Das Waldsterbem Nur ein Phantom?
„Der wald stirbt!”: dieser ruf der achtziger jahre erweist sich als total überzogen. waldsterben ist in osterreich für die nächsten 100 jahre abgesagt.
„Der wald stirbt!”: dieser ruf der achtziger jahre erweist sich als total überzogen. waldsterben ist in osterreich für die nächsten 100 jahre abgesagt.
DIEFURCHE: Die EU hat Europas Waldzustand erhoben. Österreich schneidet gut ab. Ist das Waldsterben abgesagt? Markus Neumann: Um darauf zu antworten, ist ein Bückblick notwendig: Zu Beginn der achtziger Jahre traten starke Waldschäden in der Tschechoslowakei auf. Damals sorgten sich vor allem die Deutschen, auch bei Ihnen könne ähnliches passieren wie im Erzgebirge, wo in der Anfangsphase des Absterbens ähnliche Symptome am Wald zu beobachten waren wie zu Beginn der achtziger Jahre in Deutschland: eine Verlichtung der Kronen (ein überdurchschnittlicher Nadelverlust).
DIEFURCHE: Hat allein das die Panik in Sachen Waldsterben ausgelöst? neumann: Außerdem wies damals Professor Bernhard Ulrich, Professor für Bodenkunde in Göttingen, darauf hin, daß die Philosophie der hohen Schornsteine (Schadstoffe möglichst hoch in die Luft zu schicken, um sie unwirksam zu machen) ökologisch nicht haltbar war. Die Schadstoffe summierten sich nämlich im Boden. Dies könne zum Kippen des Systems Boden (auf dem Weg von Versauerung, Aluminiumfreisetzung, Wurzelschädigung, Baumsterben) führen. Daraufhin beschloß man in Deutschland, die Waldschäden zu erheben: Alle vier Kilometer wurden Bäume ausgewählt, markiert und jährlich ihr Blatt- bzw. Nadelverlust bewertet.
DIEFURCHE: Was geschah in Österreich? neumann: Die Versuchsanstalt meinte von Anfang an, dieses Verfahren erhebe nur Symptome, erfasse aber keine Ursachen. Daher wurde 1985 ein enges Netz von Bioindikator-Punkten eingerichtet. Da wurden Nadelproben entnommen und auf Schad- und Nährstoffe analysiert. Die als natürlich angesehenen Grenzwerte in den Nadelgehalten wurden in Österreich vielfach überschritten. Auf Karten wurden Einwirkungsgebiete der Luftverunreinigungen dargestellt. Von Politik und Öffentlichkeit wuchs aber der Druck, Erhebungen wie in Deutschland durchzuführen. Daher wurde ab 1984 auch bei uns der Kronenzustand erfaßt.
DIEFURCHE: Und das Ergebnis? neumann: 20 bis 50 Prozent der Bäume wiesen eine Verlichtung auf. Analysen zeigten: Je älter die Bestände, umso mehr Verlichtung, je trockener und ungünstiger der Standort, umso weniger Nadeln. Dies ließ in uns die Meinung aufkommen, es handle sich eher um einen natürlichen Prozeß.
DIEFURCHE: Hat sieh die Situation über die Jahre hinweg deutlich verändert? NkumanN: Die Erhebungen zeigten zwar Veränderungen - wir waren uns aber nie ganz sicher, ob es sich um Zufälle, Änderungen in der Zusammensetzung der Beobachter oder wirklich um Veränderungen handelte.
DIEFURCHE: War das Reden vom Waldsterben also künstlich erzeugte Sorge? neumann: Als „Waldsterben” war es sicher ein Artefakt. Viele Prognosen von damals sind nicht eingetroffen (etwa eine Meldung in Oberösterreich, in sieben Jahren würde im Mühlviertel keine Fichte mehr stehen). Waldsterben war als Bezeichnung immer übertrieben. Es ging eher um ein Leiden von Bäumen, eine allgemeine Beeinflussung des Waldsystems.
DIEFURCHE: Haben sich die damals eingeleiteten Umweltschutzmaßnahmen positiv auf den Wzld ausgewirkt? neumann: Der Katalysator wurde eingeführt, die Abluft der Kraftwerke und das Heizöl wurden entschwefelt. In Österreich hat sich die Schwefelemission enorm verrringert. Ob all dies meßbare Effekte hatte, ist schwer zu sagen. Die Symptome, die wir beobachten, sind nur schwer bestimmten Ursachen zuzuordnen. Nadelverlust ist Zeichen einer allgemeinen Schwächung des Baumes. Aber es gibt auch Theorien, die sagen, er sei ein Zeichen der Beaktionsfähigkeit der Bäume.
