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Das vierzehnte Opfer?

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Der Fluch des Pharaos Tutanch-amun soll 14 Menschen das Leben gekostet haben. 40 Jahre später scheint es einen neuen Fluch zu geben. Einschließlich Jack Rubys, haben bisher 14 Leute, die direkt oder indirekt an der Ermordung John F. Kennedys beteiligt waren, ihr Leben lassen müssen. Bei einigen wenigen dieser plötzlichen Todesfälle kann man ohne weiteres an natürliche Umstände glauben. Bei den meisten vermutet man die Hand von Menschen. Jedenfalls sprechen diese Ereignisse lauter, als die 26 Bände des Warren-Ausschusses.

Dem Herausgeber einer wenig bekannten Wochenschrift in Texas, Pen Jones, gebührt das Verdienst dafür, diese merkwürdigen Zusammenhänge aufgespürt zu haben, die erst vor kurzem bekannt wurden. In einer, über das Fernsehen übertragenen vdelstündigen Kontroverse über den Warren-Ausschuß, trug Jones das Resultat seiner Nachforschungen vor. Die streitbare, oppositionelle und vielleicht nicht immer ganz seriöse Zeitschrift „Ramparts“ beschäftigte sich in ihrer Novemberausgabe eingehend mit dem Thema. Von den führenden Zeitungen des Landes erfuhr man allerdings wenig darüber.

Wahrheitssucher oder Aasgeier?

Ist Jones ein Mensch, der ehrlich und mutig nach Wahrheit und Gerechtigkeit strebt oder nur ein Aasgeier der Tragödie von Dallas? 1963 erhielt seine Zeitung „The Midlo-thian Mirror“ eine Auszeichnung lür besondere journaliststische Uner-schrockenheit. Jedoch möge sich der Leser aus Mr. Jones eigenen Worten ein Urteil bilden. Dieser leitete seine Enthüllung mit einem Bekenntnis ein, in dem er unter anderem folgendes zu sagen hatte: „Die Nachforschung ist das Herzblut des Journalismus... aber der Journalismus ist so furchtsam und schwächlich geworden. Wie kann man es sich sonst erklären, daß die nationale Presse beinahe gänzlich überging, wieviel Menschen, die Irgendwie mit der Tragödie von Dallas zusammenhingen, verschwunden sind, ermordet wurden oder einen seltsamen Tod erlitten... Wir haben vor, uns mit der Ermordung (des Präsidenten) für den Rest unseres Lebens zu beschäftigen ... nachdem wir einige tausend Stunden damit zugebracht haben, Türen einzurennen und Fragen zu stellen, während wir inzwischen den Befund (des Warren-Aus-schusses) gelesen haben, glauben wir, daß die Anwälte des Ausschusses und sein Vorsitzender dreiste Handlungen begangen haben, um die Beweise... zu verschleiern... Wir sind den wenigen, die bei der Zusammenstellung der Tatsachen hingebungsvoll geholfen haben, dankbar ... in Dallas fanden sich nur zwei, die uns helfen wollten, und aus offensichtlichen Gründen nennen wir sie nicht..

Die lange liste

Nach dieser Einleitung wollen wir unverzüglich zu einer Aufstellung der Opfer und einer kuoraen Beschreibung der Umstände, unter denen sie den Tod fanden, übergehen.

1. Harry Lee Oswald. An und für sich würde man einen Mörder, dessen Untat sein eigenes Leben forderte, nicht als Opfer betrachten. Die Umstände seines Todes aber, sowie die nicht verstummenden Zweifel daran, daß er jemanden anders als Gouverneur Connally umbringen wollte, lassen eine andere Anschauung zu. Es ist hier nicht am Platz, auf die vielen Bücher einzugehen, die die Schlußfolgerungen des Warren-Aussehusses zerpflücken. Wenn auch ihre Argumente nicht immer überzeugen, reichen sie aus, um selbst bei Leuten, die, wie ihr Korrespondent, einmal geglaubt haben, daß der Befund des Ausschusses das letzte Wort gesprochen hat, neue Fragen zu wecken.

2. J. D. Tippit, Polizist. Bekanntlich soll dieser von Oswald ermordet worden sein. Jedoch die Umstände seiner Ermordung sowie seine Beziehungen zu Jack Ruby haben seinen Fall in ein Dunkel gehüllt, das bis heute nicht erhellt wurde.

