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Das Schwert derUNO

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Der „Weltgeneralstab“ hat seine Tätigkeit begonnen. Die erste militärische Vorbereitungsaktion der „UNO“ zur Schaffung des blitzenden Vergeltungsschwertes gegen jeden Angreifer hat eingesetzt. Kürzlich sind in London die Vertreter der Generalstäbe der „Großen Fünf“, das sind der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Sowjetrußlands, Frankreichs und Chinas zu ihrer ersten Sitzung zusammengetreten. Ihre Aufgabe wird sein die Streitkräfte für die Verteidigung des Weltfriedens zu organisieren und deren Verwendung zu bestim-v men, weiters die hiefür erforderlichen Abkommen mit den einzelnen Mitgliedsstaaten und auch die Pläne für eine allgemeine Herabsetzung der Rüstungen zu entwerfen* Denn künftighin werden alle für jeden' rüsten und es wird daher kein Staat eine Streitmacht aufzustellen brauchen, deren Stärke wesentlich über das Ausmaß dessen hinausreicht, was er zum Friedensschutz beizusteuern hat.

Diese technisch-organisatorische Seite des ganzen Problems wird naturgemäß von den Mitgliedern der Union der Vereinten Nation nen manchen Souveränitätsverzicht fordern. Viel größer und in seinen Folgen viel weiterreichend ist aber der Verzicht, der von ihnen in politischer Hinsicht geleistet werden muß und der die kardinale Frage des geschlossenen Einsatzes und der einheit* liehen Anwendung des militärischen Machtinstrumentes betrifft. Napoleon hat einmal gesagt, daß ein schlechter General besser sei als zwei gute. Und der Nichtmilitär, aber mit staunenswerter Klarheit über militärische Dinge urteilende Chesterton, schreibt in' einem seiner glänzenden Essays: „Wenn eid Heer auch aus lauter Hannibals und Napcn leons bestünde, so wäre es bei einem plötz liehen Überfall doch besser, wenn einer allein die Befehle erteilte, und wäre es auch der Dümmste von ihnen.“ Beide wollen damit die überragende Bedeutung der Ein-' heitlichkeit der Führung kennzeichnen und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Erzielung einer solchen Einheitlichkeit bei einem internationalen Konglomerat, wie es die Vereinten Nationen darstellen, zwar schwierig, aber von lebenswichtiger Bedeu-* tung ist und unbedingt herbeigeführt werden muß.

Die Entfesselung eines Krieges kann man heute nach den Vernichtungswaffen nur dem rücksichtslosen, brutalen Charakter eines menschenverachtenden Eroberers zumuten, der durch eine überfallsartige Eröffnung der Feindseligkeiten sich den Sieg zu sichern versuchen und hiebei alle Mittel zu dem Schlag gegen den Weltfrieden zusammenfassen würde. Dieser Konzentration aller zum Kriege treibenden Energien in der Person eines skrupellosen Angreifers steht nun die aus mehr als fünfzig Staaten beste-' hende Organisation der Vereinten Nationen gegenüber, die den Frieden verteidigen und den Angreifer vernichten soll. Sie kann dies nur durch Entschlüsse und Taten bewerk-i stelligen, die jene des Feindes an Schnellig-i keit und Wucht noch übertreffen. Nichts von Verhandlungen und Debatten in letzter Minute über Sanktionen und dergleichen, wie zur Zeit des Völkerbundes und seiner vergeblichen bürokratischen Rettungsaktionen. Das blitzende Vergeltungsschwert muß ohne Zögern und mit unwiderstehlicher Kraft in zielsicherem Gegenschlag auf den Friedensstörer niedersausen und ein eherner Wille muß die Stunde regieren. „In solchen besonderen Gefahrenmomenten schafft das Bedürfnis nach schnellem Handeln geradezu das Bedürfnis nach Autokratie“, schreibt Chesterton. Dem konzentrierten Einzelwillen des feindlichen Angreifers muß der zu einer autokratischen Einheit zusammengeschweißte Gesamtwille aller Nationen entgegengeworfen werden. Nur so kann der Friede gerettet werden.

Welche Voraussetzungen bestellen nun innerhalb der Organisation der Vereinten Nationen für eine solche Einheit des Willens und für eine vorbehaltlose “Geschlossenheit des Handelns, die alle Eigeninteressen und mit diesen auch die eigene souveräne Handlungsfreiheit den Erfordernissen der Stunde unterordnen? Wo liegt die Verkörperung dieser Einheit?

Geben wir uns keinen Täuschungen hinsichtlich der Machtverteilung hin. Wenn auch wesentliche repräsentative Stellungen, sozusagen die Geschäftsführung der Vereinten Nationen, in die Hände von Vertretern kleinster Staaten gelegt wurden, die tatsächliche Gewähr für ein geschlossenes Auftreten der UNO. liegt keineswegs bei der Masse der Mittel- und Kleinstaaten, sondern in erster Linie, ja man kann ruhig sagen, ausschließlich bei den großen Weltmächten. Wenn diese eines Willens und geschlossen sind, dann ist es die ganze Union. Steht auch nur eine Macht der „Großen Drei“ in einer Weltkrise abseits oder gar auf der anderen Seite der Barrikade, dann nützt die Geschlossenheit aller übrigen 51 Staaten nichts oder nur wenig. Der Schutzwall des Friedens ist durchbrochen.

Wir finden in der kurzen und wenig rühmlichen Geschichte des Völkerbundes genug Beispiele für einen derartigen Verlauf kollektiver Aktionen einer Weltorganisation gegen den Krieg. Zwischen dem Heute und der Völkerbundepoche liegt aber der zweite Weltkrieg mit seinen Schrecken und Opfern und dem Menetekel der Atombombe und wir alle stehen noch unmittelbar unter den furchtbaren Eindrücken dieser Zeit, die den Schrei einer verzweifelten Menschheit nach Frieden geweckt und den Anstoß zum Zusammenschluß der Nationen gegeben haben. Trotzdem gibt es Zweifler an der Möglichkeit eines absoluten Friedensschutzes und manche glauben zum Beispiel wegen der zeitweilig ziemlich scharfen Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern führender Weltmächte bei den Beratungen des Sicherheitsrates in London Befürchtungen hinsichtlich der Geschlossenheit der Weltfriedensfront hegen zu müssen. Diese Besorgnisse sind aber unberechtigt und in den tatsächlichen Verhältnissen nicht begründet.

In Montesquieus klassischem Werke „Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer“ heißt es unter anderem: „Was man bei einem politischen Körper Einigkeit nennt, ist eine sehr unbestimmte Sache. Die wahre Einigkeit ist eine Harmonie, welche bewirkt, daß alle Teile, so entgegengesetzt sie auch scheinen mögen, zum allgemeinen Besten der Gesellschaft beitragen, wie die Dissonanzen in der Musik zum Totalakkord beitragen. Es kann in einem politischen Körper, in welchem man nichts als Zwist und Wirren zu erblicken meint, in Wahrheit Einigkeit, das heißt eine Harmonie herrschen, aus der das Glück entspringt, das allein der wahre Friede ist. Es ist damit wie mit den Teilen des Weltalls, die in Ewigkeit durch die Aktion der einen und die Reaktion der anderen miteinander verbunden sind.“

Diese Worte umschreiben das wahre Wesen der Einigkeit innerhalb einer politischen Organisation in vollendeter Weise. Wenn es in dem Weltparlament der UNO. jetzt oder in der Folge auch zu scheinbar scharfen Dissonanzen kommen sollte, so darf das nicht mißdeutet werden. Früher haben sich solche Auseinandersetzungen zwischen Bundesgenossen hinter den Kulissen der Geheimdiplomatie abgespielt, die aber mit dem Wesen der UNO. im allgemeinen unvereinbar ist. Die offene Aussprache über gegenteilige Auffassungen findet zwar in der Öffentlichkeit unter Umständen eine starke Resonanz und hat eventuell auch eine alarmierende Wirkung, aber sie ist das beste Ventil für die Beseitigung bestehender Spannungen. Wesentlich ist, daß die eigentlichen Ursachen solcher Spannungen, die innerhalb einer so umfassenden Weltorganisation da und dort immer wieder auftreten werden, jedesmal wieder beseitigt werden und daß insbesondere zwischen den vornehmsten Trägern der Macht und Einigkeit der Vereinten Nationen, das ist zwischen den führenden Weltmächten — unter Be-dachtnahme auf die Rechte der anderen Staaten — ein ständiger und restloser Interessenausgleich erfolge. Das ist die wichtigste politische Voraussetzung für ein gedeihliches Funktionieren der ganzen Weltfriedensorganisation und'für ein einheitliches, entschlossenes und blitzschnelles Handeln im Augenblick der Gefahr.

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