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Das päpstliche Ehegericht gibt Rechenschaft

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Rom, im Februar 1950 „Um einige Millionen erhält man beim päpstlichen Gerichtshof der Rota die' schönste Ehescheidung, in klassischem Kurialstil, und damit auch das Seelenheil, das man doch nie genug bezahlen kann.“ So schrieb am Jl. Mai 1949 eine größere italienische Zeitung, unter anderen schweren Vorwürfen der Simonie und Korruption. Am gleichen Tage erklärte ein anderes Blatt, die päpstliche Rota lasse zwar die Ehescheidung nicht zu, aber sie reiße in Italien jede Nichtigkeitserklärung einer Ehe an sich, um dann eine neue Ehe zu erlauben, falls der Kläger nur eine mit Banknoten prall gefüllte Tasche vor den Richter legt.

Im Hintergrund dieser Anschuldigungen stehen die schweren Kämpfe der gesetzgebenden Versammlung Italiens um die Einführung der zivilen Ehescheidung und damit um die Abschaffung des Art. 34 des Konkordats mit dem Hl. Stuhl vom 11. Februar 1929, der die Übernahme des Eherechtes der katholischen Kirche in den zivilen Rechtsbereich Italiens bedeutet. Auf die Anwürfe gegen die Spruchpraxis der Kirche in Ehesachen hat das päpstliche Gerfcht in kühler Weise zunächst nur durch Übermittlung seines statistischen Materials und seiner Bilanz an das Parlament geantwortet. Die Zahlen sprachen, nüchtern und sachlich. — Als aber in breitester Öffentlichkeit die Integrität des päpstlichen Gerichtshofes, seine Würde, Ehre und Unbestechlichkeit angetastet wurden, konnte die Rota nicht mehr schweigen. Denn die Rota ist ein Welttribunal, ein internationales Gericht, der älteste und berühmteste Gerichtshöf überhaupt. Er blickt auf eine über 800jährige Spruchpraxis zurück, seine seit dem 14. Jahrhundert veröffentlichten Urteile und Entscheidungen füllen ganze Bibliotheken. Die Rota war es vor allem, die nicht nur das kanonische Recht im Laufe der Jahrhunderte herausgearbeitet hat, sondern auch das Zivilrecht des Nachmittelalters, das „gemeine Recht“, auf dem noch heute die modernen Gesetzgebungen zum guten Teil fußen. Denn die Rota war als päpstliches Gericht auch zuständig in den Zivilsachen des Kirchenstaates, und einer ihrer trefflichsten Richter, Kardinal De L u c a, ist' der große Meister des ' „gemeinen Rechts“. Ihre Unbestechlichkeit und Unantastbarkeit war seit Jahrhunderten der Stolz der Rota. Trotz der drohenden Gefahr eines Schismas, des Abfalles eines ganzen Landes von der Mutterkirche, hat zum Beispiel die Rota dennoch die Ehe eines Heinrich VIII. von England mit Katharina von Aragon gültig erklärt. Trotz aller Vorwürfe, Anfeindungen, Verleumdungen und äußeren Schäden der Kirche setzte sie unbeirrt ihre konsequente objektive Rechtsprechung fort.

Nach 800 Jahren unwandelbarer Rechts-treue und sensationsloser Gerichtsbarkeit konnten nur die schwersten Gründe sie nunmehr bewegen, vor die breiteste Öffentlichkeit zu treten, zu einer umfassenden Rechenschaftslegung, die man ihr aufzwang. Wäre das Vertrauen in ihre Rechtstreue einmal gebrochen und ihre Rechtsgrundsätze fragwürdig gemacht, würde es viel leichter gelingen, den Staat von einer zivilen Ehescheidungsgesetzgebung zu überzeugen.