3. Bill Hunt er, Journalist. Er arbeitete als Polizeiberichterstatter für eine Zeitung in Long Beach, Kalifornien. Mit großer Mühe hatte er seinen Redakteur überredet, ihn nach Kennedys Ermordung nach Dallas fahren zu lassen. Dort traf er am Abend nach Rubys Verhaftung in dessen Wohnung mit einem anderen Journalisten, Jim Koethe, und einem

Anwalt, Tom Howard, zusammen. Georg Spector, der Rubys Wohnung teilte, hatte das Treffen veranstaltet. Warum, ist nicht klar. Wahrscheinlich wollte Spector, ein Mann, der von der Hand in den Mund lebte, aus seiner Kenntnis Rubys Kapital schlagen. Merkwürdigerweise ist Spector, der heute in New York lebt, noch am Leben. Monate später saß Hunter, wie es sich für einen Polizeiberichterstatter gehört, im Polizeipräsidium von Long Beach. Zwei Polizisten kamen herein. Einer schoß ihm durch das Herz. Die Polizisten verantworteten sich damit, sie hätten sehen wollen, wer von Ihnen schneller seine Pistole ziehen konnte. Dabei sei einem die Pistole auf den Boden gefallen. Als er sie aufhob, hätte sie sich entladen. Der Polizist wurde wegen „unfreiwliUigen Totschlages“ verurteilt, erhielt aber Bewährungsfrist.

4. Jim Koethe, Berichterstatter für den Dallas Times Herald. Als er am 21. September 1964 aus seiner Dusche trat, wurde er mit einem Karateschlag gegen den Halswirbel getötet. Der Landstreicher, der ihn umgebracht hatte, ein gewisser Larry Earl Reno, wurde verhaftet, als er persönliche Effekten Koethe verkaufte. Nachdem Reno sich nicht gewaltsam Zutritt zu Koethes Wohnung verschafft hätte, wäre der Fall an sich nicht außergewöhnlich. Was ihn erst außergewöhnlich macht, ist, daß die Grand Jury (die Geschworenen die entscheiden, ob ein Fall vor Gericht kommt oder nicht), angeblich auf Anweisung des Staatsanwaltes Henry Wade — Rubys Ankläger —, keine Anklage gegen Reno erhob. Dafür erhielt Reno später lebenslänglich für die Beraubung eines Motels, was auch ungewöhnlich ist.

Anwälte, Frauen...

5. Tom Howard, Anwalt. Bombastisch und geschickt darin, von sich reden zu machen, vertrat er Ruby für einige Tage nach dessen Verhaftung. Er muß alles über den Fall gewußt haben. Rubys Verwandte waren mit ihm unzufrieden, well sie Ihn verdächtigten, mit Wade unter einer Decke zu stecken. Howard starb in Dallas vermutlich an einem Herzinfarkt. Freunde behaupten, daß er zwei Tage vor seinem Tode ein seltsames Verhalten an den Tag gelegt hätte. Man weiß bis heute nicht, wer ihn in das Krankenhaus gebracht hat, wo er starb. Eine Obduktion wurde nicht vorgenommen.

6. Frau Roberts, Pensionsmutter. Sie verwaltete die Pension, in der Oswald unter dem Namen Lee gelebt hatte. Als ein Hauptzeuge vor dem Warren-Ausschuß bekundete sie, daß Oswald, nach Kennedys Ermordung, für einige Minuten auf sein Zimmer gegangen wäre. Zwei uniformierte Polizisten hätten mit ihrem Auto kurz vor der Pension gehalten, zweimal gehupt und seien danach weitergefahren. Sofort darauf hätte Oswald das Haus verlassen. Nach dieser Aussage wurde Mrs. Roberts ständig von der Polizei belästigt, verlor deswegen eine Stellung nach der anderen. Sie starb am 9. Jänner 1986 im Parkland Krankenhaus (demselben, in das John F. Kennedy eingeliefert worden war) an einem Herzschlag.

7. Nancy Jane Mooney, Nackttänzerin in Rubys Nachtklub. Sie hatte einem Verbrecher namens Garn als Alibi gedient, als dieser des Mordversuches an einem gewissen Reynolds verdächtigt wurde. Eine Woche später wurde die Frau wegen einer Prügelei mit einer anderen Frau verhaftet, letztere jedoch nicht. Fräulein Mooney erhängte sich in ihrer Zelle. Warren Reynolds, ein

Verkäufer von Gebrauchtwagen, hatte nach dem Attentat einen Schuß gehört und einen Mann mit einer Pistole gesehen, der davonlief. Es wird angenommen, daß der Pistolenträger der Mörder Tippits war. Erstaunlicherweise wurde Reynolds erst zwei Monate später verhört. Er bezweifelte, daß der Mann, den er verfolgt hatte, Oswald war. Zwei Tage nach dieser Aussage schoß Garner ihn an. Danach holte Reynolds sich von dem General Walker Rat. Dieser war bekanntlich unter Kennedy wegen seiner rechtsradikalen Betätigung pensioniert worden. Anscheinend auf Walkers Rat hin, identifizierte Reynolds vor dem Warren-Ausschuß den Pistolenträger definitiv als Oswald.

