6743637-1966_51_04.jpg
Digital In Arbeit

Das regierende Team

Werbung
Werbung
Werbung

Als Landeshauptmann Dr. Keßler in der ersten Jahreshälfte 1966 eine sechswöchige Reise nach den USA unternahm, wurde der neue Regie- rungsstü offenbar. Das Flugzeug trug den Landeshauptmann nach New York und Washington, nach Kap Kennedy und Portordko, nach Los Angeles und San Francisco. Vorarlberg ist zu einer betonten Außenpolitik und Außenhandelspolitik geradezu berufen. Die Industrie ist sehr stark exportorientiert. Dazu kommt, daß in den USA, auch in Südafrika und anderen überseeischen Industrieländern sehr viele Vorarlberger leben, nicht nur als Auswanderer, sondern auch in befristeten Arbeitsverhältnissen. Hier Kontakte zu nehmen ist gut angewandte Zeit.

Keine Spannungen

In Landesstatthalter Dr. Gerold Ratz (Landesstatthalter heißt in Vorarlberg der einzige Landeshauptmannstellvertreter, der derselben Partei entnommen wird wie der Landeshauptmann und daher ein wirklicher Stellvertreter, kein Kontrollor ist) verfügt Dr. Keßler über einen temperamentvollen Mitarbeiter. Ratz ist Schwerkriegsinvalide, ließ sich aber durch seine Gehbehinderung nicht aufhalten, unmittelbar nach der Vollendung seiner juridischen Studien und seinem Eintritt in den Landesdienst eine rege Versammlungstätigkeit zu entfalten. Er kommt aus dem liberalen Flügel der ÖVP, wobei in Vorarlberg unter den weltanschaulichen Gruppen praktisch keine Spannungen zu beobachten sind. Daß in den Personen von Keßler und Ratz der Landtag zwei Juristen, dazu noch zwei Landesbeamte, auf die Spitzenposten erhob und keinen hündischen Proporz forderte, spricht für beide Persönlichkeiten. Im stark prag matischen Ratz findet der musisch- veranlagte Keßler eine wertvolle Ergänzung.

Der Wirtschaftsbund hat damit, daß er Martin Müller das Wirtschaftsreferat einschließlich Verkehrswesen und Straßenbau verlieh, einen glänzenden Griff getan. Jeder Nachfolger Eduard Ulmers, der seit 1933 — das Tausendjährige Reich ab-

gerechnet — im Amte war, hatte zunächst unter dem Schatten seines Vorgängers zu stehen. Müller ist gleich Ratz Beininvalide, was seine physische und geistige Beweglichkeit nicht hindert. Der Referent für Autobahnfragen sitzt in Vorarlberg, wo die Durchfahrten durch die Städte Bregenz und Feldkirch fast unlösbare Probleme aufgeben, sozusagen auf einem Kaktus, Müller aber ließ sich nicht stechen, auch nicht durch von Logik wenig beeinflußte emotionale Äußerungen. Müller ist es gelungen, die Besorgnisse der deutschen Nachbarschaft, die durch die Ölleitung bereits den ganzen Bodensee verfettet sah, zu zerstreuen, er packt das Autobahnproblem von der sachlichen Seite an und wird es damit einer Lösung zuführen.

Der Bauernbund Ist in der Regierung durch zwei Männer vertreten, durch den früheren Landeshauptmann Ulrich Ilg, der seine großen Erfahrungen nun dem Finanzressort cugute kommen läßt, und den jungen Landwirt Konrad Blank, der sein Können und seine Energie bei der

Bekämpfung von Viehseuchen unter Beweis stellen mußte. Ilg stellte kürzlich im Landtag fest, die Zeit, da man sich über die Verwendung des Überschusses in den Landeskassen den Kopf zerbreche und dem Finanzreferenten den Vorwurf mache, er habe bewußt „tief gestapelt“, sei vorbei. Auch für Vorarlberg steigen die Ertragsanteile nicht mehr ins Uferlose.

Der freiheitliche Landesrat Erwin Blum hat genügend Sorgen mit Was- serleitungs- und Kanalbauten, die nunmehr auch in den Dörfern mit ihrer steigenden Bewohnerzahl notwendig geworden sind. Und der sozialistische Landesrat Josef Schoder hat die Genugtuung, daß seine beiden Lieblingsprojekte, das Landesunfallkrankenhaus in Feldkirch und die Generalsanierung der Heil- und Pflegeanstalt Valduna, in Angriff genommen wurden. Da es sich in beiden Fällen um Arbeiten handelt, deren Erfordernis die Hundert-Miliionen-Schilling-Grenze überschreitet, können beide Projekte erst im Lauf von Jahren verwirklicht werden.

Straßen- und Seilbahnbau

Während anderswo der Bau neuer, dem Fremdenverkehr dienender Einrichtungen bereits gebremst wird, wird in Vorarlberg weiter geplant, gebaut und vollendet. Trotz des verregneten Sommers sind 1966 die Übernachtungen um mehr als fünf Prozent über die Zahl von 1965 gestiegen. Es ist sogar möglich, daß Vorarlberg künftig von Rezessionen im westlichen Europa nicht verliert, sondern gewinnt. Der Engländer, dem nur noch 50 Pfund Reisegeld zur Verfügung stehen, der Franzose, der Niederländer oder Deutsche, dem es eines Tages nicht mehr für Spanien, Griechenland oder der Türkei ausreichen sollte, wird auf Österreich „herabsteigen“, und wenn ihm einmal die Fahrt nach Kärnten zu teuer sein sollte, wird’s eben noch für Vorarlberg langen. Dazu kommt, daß Vorarlberg für den süddeutschen Raum bis Augsburg und Stuttgart das gegebene Wochenendausflugsgebiet darstellt, so daß sogar im November, soferne, wie 1966, bereits genügend Schnee liegt, am Samstag und Sonntag die Straßen überfüllt sind und auf den Hängen Hochbetrieb ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung