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Das Schicksal von Kanaan

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Der Judenstaat ist von der UNO weder ins Leben gerufen noch beschützt worden, sondern er wurde den Nachbarn und der Welt in einem Unabhängigkeitskrieg aufgezwungen, den der neugegründete Kleinstaat von 650.000 Menschen am Tage nach seiner Proklamierung gegen die Gesamtheit seiner Nachbarn führen mußte. Und noch heute ist Israel eine belagerte Festung, von allen Landwegen abgeschnitten, mit der Außenwelt nur durch das Meer und die Luft verbunden, in seinen ungesicherten Grenzen durch seine Armee beschützt. Dieses Volksheer ist das einzige, was Israel heute vor der Vernichtung bewahrt.

Als der neue Judenstaat ins Leben trat, wurden die bisherigen Vereinsvorsitzenden zu Regierungsmännern, und die Selbstverwaltungsorgane 1 der jüdischen Gemeinschaft, deren Autonomie bis dahin von der britischen Mandatsverwaltung in Palästina in engen Grenzen gehalten worden war, zu souveränen Körperschaften eines unabhängigen Staates. Die Führer des Zionismus aber, die plötzlich zu Ministern geworden waren, blieben in ihren verstaatlichen Anschauungen befangen. Ueberzeugt, daß das von ihnen vertretene System der kollektiven Siedlung auf proletarischer Grundlage auch für den neuen Staat die passende Grundlage bilde, war ihr ganzes Bemühen darauf gerichtet, dieses System nun im Staatsmaßstab zu erweitern. So wurden die gesamten politischen und wirtschaftlichen Druckmittel, über die ein moderner Staat verfügte, in den Dienst eines Aufbaus gestellt, den seine Befürworter als die perfekteste Form des Sozialismus betrachteten: In der Landwirtschaft wurde der kommunistischen Siedlungsform des „Kibbuz” als Idealform der Vorzug gegeben; in der Industrie wurde den Gewerkschaften die Möglichkeit geboten, sich nicht mehr nur mit der Verteidigung der sozialen Errungenschaften und Rechte der Arbeiter. zu begnügen, sondern sich, in, die, ProNach wenigen Jahren aber zeigte es sich, daß diese Wirtschaft nicht lebensfähig war. Das sozialistische Experiment in Israel scheiterte, und die Oekonomie des jungen Judenstaates stand vor einer schweren Krise. Aus dieser Krise wurde das israelische Wirtschaftssystem durch die Reparationslieferungen Deutschlands gerettet. Es ist dies vermutlich eine der erstaunlichsten Ironien der heutigen Geschichte, daß der großbourgeoise Kapitalismus des Konservativen Adenauer den Sozialismus der israelischen Gewerkschaftsbürokratie vor der finanziellen Katastrophe bewahrt hat. Seitdem lebt die Wirtschaft Israels von den dauernden Einspritzungen, die sie in Form von Wiedergutmachungszahlungen von der Deutschen Bundesrepublik erhält, die das Weltjudentum ihr durch die nationalen jüdischen Sammelfonds zukommen läßt, die sie als Geschenk von der amerikanischen Regierung erhält und die sie durch Anleihen auf dem internationalen Geldmarkt erhalten kann.

Auf die Dauer aber kann keine nationale Wirtschaft von permanenten Zuschüssen von außen leben, und so geht das Wirtschaftssystem Israels einer neuen schweren Krise entgegen.

Diese Elemente einer drohenden Krise werden noch durch die Veränderungen, die im Laufe der letzten Jahre im jüdischen Volke und in Israel selbst vor sich gegangen sind, wesentlich verstärkt.

Die Einwanderer, auf die Israel in den kommenden Jahren rechnet, stammen nicht mehr, wie ehedem, aus dem revolutionären Proletariat, sondern aus dem liberalen Mittelstand. Und dieser jüdische Mittelstand in der Diaspora, auf den der jüdische Staat finanziell angewiesen ist, nimmt in steigendem Maße eine kritische Haltung gegenüber den kollektivistischen Tendenzen der Israel-Regierung ein.

Dieser Konflikt zwischen dem sozialistischen und dem individualistischen Wirtschaftssystem besteht in noch schärferer Form im Lande selbst. Seit Beginn des zionistischen Kolonisationswerkes gab es einen bedeutenden Sektor privater Wirtschaft, und zwar sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie. Trotz der eindeutigen Stellungnahme der Israel-Regierung für die, kollektivistische Wirtschaftsstruktur hat sich dieses liberale Bürgertum kräftig entwickelt. Es hat die intensive Landwirtschaft eingeführt, Pionierarbeit in der Industrie geleistet, die meisten Städte, vor allem Tel Aviv, aufgebaut. Als Reaktion gegen die Benachteiligung seitens der Regierung beginnt nun das liberale Bürgertum eine Aenderung der Wirtschaftspolitik in liberalem Sinn zu erkämpfen.

Hinzukommt eine entscheidende Wandlung, die in der Bevölkerung Israels selbst vor sich geht. Es handelt sich um den Aufstieg der jungen, im Lande geborenen Generation, die das Gefühl hat, die erste authentische Jugend des israelischen Volkes zu sein. Diese Jugend hat die Ghettos Europas nicht mehr gekannt, sie hat keine leidenschaftlichen Diskussionen um Welterlösungsdoktrinen geführt, sie hat die Tragik des Diasporajudentums nie erlebt. Ihre eigenen Väter erscheinen ihr oft als wirklichkeitsferne Dogmatiker, die ihre aus Europa mitgebrachten Theorien in Israel verwirklichen wollen.

Im Lande und in der Freiheit aufgewachsen, mit jeder Faser an das Land gebunden, hängt diese Jugend mit fanatischer Liebe an ihrer Heimat. Die Abwendung von der Diaspora geht.

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