Am 28. Juni 1949 reichte der päpstliche Gerichtshof der Rota die formelle Verleumdungs- und Beleidigungsklage durch ihren Vertreter, den Rotarichter Möns. Dr. Dino Staffa, beim italienischen Staatsanwalt ein. Er räumte den Beklagten weitestgehende Möglichkeit ein, ihre Beschuldigungen unter gerichtlichen Beweis zu stellen. Die Termine wurden verschoben, selbst die Urteilsfällung am 19. Jänner 1950 wurde wiederum um einen Monat verlegt. Die Beklagten erstrebten einen Vergleich, einen Widerruf hinter verschlossener Tür —, doch die Rota, oberste gewöhnliche Appellationsinstanz der gesamten katholischen Welt, und in Italien dazu noch fast ausschließlich kompetentes, letztes ordentliches Berufungsgericht in Ehenichtigkeitssachen, konnte um keinen Preis auf die öffentliche Durchführung des Prozesses bis zum Urteil und den verlangten öffentlichen Widerruf verzichten.

Wesen und Funktion der Rota

Der Name „Rota“ (Rad) stammt wahrscheinlich von einem kreisförmig eingefaßten Raum im päpstlichen Palast zu Avignon, in dem das Tribunal zur Urteilsfällung saß. Als Richter werden vom Papste Doktoren beider Rechte aus dem Klerus der ganzen Welt erwählt. Unter ihnen soll immer ein Deutscher, ein Franzose, ein Engländer, ein Pole und ein Amerikaner sein. Ihre Gesamtzahl beträgt zur Zeit 14. Das Kollegium leitet ein Dekan als „primus inter pares“, zur Zeit ein Franzose, Möns. Andreas Jullien. Der derzeitige deutsche Rotarichter ist seit 1926 Möns. Arthur Wynen aus der Diözese Münster. Zum Tribunal gehört ein öffentlicher Gerechtigkeitsanwalt (Promotor iustitiae), kurz Amtsanwalt genannt, und der öffentliche Ehebandsverteidiger, dem zwei Stellvertreter und etwa 20 beauftragte Eheverteidiger zur Seite stehen. Als prozeßführende Advokaten werden Priester und Laien zugelassen, die den Doktor im Kirchenrecht sowie das Diplom der Rotaadvokatur besitzen.

Da die Rota ein päpstlicher Gerichtshof ist, hat ihre Kompetenz keine territoriale Beschränkung. Während sie in erster Instanz nur über solche Rechtsstreite urteilt, die der Hl. Stuhl sich reserviert und ihr überträgt, ist sie normalerweise Berufungsgericht, und zwar in der zweiten und weiteren Instanz, für alle Prozesse kirchlicher Angelegenheiten, wie Vermögenssti eitigkeiten, Strafsachen, Belei-digungs- und Verleumdungsklagen, Trennung der ehelichen Gemeinschaft, das heißt des bloßen Zusammenlebens, usw. In der überwiegenden Mehrzahl jedoch gehen die dort geführten Prozesse um die Gültigkeit einer Ehe. Die Urteilsfällung erfolgt im sogenannten Turnus, in dem drei Richter (Auditores) nach Mehrheit entscheiden, einer jedoch den Vorsitz führt (Ponens).

Die Urteile der Rota werden nach neun Jahren ohne Namensnennung der Parteien veröffentlicht in den Jahresbänden der „Sacrae Romanae Rotae Decisiones seu Sententiae“.

