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Das umstrittene Problem: Todesstrafe oder nicht?

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Die Debatte über die Todesstrafe, beziehungsweise deren Abschaffung oder Beibehaltung, brachte uns eine große Zahl von Briefen ins Haus. Die meisten Stimmen sprechen sich, zumeist mit Rücksicht auf die zeitgegebenen Umstände, für die Beibehaltung aus. Praktische und sittliche Gründe werden dafür ins Treffen geführt. Wir veröffentlichen heute zu dieser Aussprache ein Schlußwort, das in einen sehr bemerkenswerten Vorschlag einer Mittellösung mündet, die den wichtigsten von beiden Seiten, den Gegnern der Todesstrafe und den Anhängern ihrer Beibehaltung, vorgebrachten Argumenten Rechnung zu tragen sucht. „Die Furche“

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Die Debatte über die Todesstrafe, beziehungsweise deren Abschaffung oder Beibehaltung, brachte uns eine große Zahl von Briefen ins Haus. Die meisten Stimmen sprechen sich, zumeist mit Rücksicht auf die zeitgegebenen Umstände, für die Beibehaltung aus. Praktische und sittliche Gründe werden dafür ins Treffen geführt. Wir veröffentlichen heute zu dieser Aussprache ein Schlußwort, das in einen sehr bemerkenswerten Vorschlag einer Mittellösung mündet, die den wichtigsten von beiden Seiten, den Gegnern der Todesstrafe und den Anhängern ihrer Beibehaltung, vorgebrachten Argumenten Rechnung zu tragen sucht. „Die Furche“

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Als einem Justizminister des alten Österreich einmal eine Abordnung die Bitte vortrug, sich für die Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen, da es mit den modernen Ansdiauungen der Humanität nicht vereinbar wäre, Menschen vorsätzlich zu töten, entgegnete der Minister, daß er sich dieser Ansicht voll und ganz anschließe, und er den vorgetrag nen Wunsch auch gern erfüllen werde, nur müsse er eine Bedingung stellen: den Anfang mit diesen humanen Bestrebungen müßten die Herren Mörder machen. Man kann diesem Ministerwort Berechtigung nidit absprechen.

Das Problem Todesstrafe ist in den letzten Jahrzehnten von Zeit zu Zeit immer wieder in der Öffentlichkeit durchbesprochen worden, auch in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern. Vor allem ist es begreiflich, daß die staatliche Gewalt und insbesondere diejenigen Personen, die sich für sie verantwortlich fühlen, immer wieder die Frage aufwerfen, ob es denn heute noch zeitgemäß sei, an Staatsbürgern, die sich, wenn auch noch so schwer, gegen das Gesetz vergehen, die Todesstrafe zu vollziehen. Viele Einwände werden' laut: Niemand, auch nicht die staadiche Gewalt hätte das Recht, dem anderen das Leben zu nehmen. Das allgemeine Gebot „Du sollst nicht töten“ gelte für jedermann. Die Todesstrafe sei daher aus sittlichen, moralischen, religiösen und ethischen Gründen abzulehnen. Außerdem sei sie zwecklos, denn die Mordverbrechen ließen sich dadurch nicht verhindern. In Staaten, in denen die Todesstrafe bestünde, kämen genau so Morde vor, wie in den anderen Ländern, in denen sie längst ab- gesdiafft sei.

Die ideale Lösung ist zweifellos dann gegeben, wenn man von der Todesstrafe ganz absieht und nur mit Freiheitsstrafen auskom- men kann. Der übergroßen Mehrheit der Richterschaft widerstrebt der Ausspruch von Todesurteilen. Entscheid über die Begnadigung der Verurteilten belastet andererseits wieder das Gewissen des Staatsoberhauptes. Das mag alles richtig sein. Daß man dessenungeachtet die Frage eifrig diskutiert, liegt in der erschreckend starken Zunahme verabscheuungswürdigster Mordverbrechen, der man ohne Zuhilfenahme der Todesstrafe nicht Herr zu werden befürchtet.

