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Das Orakel von Brüssel

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Die jüngste Stellungnahme des Ministerrates der EWG zur österreichischen Frage erlaubt verschiedene Auslegungen. Natürlich liegen die Gründe auf der Hand, warum Brüssel zwar eine Erklärung zugunsten offizieller Verhandlungen mit Österreich abgegeben, jedoch der EWG-Kommission noch kein formuliertes Mandat erteilt hat. Während die Kommission über die Einhaltung des Römer Vertrages wacht, aber im Sinn ihrer Separatpolitik eine Sprengung der EFTA erhofft, vertreten die einzelnen Staaten individuelle Interessen. Westdeutschland ist für eine Assoziierung, weil der Lebensraum des freien Europa erweitert und der deutsche Export nach Österreich gesteigert würde, teilweise sogar auf Kosten einzelner EWG-Partner. Holland ist gegen eine isolierte Assoziierung, weil es noch immer einen allgemeinen Brückenschlag einschließlich Großbritannien anstrebt und sein Warenverkehr mit Österreich derart glatt verläuft, daß jede Änderung unbekannte Faktoren begünstigen könnte. Italien, das bereits Opfer zugunsten Griechenlands .. bringen mußte, verteidigt sein Ansprüche gegen “ Frankreich- im Mittelmeer. besonder in Marokko,” - Algerien und-. Tffliesien. - Als Signatarmacht des Staatsvertrages wünscht Frankreich - wiederum keine Unklarheiten gegenüber der Neutralitätsakte, der Sowjetunion und ihren Satelliten. Belgien, das wegen seinem geringfügigen Güteraustausch mit Österreich keine Sonderinteressen vertritt, sucht endlich nach einer diplomatischen Formel, die alle geltenden Verträge und Abkommen berücksichtigt. Unter diesen Umständen ist der Umfang des Auftrags, den die Minister am 12. Oktober der Kommission erteilen wollen, noch vollkommen offen. Der Spielraum reicht von einigen Kontingenten über ein einfaches Handelsabkommen bis zu einer Assoziierung, wobei jedoch kein Präzedenzfall geschaffen werden darf und eine ausdrückliche Bezeichnung als „Assoziierung” grundsätzlich unterbleiben soll. Außerdem zeigt die EWG-Kommis- sion, die von Unterkommissionen und Institutionen geradezu blockiert ist, wenig Neigung, einen neuen Assoziationsrat für Österreich ins Leben zu rufen. Jedenfalls hat sich die Öffentlichkeit Österreichs großen Illusionen über die EWG hingegeben.

Die Haltung der Schweiz

Das Votum Brüssels entsprach in allęp Einzelheiten. genau den Informationen, die seit Monaten in Bern Vorlagen. Nach Auffassung der Schweiz ist die EWG zur Zeit noch nicht für einen „Brückenschlag zur EFTA” reif, weil die Wirtschaftsgemeinschaft an einer inneren Krise leidet, das künftige Verhälthis zu den sogenannten Drittländern in keiner Weise geklärt erscheint und die Kennedy-Runde des GATT den absoluten Vorrang genießt. In Brüssel spielen im Augenblick, wie Bern glaubt, nicht nur die Fragen der Atlantischen Gemeinschaft und die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten e;ne wichtige Rolle, sondern vor allem verfolgen Frankreich und Westdeutschland einen verschiedenen Kurs, während Holland, Belgien und Italien ihre Stellungnahme jeweils den taktischen Möglichkeiten anpassen. Bern hält es daher für zweckmäßig, die Kennedy-Runde des GATT mit allen Kräften zu unterstützen sowie neue Differenzen zwischen EWG und EFTA zu vermeiden, um die bestehende handelspolitische Kluft nicht zu vertiefen. Gewisse Hoffnungen erweckt vielleicht die Absicht Bonns, im Herbst eine automatische Zollreduktion des Gemeinsamen Marktes zu beantragen. Aus dieser Situation gebe es nur einen Ausweg: Geduld, Abwarten und ein weiterer Ausbau der EFTA, bis sich eines Tages der „Brückenschlag” als unvermeidlich erweisen müsse.

Es ist anzunehmen, daß Bundeskanzler Dr. Josef Klaus anläßlich seines offiziellen Besuches in Bern von diesen allgemeinen Erwägungen in Kenntnis gesetzt wurde. Wenn Wien einmal der falschen Vorstellung erlegen sein sollte, die Schweiz besitze Verständnis oder gar Sympathien für einen „Alleingang nach Brüssel”, so wurde diese Hoffnung enttäuscht. Die Schweiz beharrt vielmehr auf dem bewährten EFTA- Kurs, hält Separataktionen für gefährlich und befolgt streng das Prinzip der Nichteinmischung, das zum Rüstzeug jeder echten Neutralitätspolitik gehört. Immerhin macht sich jedermann trübe Gedanken, wie Österreich seinen stolzen „Sonderfall” behandeln will, wenn die EWG als selbstverständliche Voraussetzung jeder wie immer gearteten Assoziierung erst einmal den Austritt aus der EFTA fordert.

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