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Das Projekt 171

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Die Europäische Produktivitätszentrale wurde im Mai 1953 im Rahmen der europäischen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) gegründet. Sie soll die Produktivität in den Mitgliedstaaten erhöhen, um dadurch ein höheres Lebensniveau zu erreichen. Die Agentur arbeitet nicht nur mit den Regierungen zusammen, sondern auch mit Berufsverbänden der Industrie und Landwirtschaft, den Studienzentralen, der verstaatlichten und der privaten Industrie und den öffentlichen Diensten.

Im Rahmen des ersten Aktionsprogrammes 1953/54 beauftragte die Europäische Produktivitätszentrale das Soziale Aktionskomitee für Produktivität ÄCASP), eine Untersuchung in verschiedenen opäischen Betrieben durchzuführen, um die Zusammenhänge zwischen Entlohnung kollektiver Prämie, Produktivitätssteigerung und den menschlichen Beziehungen festzustellen. Gerard de Moy, Generalsekretär des CASP, und der Verfasser, Generaldelegierter dieser Organisation, wurden als internationale Berichterstatter bestellt.

Das „Projekt 171”, wie es genannt wurde, erstreckte sich auf fünf Länder: Bundesrepublik Deutschland, Oesterreich, Belgien, Frankreich und Italien. In jedem der Staaten wurden drei Industriebetriebe bezeichnet, die, vollkommen verschieden in ihrer Größe und in ihrer Branche, nur eines gemeinsam hatten, nämlich: ein Prämiensystem eingeführt zu haben.

Die nationalen Produktivitätsräte, in denen die Verwaltung, die Gewerkschafts- und Unternehmerverbände vertreten sind, ernannten nationale Berichterstatter und bestimmten die Betriebe. Die nationalen Berichterstatter führten ihre Untersuchungen im Betrieb selbst durch und legten dann den internationalen Berichterstattern einen ersten Rapport vor, der auf Grund eines sehr ausführlichen Fragebogens Busgearbeitet worden war.

Die Betriebe haben die Untersuchung anfänglich mit Skepsis aufgenommen. Im Zuge einet sehr erfreulichen Entwicklung wurde die Zusammenarbeit zwischen den nationalen und der internationalen Berichterstattern auf der einen Seite, den Betriebsdirektionen und Arbeiterräten auf der anderen Seite eine sehr enge.

Die Untersuchung erstreckte sich auf drei Monate. Es ist klar, daß in diesem Zeitpunkt das so unwägbare soziale Klima nicht mit mathematischer Sicherheit errechnet werden kann. Erst eine durch Jahre durchlaufende Beobachtung wird genügendes Material liefern, um mit wissenschaftlicher Genauigkeit den tatsächlichen Wert des Prämiensystems feststellen zu können.

weils durch Anschlag und Verlautbarungen der Betriebszeitung und durch Vorträge des Betriebsrates und der Direktion angezeigt. Sämtliche Beobachtungen der nationalen Berichterstatter stimmten in dem einen Punkt vollständig überein: Ohne entsprechende Belebung bleibt jedes System tot, gefährdet mehr den Betrieb, als es Nutzen bringt. Nur die ständige Zusammenarbeit zwischen Direktion und Betriebsrat (Prämienkommission) garantiert einen Erfolg. Auch das leitende Personal und die Werkmeister müssen für die Neuerung gewonnen werden. Die Haltung dieser Personenkreise .wurde in allen Betrieben als eine sehr reservierte geschildert. Die diesbezügliche Initiative stößt sogar auf offenen Widerstand, da der Ausbildung oder Vorbereitung des leitenden oder mittleren Personals zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Die Ergebnisse in den 15 untersuchten Betrieben sprechen für sich. Eine Steigerung der Produktivität wurde immer wieder gemessen, die Ausschüsse haben sich verringert und die Qualität der Produktion erhöht. Die materiellen Erfolge für das Personal lassen sich im Durchschnitt mit 10 bis 30 Prozent über den Grund- löhn beziffern.