Ehescheidung und Nichtigkeitserklärung

Uber die Rechtsprechung der kirchlichen Gerichte und der päpstlichen Rota im besonderen sind im Laufe der Zeit die gröbsten Mißverständnisse entstanden. Man wirft der Kirche vor, sie gäbe allmählich das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe preis und lasse in Wirklichkeit die Ehescheidung zu. Dem liegt eine grobe Verwechslung zugrunde zwischen Nichtigkeitserklärung einer von Anfang an als ungültig, also nicht bestehenden Ehe und der wirklichen Ehescheidung, der Trennung eines tatsächlich bestehenden Ehebandes, so wie sie in der zivilen Gesetzgebung der modernen Staaten zugelassen wird. Die Kirche kennt kleine Ehescheidung, wohl aber stellt sie durch einen regulären Prozeß und richterliches Urteil fest, ob eine Ehe überhaupt als gültig bestand. Ihre Urteile sind also Entscheidungen über die Existenz eines Ehebandes, wobei sie nie positiv die Gültigkeit einer Ehe ausspricht, sondern nur erklärt, entweder ,daß aus dem im Verlauf des Prozesses gelieferten Beweis die Nichtigkeit feststeht (constat de nulli-täte), oder aber, daß aus dem bisher erbrachten Beweismaterial diese Nichtigkeit des Ehebandes nicht resultiert (non constat). Da diese Urteile nie endgültig rechtskräftig werden, kann unter gewissen Bedingungen ein weiteres Verfahren mit neuen Beweisen angestrengt werden. Zur berechtigten Wiederverheiratung jedoch sind stets zwei in gleicher Weise die Nichtigkeit der ersten Ehe aussprechende Urteile erforderlich, so daß der Ehebandsverteidiger beim ersten Nichtigkeitsurteil immer gegen das Urteil Berufung einlegen muß.

Ungültigkeit einer Ehe

Interessant ist nun die Frage, wann liegt eine ungültige Ehe überhaupt vor? Außer den sogenannten trennenden Ehehindernissen, wie ungenügendes Alter, Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft in den kirchlich verbotenen Graden, ungültige oder fehlende Taufe eines Ehepartners, geschlechtliche Eheunfähigkeit, noch bestehende gültige, wenn auch zivil geschiedene Ehe und anderes, und der mangelnden Eheschließungsform (vor dem zuständigen Geistlichen und zwei Zeugen) ist es vor allem der Mangel des rechten Ehewillens, der eine Ehe von Anfang an ungültig macht, diese also überhaupt nicht besteht, auch wenn sie kirchlich eingesegnet wurde. Ein Mangel des Ehewillens aber, trotz ausgesprochenem Jawort, kann vorliegen bei fehlender Kenntnis der Ehe als solcher, bei schwerem Irrtum bezüglich der Person selbst des Partners, bei Ausschluß der wesentlichen Eheeigenschaften, nämlich Einheit und Unauflöslichkeit, sowie des Rechtes auf die Kindererzeugung, bei genötigtem Eheabschluß durch 'Zwang oder Furcht und bei nichterfüllter formeller Bedingung. Meist werden solche Nichtigkeitsgründe erst nach längerem Zusammenleben bekannt und vielfach nur bei Zerrüttung des Ehelebens Anlaß zum Prozeß. Da jedoch andererseits eine unglückliche Ehe zur Erfindung solcher Nichtigkeitsgründe führt oder zur Übertreibung nicht rechtswirksamer Ansätze, werden vor Gericht die höchsten Anforderungen an die Beweisführung gestellt. Die Gutachten vereidigter Ärzte spielen je nach dem Fall eine nicht unerhebliche Rolle.

Eheauflösung

Außer der Nichtigkeitserklärung einer von Anfang an nicht bestehenden Ehe gibt es jedoch auch eine Auflösung einer tatsächlich gültig bestehenden Ehe: eine körperlich noch nicht vollzogene Ehe ist noch nicht absolut unauflöslich, doch besitzt der Papst infolge seiner Lösungsgewalt die stellvertretende Vollmacht, ein kraft göttlichen Rechtes bestehendes, aber noch nicht vollzogenes Eheband zu lösen, wenn dieser Nicht-vollzug einwandfrei feststeht und außerdem schwerwiegendste Gründe die Lösung der Ehe befürworten. Die Entscheidung darüber, ob er eine solche Ehe löst, steht einzig und allein dem Papste zu. Jedoch ist der Beweis des Nichtvollzugs nach dem Zusammenleben äußerst schwierig, und gerade hier sind Betrug und irreführende Zeugenaussagen am ehesten zu vermuten. So versuchte zum Beispiel noch vor kurzem eine Frau ah ihrer Statt ihre nicht verheiratete Schwester zur gerichtsärztlichen Untersuchung zu schicken. Auf solche und ' ähnliche Betrugsversuche, wie auch Zeugenbestechung, Brieffälschungen, Erfindungen usw., ist jedoch ein Gerichtshof, der eine Jahrhunderte alte Erfahrung, tiefste Menschenkenntnis und die Hilfe der modernstpn Wissenschaft besitzt, vorbereitet.

