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Das richtige Konzept

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Aus diesen Hinweisen ist ersichtlich, daß sehr tiefgehende Meinungsverschiedenheiten über die Frage der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Integration Europas innerhalb der okzidentalen Welt bestehen. Wir glauben mit General de Gaulle, daß es richtig ist, wenn er meint, daß die Verteidigung Europas und der Werte Europas mit der Verteidigung der eigenen Vaterländer beginnt, mit der Verteidigung all dessen, was Haus und Hof und Heimat, Familie, die enge Bande des Blutes für den einzelnen bedeuten. Was wir an seiner Konzeption schätzen müssen, ist die richtige Erkenntnis, daß Europa nicht von oben her, nicht von künstlich geschaffenen Institutionen her gebildet werden kann, daß Europa nicht entstehen kann aus papierenen Entwürfen, die ein technokratischer Apparat produziert. Das Überzeugende an der atlantischen Konzeption eines Kennedy und seiner Nachfolger ist aber die Feststellung, daß Freiheit und Friede unteilbar sind. Das richtige an der amerikanischen Konzeption ist der Hinweis, daß die gesamte freie Welt, jene Welt, die sich in den Prinzipien der demokratischen Lebensform okzidentaler Prägung bekennt, in einer „wechselseitigen Abhängigkeit” (Interdependenz) voneinander ist

Österreich ist es auf Grund seiner völkerrechtlichen Stellung versagt, einen Beitrag zur Überwindung der politischen Krise innerhalb der westlichen Allianz zu leisten. Unser Beitrag zur Gestaltung des Europa von morgen liegt anderswo. Wir sehen kein Hindernis darin, ideell die Zugehörigkeit zu Europa zu manifestieren. Wir werden auch in Hinkunft alles unternehmen, um unsere Bande, die uns heute mit der westlichen Gemeinschaft verbinden, nicht zu lockern. Wir werden die Frage, in welcher Weise wir die geistigen, kulturellen, aber auch wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Europa von morgen zu gestalten haben, welche politische Konzeption sich auch immer durchsetzen wird, im Rahmen einer dynamischen und konstruktiven österreichischen Außenpolitik beantworten. Eines der akutesten Probleme in diesem Zusammenhang ist die Frage der Regelung unserer wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Gemeinsamen Markt als eines der bereits funktionierenden Integrationsgebilde Europas. Der Gemeinsame Markt ist eine ökonomische und politische Realität ersten Ranges. Die österreichische Bundesregierung hat der EWG-Kom- mission am 28. Juni 1962 einen Antrag unterbreitet, Verhandlungen über den Abschluß eines Arrangements aufzunehmen. Dieser Antrag steht derzeit im EWG-Ministerrat in Behandlung, nachdem bereits Gespräche exploratorischen Charakters zwischen der EWG-Kommission und Österreich über die Möglichkeit einer Regelung stattgefunden haben. Die österreichische Bundesregierung hat bei diesen Besprechungen dargelegt, daß sie aus neutralitätspolitischen Gründen Wert darauf legen muß, daß vor Abschluß eines EWG- Arrangements über nachfolgende Punkte eine befriedigende Vereinbarung erzielt wird:

• die Erhaltung der handelspolitischen Vertragshoheit;

• das Recht auf Kündigung;

• die Schaffung gemeinsamer Institutionen, die der völkerrechtlichen Lage Österreichs entsprechen;

• die Sicherstellung eines gewissen Maßes an Eigenversorgung für den Ernstfall.

Die sowjetischen Besorgnisse

Schon aus diesen Vorbehalten ist ersichtlich, daß sich das abzuschließende Arrangement ausschließlich auf die Regelung unseres wirtschaftlichen Verhältnisses zur EWG bezieht und eine Teilnahme an der militärischen oder auch politischen Integration aus Gründen der Wahrung unserer Neutralität nicht in Frage kommt. Ein wirtschaftlich gesundes, lebensfähiges Österreich aber, die Prosperität der österreichischen Wirtschaft, ihre Teilnahme an der wirtschaftlichen Dynamik Europas ist eine unerläßliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines freien und unabhängigen Österreichs. Darauf können wir aus staatsexistentiellen Gründen nicht verzichten. Der Abschluß einer Vereinbarung besonderer Art mit dem Gemeinsamen Markt liegt daher nicht zuletzt auch im Interesse der Wahrung der österreichischen Neutralität und der Behauptung unserer Unabhängigkeit. Altkanzler Figl hat dies mit der charakteristischen Wendung zum Ausdruck gebracht, daß schließlich auch der Sowjetunion ein „lebendiger” Neutraler lieber sein muß als ein „toter” Neutraler. Ich bin vollkommen überzeugt, daß die österreichische Bundesregierung nur eine Vereinbarung mit dem Gemeinsamen Markt abschließen wird, die so abaefaßt ist, daß kein Zweifel an der Fortsetzung unseres bisherigen außenpolitischen Kurses aufkommen kann.

Es ist aus den öffentlichen Erklärungen in der sowjetischen Presse, aus dem diplomatischen Notenwechsel zwischen den beiden Regierungen sowie aus den Gesprächen mit sowjetischen Staatsmännern und Diplomaten bekannt, daß die Sowjetunion wiederholt — in freundschaftlicher Weise — ihre Besorgnis geäußert hat, eine sogenannte „Teil-

nahme” Österreichs am Gemeinsamen Markt könnte zu einer grundlegenden Änderung in der österreichischen Außenpolitik führen, die nachteilige Folgen für unsere Unabhängigkeit, für die Neutralität sowie Auswirkungen auf die europäische Sicherheit haben würde.

Wir werden die sowjetischen Besorgnisse gewiß nicht leicht nehmen und die vorgebrachten Argumente mit gebührendem Ernst prüfen.

Glaubwürdig bleiben

Es geht hierbei um eine Frage der Glaubwürdigkeit der österreichischen Außenpolitik. Diese ist eine Politik der gesamten Bundesregierung. Es erscheint mir daher unerläßlich, daß sich die beiden österreichischen Koalitionsparteien ohne Mentalreservation und ohne Hintergedanken auf ein gemeinsames Konzept in dieser Frage einigen.

Es gibt außer der Südtirolfrage seit dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages kein zweites außenpolitisches Problem, das für unsere staatliche Existenz von sol-

eher Bedeutung ist, wie die Frage der Regelung unseres Verhältnisses zum Gemeinsamen Markt. Wir sollten daher dieses Problem aus der Tagespolitik heraushalten und nicht zum Gegenstand widersprechender, ausschließlich von parteipolitischen Motiven beeinflußter Erklärungen machen. Man kann Erfolge in der Außenpolitik nur erreichen, wenn unsere ausländischen Gesprächspartner das Gefühl haben, daß die Erklärungen österreichischer Staatsmänner in einer gemeinsamen, von beiden Regierungsparteien und gestützten Außenpolitik ihre Grundlage haben.

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