Es ist anläßlich der Enquete des Justizministeriums von den meisten befragten sachverständigen Autoritäten, Persönlidikeiten des öffentlichen Lebens und Vertretern der

Berufs verbände der Standpunkt eingenommen worden, die Todesstrafe sei grundsätzlich zwar abzulehnen, mit Rücksicht auf die besonders schwere Kriminalität der Gegenwart zeitlich begrenzt jedoch beizubehalten. Im wesentlichen haben sich hiefür auch die politischen Parteien ausgesprochen. Bei der auffallenden Zunahme der Mordverbrechen sieht man eben keinen anderen Ausweg, die ansteigende Kurve wieder zum Absinken zu bringen. Mit einem Wort, der Abschrek- kungszweck der Strafe im allgemeinen, insbesondere der Todesstrafe, gibt für diese Erwägungen den Ausschlag. Um so bemerkenswerter erscheint es, wenn im Rahmen der öffentlichen Erörterung über das vorliegende Problem auch die Behauptung aufgestellt wurde (siehe „Furche“ vom 20. März 1948), daß die Todesstrafe in der Praxis keine abschreckende Wirkung erwiesen habe, es sei bei Abschaffung der Todesstrafe keine Zunahme von Mordverbrechen festzustellen.

Dieser Argumentation widerspricht unter anderem eine interessante Statistik, die der ehemalige Landesgerichtspräsident von Wien, Dr. Aichinger, einmal veröffentlichte und welche die Rechtspflege im früheren Lande Sa c h s e n betraf. Sie macht den Zusammenhang zwischen Häufung der mit Tod bedrohten Delikte und Anwendung der Todesstrafe etwas deutlicher. Die Statistik umfaßt eine Zeitspanne von etwa 55 Jahren und ist nach Zeiträumen von je acht Jahren geordnet:

Daraus ergibt sich folgendes Bild: In den Jahren 1869 bis 1878, also durch neun Jahre (in den Jahren 1869 bis 1870 war die Todesstrafe in Sachsen abgeschafft), wurde kein Todesurteil vollstreckt. Hierauf stieg die Zahl der Verurteilungen in den Jahren 1879 bis 1886 nahezu auf das Doppelte. Nach zehn Hinrichtungen sank die Zahl der Todesurteile wieder erheblich, um schließlich nach den letzten acht Jahren der Nichtvollstreckung wieder auf mehr als das Doppelte zu steigen. Diese Ziffern scheinen recht aufschlußreich.

Will man die Frage richtig beantworten, ob die Todesstrafe abschreckende Wirkung ausübt, muß man vor allem Praktiker, Ver- treter der Sichsrheitsbehörde, Untersuchungsrichter und Schwurgerichtsvorsitzende, fragen. Ich erinnere mich an einen Fall, da mehrere junge Burschen einen Raubmord miteinander besprochen hatten und der einzige von ihnen, der das 18. Lebensjahr noch nicht überschritten hatte, einverständlich zur Ausführung der Mordtat bestellt wurde und diese dann auch beging, weil die Bandenmitgheder den Jugendlichen für die Mordtat ausersahen, da ihn keinesfalls die Todesstrafe, höchstens eine Freiheitsstrafe treffen könnte. Alle Angeklagten gaben damals offen zu, daß diese Erwägungen ausschlaggebend waren Ein eindrucksvoller Beweis für die Absdireckungs- wirkung der Todesstrafe. Und das ist ein Beispiel von vielen!