Nur die Wahrheit kann bei dem langen und genauen Gerichtsverfahren mit seinen klar abgewogenen Gesetzen und praktischen Instruktionen am Ende bestehen. Daß die Kirche einem Gatten, der in schuldbarer Weise selbst die Ungültigkeit seiner Ehe verursacht hat, das Klagerecht entzieht, sei nur nebenbei erwähnt. (Näheres über kirchliches Eherecht und den Eheprozeß siehe bei H. Hanstein, „Kanonisches Eherecht“, Schöningh, Paderborn, 1949).

Eine überraschende Statistik

Es ist nun eine Erfahrungstatsache, daß reiche und begüterte Eheleute viel leichter dazukommen, einen Eheprozeß anzustrengen, in der stillen Hoffnung, durch entsprechende Bezahlung die Tüchtigkeit des erwählten Advokaten zu steigern. Ärmere dagegen sehen sich dieser „Hoffnung“ beraubt und ertragen ihr Schicksal. Das erklärt die merkwürdige statistische Feststellung, daß bezahlte Prozesse viel weniger ein günstiges Urteil erhalten als die im sogenannten Armenrecht geführten. Von 1936 bis 1948 wurden an der Rota 572 bezahlte Nichtigkeitsprozesse geführt. Davon wurden 221 bejahend entschieden, also 38,6 Prozent; dagegen in der gleichen Zeit von 458 nicht bezahlten 210 anerkannt, also 45,8 Prozent. Noch deutlicher tritt dieses Verhältnis bei einer Durchsicht der Jahresstatistiken hervor: 1936 wurde die Nichtigkeit der Ehe ausgesprochen bei 15 bezahlten, jedoch bei 19 im Armenrecht geführten; 1937 bei 8 bezahlten, dagegen bei 17 nicht bezahlten; 1938 sogar bei nur 6 bezahlten gegenüber 21 nicht bezahlten; 1939 4 gegen 10; 1940: 10 gegen 14; 1941: 11 gegen 19. Daraus jedoch eine Voreingenommenheit des Tribunals gegen die bezahlten Prozesse herauslesen zu wollen, wäre genau so verfehlt, wie die schon rein statistisch widerlegte Behauptung, die Rota erkläre die Nichtigkeit einer Ehe nur bei entsprechend gefülltem Geldbeutel. Denn während 1942 die gleiche Zahl (13 : 13) eine affirmative Antwort erhielt, betrug zum Beispiel 1945 die Zahl der bezahlten ungültig erklärten Ehen das Doppelte der im Armenrecht geführten (26 :13). 1946 überwiegen wiederum die im Armenrecht geführten (13 : 17), 1947 und 1948 die bezahlten (40 : 13j 32 : 20), wobei der starke Unterschied 1947 (40 bezahlte, die anerkannt wurden, gegenüber 13 im Armenrecht) sich daraus erklärt, daß gerade 1947 die wenigsten Prozesse seit 1936, nämlich nur 18 (bei einer sonstigen Durchschnittszahl von 33 im Jahre), im Armenrecht anhängig waren. Dennoch erhielten 13 davon ein günstiges Urteil. Es entscheidet also offenbar weder das Geld der Reichen noch größeres Vertrauen zu den Armen, sondern die objektive Rechtslage der Fälle.

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