8. Hank Killam, Hausmaler. Er war mit der Zigarettenverkäuferin in dem Carousel Club (der Ruby gehörte) verheiratet. Außerdem war er mit einem gewissen John Carter befreundet, einem anderen Hausmaler, der in einer Pension zu derselben Zeit wie Oswald gelebt hatte. Obwohl man nicht weiß, was Killam mit der Ermordung zu tun hatte, sein Name wird nicht vom Warren-Ausschuß erwähnt, wurde er häufig von „Bundesbeamten“ verhört und belästigt. Ihre Befragungen brachten ihm den Verlust einer Stellung nach der anderen ein. Er setzte sich nach Florida ab, wo er von seinem Schwager, einem Gebrauchtwarenhändler, angestellt wurde. Jedoch verriet seine Frau den „Beamten“ seine Adresse, und sie stellten ihm in Florida so nach, daß sein Schwager ihn entließ. Eines Morgens wurde er ermordet auf der Straße aufgefunden, seine Brieftasche und sein Diamantring waren weg. Man konnte nicht einmal feststellen, welcher Art die „Beamten“ waren, die ihn verfolgt hatten.

Chauffeure, Mechaniker...

9. William Whaley, Taxichauffeur. Nach der Ermordung des Präsidenten war Oswald sein Fahrgast für eine kurze Strecke gewesen. Er kam bei einem Zusammenstoß mit einem anderen Auto, das von einem 83jähri-gen Mann gesteuert wurde, ums Lehen.

10. Auch der Greis verlor sein Leben. Whaley hatte seit 1936 keinen Unfall gehabt und war der erste Taxifahrer aus Dallas, der seit 1937 In der Ausübung seines Berufes starb. Trotzdem kann es bei dem Unfall mit natürlichen Dingen zugegangen sein. Allerdings wurde Pen Jones von dem Direktor des Taxiunternehmens, den er wegen des Unfalles befragen wollte, mit der Bemerkung aus dem Büro hinausgeworfen: „Wenn Sie gescheit sind, kommen Sie nicht hierher, um Fragen zu stellen.“

11. Eddy Benavides, Bruder des Automechanikers Domingo Benavides. Letzterer war ein Augenzeuge der Ermordung Tippits gewesen und hatte den Mörder als verschieden von Oswald beschrieben. Die Polizei hatte ihn bei der Vorführung Oswalds nicht hinzugezogen. Er behauptete, sie hätte ihn verschiedentlich davor gewarnt, über das, was er gesehen hatte, zu sprechen. Eddy, der seinem Bruder sehr ähnlich sah, wurde von einem Unbekannten ermordet. Die Benavides-Familie nahm an, die Brüder seien verwechselt worden. Die Polizei legte den Fall als „ungelöst“ zu den Akten. Domingos Schwiegervater, Jackson, war damit unzufrieden und unternahm eine Untersuchung auf eigene Faust. Zwei Wochen später, als er in seiner Stube saß, wurde auf ihn geschossen. Ein Polizeiauto fuhr bei Jacksons Haus vor, als der Attentäter flüchtete. Statt ihn zu verfolgen, ging der Polizist in das Haus und stellte langschweifige Fragen über den Vorfall. Später legte ein Polizeioffizier Jackson nahe: „Sie kümmern sich besser nicht mehr um diese Sache. Fragen Sie nicht die Leute aus. Das ist unsere Angelegenheit.“

12. Dorothy Kilgallen, Journalistin. Diese sehr bekannte Frau, deren Zeitungsspalte in Zeitungen überall in der Nation erschien, war leidenschaftlich an der Aufklärung der Ermordung Kennedys interessiert. Sie hatte sich oft gebrüstet, sie würde den Fall „knacken“. Sie war die erste, die die Existenz der Acquila Clemons, einer Augenzeugin der Ermordung Tippits, aufdeckte, einer Frau, die der Warren-Ausschuß nicht vorgeladen hatte. Als Einzige konnte sie Ruby durch Begünstigung Richter Browns privat interviewen. Sie wurde am 8. November 1965 tot im Bett aufgefunden. Der untersuchende New Yorker Arzt gab die Todesursache als „akute Alkohol- und Barbituratvergiftung“ an. Er erklärte, für sich aHein hätte keine der beiden Ursachen ausgereicht, aber zusammen hätten sie eine sich gegenseitig verstärkende Wirkung.