Im übrigen darf man sich keiner Täuschung hingeben. Die Androhung der Todesstrafe allein wird selten den Abschreckungszweck erfüllen. Auf den Vollzug dieser Strafe kommt es an. Wenn wir der Statistik entnehmen, daß in den letzten Jahren in Österreich von 23 zum Tod verurteilten Mördern 18 vom Staatsoberhaupt zu Freiheitsstrafen begnadigt wurden, so kann der Möglichkeit und der Tatsache . eines Todesurteils in einem soldien Staate nicht mehr eine besonders abschreckende Wirkung beigemessen werden, denn jeder Mörder wird nicht mit Unrecht darauf rechnen, daß die prozentuelle Wahrscheinlichkeit für seine Begnadigung spricht.

Genau so wie ein Erzieher, der seinem Zögling eine strenge Strafe wiederholt androht und sie fast nie verwirklicht, schließlich von diesem kaum mehr ernst genommen und letzten Endes vielleicht sogar noch verlacht wird.

Es wird heute oft vergessen, daß angesichts der gegenwärtig bestehenden abnormalen, krisenhaften Sicherheitsverhältnisse im Lande, die ausgerechnet dem Verbrecher gezeigte besondere Humanität, sich sehr unhuman und mitunter ausgesprochen als Unrecht gegenüber der Bevölkerung auswirkt. Nicht zuletzt gegenüber den Männern der Polizei und Gendarmerie, die in treuester Pflichterfüllung tagtäglich einen schweren, aufreibenden und opfervollen Kampf gegen das Verbrecherunwe-en durchzufechten haben. Nach einer aus der letzten Zeit stammenden amtlichen Verlautbarung sind in den letzten zwei Jahren fast zweihundert Polizisten, beziehungsweise G e n d a r m e r i ebe a m te im Dienst ermordet worden. Glaubt man wirklich, von den mutigen, braven Männern des öffentlichen Sicherheitsdienstes Pflichterfüllung bis zum Letzten und Aufopferung weiterhin verlangen zu können, ohne ihnen

@@@und ihren. Angehörigen durch Androhung und Verhängung der strengsten Strafe einige Sicherheit zu geben, daß sie von der Verbrecherwelt nicht als Freiwild betrachtet werden.

Ferdinand Kiirnberger (gestorben 1872) legte einmal in einem Aufsatz „Der gordische Knoten der Todesstrafe“ einen gewiß nicht unwiderlegbaren, aber immerhin beachtlichen interessanten Standpunkt dar: Man habe offenbar das Recht der Persönlichkeit vergessen; einst, bevor der Rechtsstaat bestand, hatte der einzelne das Recht der Blutrache. Dann

„kam der Staat und sagte: Hört, meine lieben Familien und Stämme, bei diesem ewigen Hin. und Hertöten verlieren wir zuviel Blut. Ich mache eudi einen Vorschlag. Überlasset m i r das Recht der Blutrache. Wer dir deine Angehörigen getötet hat, den töte idi wieder, aber damit Punktum! Die Türe der Blutrache ist zugesdilagen! Es soll Friede sein!' — Das. konnte man sich gefallen lassen. Die Gesellschaft ging darauf ein, der Staat vollzog die Blutrache und nannte sie Todesstrafe.

Was geschieht aber jetzt? Mit der unschuldigsten Miene stellt sich der Staat hin und fängt ganz gemütlich einen Diskurs an — über die Abschaffung der Todesstrafe! Aber, mein lieber Staat, dir gehört sie ja gar nicht; ie gehört mir. Sie ist von Haus gar kein öffentliches Recht, sondern ein Privatrecht. Wie kommst du dazu, den Vertrag, den idi mit dir als Vollstrecker meiner Blutrache gemacht habe, einseitig aufzuheben? Wie kommst du dazu, mich um mein Recht der Blutrache zu prellen?

