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Das ungeteilte Herz

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In Salzburg erscheint ein Blatt „Die österreichische Nation“, herausgegeben von der patriotischen „Oesterreichische Gemeinschaft“, und in Wien ein Blatt „Eckartbote“, herausgegeben vom Verein „Oesterreichische Landsmannschaft“, der entschieden national eingestellt ist. Man möchte also annehmen, in diesen beiden Blättern und Vereinen die engsten Gesinnungs-verwandien vor sich zu haben. Aber dem ist nicht so, wie u. a. auch die jüngste „Oesterreichdebatte“ der beiden Blätter erweist. Und in dieser Tatsache liegt ein Stück jahrzehntelang zurückreichender österreichischer Tragik. Unter den „Nationalen“ sind in Oesterreich herkömmlicherweise die Deutschnationalen zu verstehen; der Oesterreichischen Landsmannschaft wird nachgesagt, daß sie eigentlich mehr eine deutsche Landsmannschaft sei. Umgekehrt hat schon nach 1945 der Begriff „österreichische Nation“ Diskussionen ausgelöst und die Prägung „österreichischnational“ erscheint beinahe-wie eine Kuriosität. •

Man muß nicht nur gebürtiger, sondern außerdem noch gelernter Oesterreicher sein, um sich in diesen verwirrenden Erscheinungen einigermaßen zurechtzufinden. Sie haben ihre Wurzeln selbstverständlich im alten Oesterreich, im Vielvölkerstaat der Donaumonarchie, der zerbrochen ist an seiner Begegnung mit dem Erbe der Französischen Revolution. Auch das klingt noch sehr kompliziert, aber wie soll man einfache Formulierungen finden, wenn man es mit den Begriffen Nation und national zu tun hat (worüber hier schon öfter die Rede war)? *

Durch die Niederlage von 1866 hörte Oesterreich auf, ein deutscher Staat zu sein. Zunächst etablierte sich auf Grund des Ausgleiches von 1867 östlich der Leitha das selbständige und mit Oesterreich gleichberechtigte Königreich Ungarn, das zugleich den Anspruch erhob, eine Nation zu sein. Die Madjaren, weit weniger als die Hälfte der Bewohner, repräsentierten als Staatsvolk diese ungarische Nation.

Gleich den Madjaren wollten naturgemäß auch die Tschechen in ihren „historischen“ Ländern Alleinherren sein. Die deutschsprachigen Oesterreicher aber konnten sich gerade knapp in den Alpenländern noch als Herren im eigenen Haus betrachten, wobei aber auch in Welsch tirol und der Untersteiermark der Natio-ntlitätenkampf entbrannte. Eine machtvolle Zcntralgewalt die Ordnung hätte schaffen können, gab es nicht. Im Parlament waren alle Nationen vertreten, fast alle Parteien und Gruppen verfolgten nur ihre besonderen Wünsche. Die Deutschen, aus der geschichtlichen Entwicklung heraus Träger des Gesamtstaatsgedankens, sollten nach allen Seiten hin die Zeche bezahlen. Der eine Teil opferte sich auf für die Erhaltung der Einheit, der andere Teil aber fragte sich, wie lange es denn überhaupt noch deutsche Oesterreicher geben würde, wenn sie in Ungarn schutzlos der Madjarisierung, in Galizien der Polonisierung, in Böhmen der Tschechisierung ausgeliefert waren. In der Tat waren die Verhältnisse nicht überall gleich; in Kärnten und Steiermark wirkten sie eher im Sinne einer Germanisierung, aber weitaus überwiegend war das österreichische Deutschtum in eine wenig erfolgreiche Verteidigung gedrängt worden.

Jeder Bedrängte sieht sich um Hilfe um. Die Ukrainer in Ostgaliz'en schielten über die Grenze ins Zarenreich und würden „russophil“,die Deutschen in den Sudetenländern und die Mitglieder der zur Erhaltung des Volkstums in den Grenzgebieten gegründeten Schutzvereine blickten dorthin, wo die deutsche Sprache unbestritten die Staatssprache war. So wurden die österreichischen „Nationalen“ Deutschnationale. Als der erste Weltkrieg Oesterreich zerschlug und Wilson die sprachliche Zugehörigkeit ausdrücklich zum entscheidenden Umstand für die gerechte staatliche Gliederung machte, fühlten sie sich in ihrer Einstellung bestätigt. Und als dann alle anderen Völker nach sprachlichen Gesichtspunkten national sein durften, als sie außerdem auf allen Seiten vom österreichischen Volkskörper heruntersäbeln durften, was sie wollten, blieben von den 12.5 Millionen deutschsprachigen Oesterreichern rund 6 Millionen als eigener Staat übrig.

Das Schicksal Oesterreichs nach 1918 war ebenfalls wenig danach angetan, dem Deutsch-nationalismus in Oesterreich den Boden zu entziehen.

Die Praxis des Großdeutschen Reiches bildete den ersten merklichen Dämpfer für die mehr oder minder starken großdeutschen Gefühle.