DIEFURCHE: Unterscheidet sich die heutige Situation von der von 1985? neumann; Die Fichte und die Kiefer haben sich verbessert, die Eiche hat sich verschlechtert, die Buche hatte ein Tief in der der Mitte der Beobachtungsperiode. Insgesamt gibt es eine geringfügige Verbesserung, die statistisch nicht wirklich gesichert ist.
DIEFURCHE: Einerseits Kronenverlich-tung, andererseits wächst im Wald derzeit mehr Holz zu Ein Widerspruch? neumann: Es stimmt, daß mehr Holz im Wald steht und daß es einen größeren jährlichen Zuwachs gibt. Die Ursachen dafür sind nicht bekannt, aber es gibt mehrere Hypothesen: Mehr Stickstoff durch den Kraftfahrzeugverkehr (Pflanzen brauchen Stickstoff, der normalerweise im Wald einen Engpaß darstellt); Erhöhung des 002-Gehaltes der Luft (C02 ist wesentlich für die Photosynthese); seit 100 Jahren dürfte sich außerdem das Klima erwärmt haben (was schnelleres Wachstum bringt). Bei Kiefern wurde folgendes festgestellt: Wachsen sie schneller, sehen sie vom Boden aus schütterer aus. Weiters ist folgendes denkbar: Die Nadelbäume behalten ihre Nadeln zwischen sieben und zwölf Jahre. Für die Photosynthese sind die jüngsten Jahrgänge die wichtigsten. Die zwei jüngsten tragen 70 bis 80 Prozent bei. Die ältesten sind zum Teil Konsumenten. Vom Baum aus ist es also effektiver, sich der inneren Nadeln zu entledigen. Folgende Zusammenhänge könnte es dabei geben: Fallen die älteren Nadeln weg, könnte die Leistung der Bäume steigen. Oder anders herum: Leistungsfähigere Bäume brauchen die inneren Nadeln nicht mehr. Es gibt keine generelle Antwort.
DIEFURCHE: Irgendwie entsteht der Eindruck, man weiß eigentlich recht wenig über die Bäume ... Neumann : Das stimmt. Jetzt sollte ich wahrscheinlich sagen: Hätten wir mehr Geld und Personal, wüßten wir schon mehr. Tatsache aber ist: Bäume sind extrem langlebig und groß. Sie entziehen sich weitgehend dem Laborversuch, sind praktisch nicht ins Glashaus zu bringen. Und dort hätten sie andere Bedingungen als im Wald. Faktum ist: Wir wissen herzlich wenig.
DIEFURCHE: mcA über den Waldboden? Die Überlegungen Ulrichs bezüglich der Anreicherung von Schwefel im Boden waren richtig und wertvoll. Differenziert zu sehen ist aber, daß die Böden unterschiedliche geologische Ausgangssituationen haben. Ist im Boden Kalk vorhanden, kommt es zu keiner Übersäuerung. Und unsere Böden sind überwiegend kalkhaltig. Daher ist die Ausgangslage unserer Böden viel weniger gefährlich als etwa in Deutschland. Außerdem tragen die Bäume bei ihrem Stoffwechsel auch zur Versaue rung ihrer Umgebung bei. Stirbt der Baum, so gleicht er beim Vermodern diesen Vorgang wieder aus. Entnimmt man das Holz, ist dieser Kreislauf zum Teil gestört, vor allem, wenn Äste und Binden (sie enthalten den Großteil der Nährstoffe) mitentnommen werden. Über das Bestandesleben hinweg nimmt also die Versauerung zu. Daher ist es bei der Beobachtung einer Fläche schwierig zu ermessen, wieviel der Versauerung auf den Eintrag und wieviel auf den Alterungspro eß zurückzuführen ist. Dennoch gibt es Hinweise auf eine zunehmende Versauerung durch Immissionen.
DIEFURCHE: Gibt es besonders gefährdete Teile des Waldes in Österreich? NEUMANN: Ein Sechstel unseres Waldes ist nicht bewirtschafteter Schutzwald. Dieser ist ein Bollwerk gegen Muren und Lawinen und liegt in den extremsten Gebieten. Weil er nicht forstlich genutzt wird, nützt man ihn für die Jagd. Die hohen Wildstände verhindern die natürliche Verjüngung. Der Schutzwald wird also immer älter und anfälliger. Hier sind Maßnahmen dringend notwendig. Die Öffentlichkeit sollte allerdings wissen, daß dafür Straßen gebaut und Bäume geschlägert werden müssen.
DIEFURCHE: Wie schneidet Österreich im internationalen Vzrgleich ab? NEUMANN: Sehr gut. Wir liegen immer im besten Bereich. Das liegt sicher auch daran, daß Österreich umweltmäßig zu den besseren europäischen Ländern gehört und eine international gesehen nachhaltiger wirtschaftende Forstwirtschaft hat. Für die nächsten 100 Jahre gibt es meiner Ansicht keine Bedrohung für unseren und für den europäischen Wald.