Wdch ein gordischer Knoten bleibt diese Frage, solange nur immer vom Verbrecher selbst die Rede ist! Welch eine Zärtlichkeit für das Recht des Mörders, das heißt des Schädigers, und welch eine Gleichgültigkeit für das Recht des Beschädigten.“

Wenn eingewendet wird, die Todesstrafe widerspreche audi den göttlichen Gesetzen, so kann auf eine ganz Reihe gegenteiliger Meinungen maßgebender kirchlicher Autoritäten, nicht zuletzt des heiligen Thomas von Aquin, verwiesen werden, der gerade über das Problem der Todesstrafe die bemerkenswerten Sätze geprägt hat:

„Der Teil eines Ganzen ist um des Ganzen willen da, zum Beispiel ein einzelnes Glied ist um des ganzen Körpers willen da, so daß, wenn es sich um das Wohl des ganzen Leibes handelt, ein erkranktes Glied, das die Gesundheit des ganzen menschlichen Körpers gefährdet, mit Recht durch den Arzt entfernt wird. Jeder Einzelmensch verhält sich zur Gemeinschaft wie ein Teil zum Ganzen. Wenn also ein Mensch für die Gemeinschaft zur Gefahr wird, ihr zum Verderben gereicht, dann wird er mit Fug und Recht getötet, damit das allgemeine Wohl gewahrt werde.“

Es erscheint mir übrigens als eine Groteske, wenn gegenüber den Mördern, die doch zum Abschaum der Menschheit gerechnet werden müssen, so viel Humanität gefordert wird, während man im Rahmen kriegerischer Verwicklungen jeder Art, nicht nur im letzten Krieg, Menschenleben in Massen vernichtete, und zwar Menschen, gegen die man nichts anderes Vorbringen kann, als daß sie die Uniform des gegnerischen Landes tragen und ärztlicherseits zum Töten und Getötetwerden für geeignet befunden wurden.

Ich würde glauben, daß man aber trotz allem den Versuch wagen könnte, das Todesurteil zwar die Gerichte aussprechen, jedoch von ihrem Vollzug regelmäßig Abstand nehmen zu lassen, wenn für ausgesprochene Todesurteile automatisch lebenslange schwere Kerkerstrafe verhängt würde, jedoch eine weitere Begnadigung eines solchen an sich zum Tode Verurteilten durch ein eigenes Verfassungsgesetz überhaupt ausgeschlossen würde. Man hätte dann die so heftig umstrittene Todesstrafe abgeschafft, den Abschreckungszweck der Strafe trotzdem eher erreicht, weil die Hoffnung der Rechtsbrecher, nach einigen Jahren doch wieder freizukommen, von vornherein vereitelt, die Öffentlichkeit aber sicher wäre, daß gemeingefährliche Verbrecher nicht wieder nadi einigen Jahren Strafverbüßung auf die Menschheit losgelassen würden. Das heißt: ein solcher zum Tod Verurteilter wäre praktisch „bürgerlich tot“, aber man hätte sich den Vollzug der Todesstrafe, der immer etwas Widerwärtiges hat, erspart. Die Sicherung der menschlichen Gesellschaft vor dem Verbrecher wäre erreicht.

Im übr en sollte man sich wieder einmal daran erinnern, daß wir in einer Demokratie leben, in der nach der Verfassung auch Volksabstimmungen vorgesehen sind. Die Frage der Au frechterhalrung oder Abschaffung der Todesstrafe wäre wichtig genug, um eine Volksabstimmung zu rechtfertigen. Es handelt sich um nichts Geringeres, als ob das Leben eines Staatsbürgers, um Sühne für schwerste Verbrechen zu geben, von der Staatsgewalt angetastet werden darf und ob andererseits der Staatsbürger einen ausreichenden Schutz seiner persönlichen Sicherheit durch eine straffe Strafrechtspflege finden wird. Das Volk denkt viel gesünder, einfacher und natur- hafter, als seine Vertreter oft glauben wollen. Diese Volksabstimmung dürfte nicht durch einseitige und demagogische Propaganda beeinflußt und dadurch ihr Ergebnis gefälscht werden, aber dann würde ihr Ausgang der auf ihr begründeten Rechtsordnung: Abschaffung oder Gültigkeit der Todesstrafe die höchste Autorität geben.

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