Es geht aber nicht darum, über Vergangenes zu urteilen, wobei jeder zu einem anderen Ergebnis kommen mag. Es soll nur festgestellt werden, daß in der Vergangenheit der Deutschnationalismus in Oesterreich nicht unbedingt mit Gewissenlosigkeit oder Vaterlandsverrat zu tun hatte. Sie ist der Ausfluß einer Zwiespältigkeit, die sich aus unserer Geschichte ergibt. Aber Geschichte bedeutet Vergangenheit, das Leben hingegen verlangt von uns den Blick in die Zukunft. Niemand zweifelt daran, daß wir auf absehbare Zeit hinaus unseren Weg aus eigener Kraft gehen müssen, als österreichisches Volk. Diese Einsicht erfließt aus der Realpolitik. Der Blick in die Geschichte aber und die Erkenntnis ihrer geopolitischen Ursachen lehrt, daß die Selbständigkeit Oesterreichs eine Notwendigkeit ersten Ranges ist. Wir brauchen uns nicht ausdrücklich Deutsche zu nennen, um mit dem Deutschland Schillers und Goethes untrennbar verbunden zu sein, wir müssen aber Oesterreicher sein, um' dem Deutschland Bismarcks und Adenauers eine friedliche Entwicklungsmöglichkeit zu sichern. Dies ist kein Verzicht und keine Selbstaufopferung, sondern nur das Bekenntnis zu unserer geschichtlichen Aufgabe und zu einer organischen Gestaltung des großen europäischen Kulturraumes.

Von Hitler stammt das Wort: „Recht ist, was dem deutschen Volke nützt.“ So könnte jedes Volk den eigenen Nutzen zur Richtlinie seines. Handelns machen. Wer daraus aber eine höhere Weisheit schöpfen will, wird den gemeinsamen Nutzen aller Völker in einem organischen Zusammenleben finden, wobei jedem Organ sein natürlicher Platz, seine natürliche Ausdehnung und seine natürliche Funktion gewahrt sein muß. Oesterreich als Bestandteil eines organisch gegliederten Europa hat eine Funktion, die von jenen Menschen erfülle werden muß, die mit dem geographischen Raum des Donau-Alpenlandes durch ihre Geburt — als „Nation“ im ältesten Sinne des Wortes — verbunden sind. Aber es kommt hier nicht darauf an, den Gebrauch irgend eines Wortes zu rechtfertigen, sondern nur darauf, daß das Organ Oesterreich zum Wohle ganz Europas einschließlich des dcuc^ciien Voikcs gesund und kräftig sein muß. Dazu braucht es seinen vollen Selbsterhaltungsund Lebenstrieb. Aus dem Selbsterhaltungstrieb heraus sind unter früheren zeitbedingten Umständen eine nicht unbeträchtliche Anzahl Oesterreicher deutschnational geworden. Heute liegen die Dinge anders. Heute gibt es keine Rechtfertigung, unseren Lebenswillen und unsere Lebenskraft auf irgendein Ziel zu richten als auf die Erhaltung der engeren staatlichen Gemeinschaft, der wir angehören und die schon als solche ein Hort und Schutzwall alles dessen ist, was Schiller und Goethe, Kant und Schopenhauer, Bach und Wagner und viele andere der Menschheit gegeben haben.

Um dieser Aufgabe willen braucht Oesterreich einen einheitlichen und ungeteilten Lebenswillen, es braucht e i n Herz und nicht eine Spaltung in österreichischnational und deutschnational, in vaterländisch und völkisch.

Das Operieren mit Worten und Begriffen ist nicht immer glücklich. Die Debatten im „Eckartboten“ und der „Oesterreichischen Nation“ sind ein Beweis dafür. Unbestreitbar ist, daß auch die ehemaligen deutscnnauonaien Kreise eine Fülle wertvollster Menschen umfassen, auf deren Mitarbeit Oesterreich nicht verzichten will. Kein einsichtsvoller Oesterreicher wird voraussetzen wollen, daß diese „Nationalen“ sich eines Tages wieder gegen ein Oesterreich wenden werden, dessen Zerstörung auf alle Fälle ein unwiderbringlicher Verlust für das wäre, was sie unter der deutschen Nation verstehen. Und es ist zu hoffen, daß sie sich nicht gegen eine Gemeinschaft wenden, der sie selbst angehören — durch ihre Geburt und ihr innerstes Wesen. Es muß nur klargestellt werden, daß das Oesterreich, das ihre Mitarbeit verlangt, nicht ein Land ist, „das seine Vergangenheit und seine über die Grenzen hinausreichenden Beziehungen verleugnet, daß es nicht ein Land ist, daß man als Blitzableiter für die Launen Größerer mißbrauchen darf.

Wenn diese Klarheit besteht, dann geschieht auch das Wunder, daß sich der „Eckartbote“ zu einem Artikel bekennt, der in der „Oesterreichischen Nation“ erschien. Einem vom Verfasser dieser Zeilen geschriebenen Aufsatz „Oesterreich ganz oder gar nicht“ fügt er die Worte hinzu: „Eben in dem Maße, wie der österreichische Staat den ihm zugehörigen Volkstumsaufgaben (zum Beispiel: Südtirol, Kärnten!) treu und frei von feilem Wankelmut zu dienen bereit sein wird, ebenso treu und wankelfrei wird auch das besondere Stammes- und Staatsbewußtsein des deutschen Menschen in Oesterreich erstarken.“

Wenn nun an anderer Stelle dieser „Eckartbote“, hervorgegangen aus der völkischen Schlitzvereinsarbeit, freundliche Worte für die burgenländischen Kroaten gefunden hat und für die volklichen oder sprachlichen Minderheiten in Oesterreich das gleiche Recht auf Selbsterhaltung vertritt wie für das österreichische oder deutsche Volkstum im Ausland — leider fühlt er sich an anderer Stelle bemüßigt, als Fürsprecher für eine obskure Verherrlichung der Waffen-SS aufzutreten — dann fragt man sich, ob nicht das sprichwörtliche österreichische Wunder überall in Erscheinung treten könnte, wo Oesterreich mit Kraft und Selbstvertrauen seinen großen geschichtlichen Zielen zustrebt.

Das ungeteilte Herz, das Oesterreich braucht, müßte eigentlich kein Wunschtraum sein.

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