Das „Projekt 171” unterstrich, daß die Zusammenarbeit zwischen der Belegschaft und der Direktion ein durchaus europäisches Problem geworden ist. Natürlich beeinflussen zahlreiche Faktoren außerhalb des Betriebes die wirtschaftliche Tätigkeit der einzelnen Zellen. Die Prämie erwies sich nicht nur als Element des sozialen Klimas, sondern führte zu einer objektiven Analyse aller jener Momente, die eben das soziale Klima eines Betriebes bestimmen. Wir erlauben uns noch kein abschließendes Urteil über den Wert eines kollektiven Prämiensystems. Es darf natürlich niemals zu Illusionen verleiten, man wird dadurch nicht aller Schwierigkeiten Herr. Zu viele andere Faktoren häufen sich in einem modernen Betrieb. Prämiensysteme sind Etappen zu einer Form des Zusammenlebens an den Plätzen der Produktion, das in einer Zusammenarbeit, in einem Mitdenken seine Krönung finden muß.

Zur Zeit der Studie haben die nationalen Produktivitätszentralen eine Reihe von Betrieben registriert, die ein Prämiensystem eingeführt haben. So gab es 50 Versuche in Belgien, 100 in Italien, 400 in der Bundesrepublik Deutschland und 3000 in Frankreich.

Oesterreich erscheint in dieser Tabelle mit lediglich 20 Betrieben auf.’Die Gewerkschaften stehen dem Prämiensystem mit einem gewissen Mißtrauen gegenüber, obwohl von einer systematischen Feindschaft nicht gesprochen werden kann. Sie fürchten, daß dadurch die eigentliche Verpflichtung der Gewerkschaft, nämlich die Verteidigung ihrer Mitglieder in sämtlichen Lohnfragen, in Frage gestellt wird und an Stelle einer Zusammenarbeit im Betrieb die zu väterliche Hand der Direktion spürbar wird. Die meist auf Zeiteinsparung basierenden Systeme ließen — so argumentiert man weiter — die Einführung eines „infernalischen Rhythmus” befürchten. Von gewerkschaftlicher Seite wird schließlich die oft ungenügende Kontrollmöglichkeit und die nicht befriedigende Verteilung der Prämie kritisiert. So kommt es, daß von den 15 europäischen Betrieben nur zwei die sofortige Unterstützung der Gewerkschaft fanden, als das kollektive Prämiensystem eingeführt wurde. .

In Unternehmerkreisen dagegen taucht immer wieder die Befürchtung auf, daß mit einem Prämiensystem eine unangebrachte Mitbestimmung verbunden sei; damit jedoch würden nach ihrer Ansicht die juridischen Grundlagen an dem Besitz des Betriebes in Frage gestellt werden. Zahlreiche Unternehmer bezweifeln die Nützlichkeit einer Prämie in erzieherischer Hinsicht und bestreiten ihren wirtschaftlichen Wert für die Produktion. Das Prämiensystem wurde in der Regel durch die Direktion eingerichtet, sei es, um Lohnforderungen abzubiegen oder sonstigen Spannungen auszuweichen. Die Minderheit jedoch handelte in dem Bewußtsein, daß die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit eine Neudefinierung verlangten und eine Integrierung des Personals im Betrieb im -Zuge der Entwicklung nicht aufzuhalten sei.

Es ist sehr einfach, ein Prämiensystem in einem mittleren oder kleinen Betrieb einzuführen. Viel schwieriger wird es dagegen sein, einen derartigen Versuch in einem Großbetrieb zu wagen, wo das so wichtige Moment der Information nicht entsprechend eingesetzt werden kann. Eine Reihe anderer Faktoren außerhalb der Größenordnung beeinflussen ebenfalls das Funktionieren eines kollektiven Prämiensystems. Der Standort des Betriebes spielt eine nicht zu tihtertdhätzende Rolle. Die Reaktion einer Belegschaft in den ländlichen Gegenden ist negativer als in den Städten. Auch die Zusammensetzung nach Alter und Geschlecht ist nicht zu übersehen. Die Jugendlichen oder Frauen sehen die Prämie als eine Art „Taschengeld” an, während langdienende Arbeiter nur sehr ungern die liebgewordenen Gewohnheiten aufgeben.

Obwohl die Prämien in den 15 untersuchten Betrieben von Persönlichkeiten verschiedenster Nationalität eingeführt wurden, konnte doch in der Anwendung und der Art der Einführung eine verblüffende Gemeinsamkeit festgestellt werden. Fast alle Prämien werden durch einen Vertrag zwischen dem Personal und der Direktion sanktioniert. Dieser Kontrakt stipuliert die Art der Berechnung; die Verteilung und eventuelle Veränderungen. Die Prämien sind jederzeit kontrollierbar, und die Vertreter der Belegschaft machen von diesem ihren Recht ausgiebig Gebrauch. Das Prämiensystem wurde je-

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