr: Man kriegt's nur für eine Tat, die an Scheußlichkeiten nicht zu überbieten und sinnlos ist, weil du kein Motiv sehen kannst. Eine abscheuliche Tat hat wahrscheinlich nie Sinn, aber manches ist wenigste! is^nachvollziehbar; wie-Mord in allbegrejflicher heftiger Gemütsbe-wcgungJH^m^üheren Totschlag oder absichtliche"schwere Körperverletzung 'mit tödlichem Ausgang, wenn man Mordabsicht nicht nachweisen kann, obwohl der Täter fünfmal in die Herzgegend gestochen hat. Da gibt's ja schon einige Variationsmöglichkeiten.

dieFurche: Lebenslang ist zudem nicht immer lebenslang.

Höbinger-Lehrer: In der Regel nicht, weil es gibt auch bei der lebenslangen Freiheitsstrafe die bedingte Entlassung, wobei schon die Anlaßtat, die Aufführung des Täters während der Haft zu prüfen und eine gewisse Zukunftsprognose zu stellen ist. Ein Psychiater, der mit solchen Leuten arbeitet, ist nicht ganz frei von persönlichen Sentiments oder Resentiments. Er ist ja nicht daran interessiert, erfolglos vom Täter wegzugehen, er wünscht ja dessen Resozialisierung.

dieFurche: Sollte nicht auch ein Lebenslanger noch eine Chance bekommen?

Höbinger-Lehrer: Bevor man eine bedingte Entlassung, die man nie ausschließen sollte, durchführt, müßten mehrere Gutachten eingeholt werden, auch wenn's Geld kostet. Außerdem gibt es keinen Lebenslangen, der nicht eine Betreuung bekommt. Das Restrisiko darf aber nicht auf der Bevölkerung haften bleiben. Ich habe einmal vorgeschlagen, denjenigen, der die bedingte Entlassung befürwortet, in die Verantwortung - -einzubinden, dann w^irde manches anders ausschauen. Es gibt ein freies Er* messen, aber das der Psychiater ist ungemessen und nur begrenzt durch ihre eigene Einsicht, daß man vielleicht doch nicht alles wissen kann.

dieFurche: Das gilt doch wohl auch fiir mehrere Gutachten.

Höbinger-Lehrer: Selbstverständlich. Aber man sieht schon eine ganze Menge, wie bei jenem Fall, durch den ich in die Politik katapultiert wurde: Da haben sich so viele Ungereimtheiten ergeben, so viele Dinge, die man hätte überprüfen können, da sind so viele Fehler und Nachlässigkeiten passiert, die dann zu Lasten dieses armen Kindes gegangen sind. Natürlich wird man nie ganz wissen können, wie sich ein Mensch entwickelt.

dieFurche: Müßten da nicht auch Politiker in ihren Urteilen vorsichtiger sein, sich vor vorschnellen Aussagen hüten?

Höbinger-Lehrer: Wenn Sie mich persönlich ansprechen, dann bin ich überhaupt wenig das Paradebeispiel eines Politikers. Ich agiere so, wie ich mein Leben lang agiert habe, auch als Staatsanwalt habe ich es nicht anders getan. Ohne etwas politisch auszunützen, habe ich einfach, wenn mir die Gelegenheit dazu geboten wurde - im Rahmen eines Plädoyers - meine Meinung gesagt. Zeitungen haben das dann transportiert. Deshalb weiß ich mich in dieser Sache frei von Schuld.

dieFurche: Als Scharfmacherin würden Sie sich nicht sehen?

Höbinger-Lehrer: Von gewissen Kreisen werde ich als Blutrichterin gesehen. Man unterstellte mir auch, für die Todesstrafe zu sein. Aber ich kann Ihnen sagen, die meisten Strafrichter oder Staatsanwälte haben nach einer emotionsgeladenen Sitzung schon so gedacht oder solches gesagt. Ich red' leider gerne aus und habe vielleicht nach einer scheußlichen Verhandlung gesagt, wäre eh gscheiter die Rübe ab. Aber es würde mir nie einfallen, die Todesstrafe zu fordern. Das einzige, was man sagen kann, die Leute sind dann weg,- wir hrnurhqn, »rnuwri eine bedingte Entlassung nicht mehr zu kümmern. Aber dqs -ist jiicht. mein Kaffee, das sollen die machen, die als Politiker lOOprozentig der Meinung sind, sie können das vertreten. Ich bin es nicht.

Und noch einmal zur bedingten Entlassung: Die Möglichkeit ja, aber genaue Prüfung - nicht einfach so ohne Ansehen der Bevölkerung.

dieFurche: Wird heute zu extensiv bedingt entlassen?

Höbinger-Lehrer: Im Sicherheitsbe-richtvon 1994 istvon fünfbedingt entlassenen Lebenslänglichen die Rede. Aber vorher spielt sich schon das Frei-gängertum ab, da wird es ja schon kritisch. Es fehlt oft eine begleitende Kontrolle, vor allem eine Vorsorge, in welche Bereiche die Leute zurückkommen, ob es eine Familie gibt, die sie aufnimmt.

dieFurche: Was schlagen Sie also in bezug auf lebenslänglich vor?

Höbinger-Lehrer: Es wäre keine Änderung notwendig, sondern mehr Vorsicht und Rücksicht auf die Bevölkerung und auf die Beamten im Strafvollzug. Ich bin für Resozialisation, wenn sie möglich ist, aber ich stehe auf dem Standpunkt, das Restrisiko hat der Täter und nicht die Bevölkerung zu tragen.

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