Er sollte nicht reden

13. Lee Bowers, Vizepräsident einer Baufirma. Er beobachtete die Ermordung des Präsidenten von einem Eisenbahnturm. Als er auf die präsidentielle Autokolonne wartete, bemerkte er drei unbekannte Autos nahe der Stelle, an der Kennedy später ermordet wurde. Er glaubte zu sehen, wie der Fahrer des einen Autos in ein Kurzwellentelefon sprach. Ebenso sah er zwei Männer, die an der Kreuzung standen, hinter der das Attentat geschah. Als er die Schüsse hörte, blickte er auf die Männer und vermeinte zu sehen, wie von der Hand des einen ein Strahl ausging. Jedoch gab er vor dem Warren-Ausschuß die Möglichkeit einer optischen Täuschung zu. Nach der Ermordung will er gesehen haben, wie ein Polizist auf einem Motorrad zu der Stelle, wo die Männer standen, herauffuhr, abstieg, sofort wieder aufstieg und abfuhr. Am 9. August 1966 fuhr Bowers auf eine Geschäftsreise mit einem neuen Auto seiner Firma. Plötzlich wich das Auto von der Straße ab und stieß gegen einen Brückenpfeiler. Ein Landwirt, der den Unfall mitansah, gab an, Bowers sei nicht schneller als 80 Stundenkilometer gefahren. Man fand keine Bremsspuren. Ein Arzt, der Bowers in dem Krankenwagen begleitete, der ihn ins Krankenhaus brachte, wo er zwei Stunden später starb, sagte: „Er befand sich in einem seltsamen Schock. Es war ein anderer Schock, als der, den das Opfer eines Unfalles durchmacht. Ich kann es nicht erklären.“ Jones behauptet, daß, als er die Witwe befragte, sie zuerst jede Möglichkeit eines ungewöhnlichen Ereignisses abstritt. Jedoch verriet sie: „Sie hatten ihm gesagt, er solle nicht reden.“

Nummer 14? Darf man Jack Ruby als das

14. Opfer betrachten? Wenn man seine Behauptung akzeptiert, der Kummer über die Ermordung eines hochverehrten Präsidenten habe ihn so aufgewühlt, daß er, gewissermaßen in einer Trance, den Präsidenten gerächt habe, darf man es. Wie verhält es sich aber, wenn man glaubt, er habe in Erfüllung eines Auftrages Oswald zum Schweigen gebracht? Man muß in Betracht ziehen, wie rasch ihn der Krebs, Im allgemeinen eine langwierige Krankheit, dahingerafft hat. Man kann sich nicht des Eindruckes erwehren, daß man Ruby im Gefängnis dahinsiechen ließ, um ihn erst als Sterbenden ins Krankenhaus zu bringen. Man wird in diesem Eindruck bestätigt, wenn die Behörden plötzlich sich dafür einsetzen, daß er von einem Lügendetektor geprüft wird, als die Krankheit einen wahrheitsgemäßen Befund unmöglich macht. Warum war der Lügendetektor nicht schon viel früher angewandt worden? Man kann auch nicht vergessen, daß Ruby den Obersten Richter Warren nachdrücklich gebeten hatte, ihn in Washington statt im Gefängnis von Dallas zu vernehmen. Da könne er mehr sagen.

Als Harry Lee Oswald am Abend nach seiner Verhaftung dem Fernsehpublikum vorgeführt wurde, schrie er „I was a patsy“. Ein patsy ist jemand, der so geschickt manipuliert wird, daß — während er glaubt, etwas aus eigener Initiative zu unternehmen —, er in Wirklichkeit zugleich Deckmantel und Sündenbock für gescheitere Drahtzieher ist. War Ruby nicht womöglich auch ein „patsy“, statt Rächer des Präsidenten? In dem einen, wie In dem anderen Fall war er das 14. Opfer.

PAUL VI.

Problems unserer Zelt

Priestertum — Laienapostolat — Religion und Arbeit — Der Christ und die Wohlstandsgesellschaft 160 Selten / Pappband mit Glanzfolie, S 48.—

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