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„Das wertvollste historische Dokument unserer Zeit“

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Im Februar 1943, als bereits die Alliierten

vor den Küsten Italiens standen, bildete Mussolini zum letztenmal sein Kabinett um. Zum allgemeinen Erstaunen befand sich unter den entfernten Ministern auch der Außenminister Graf Galeazzo Ciano, der Schwiegersohn des Duce, der zum Botschafter am Vatikan ernannt wurde. Erst die Vorgänge in dem berühmten letzten faschistischen Großrat am 25. Juli 1943, bei dem Ciano gemeinsam mit Dino Grandi der Wortführer der Opposition war, ließen die Ursache jener Enthebung erkennen, wie weit schon anfangs 1943 das faschistische System bereits innerlich ausgehöhlt war. Die Besetzung Roms durch die deutschen Truppen und die nachfolgende Befreiung Mussolinis awaogeiten das Schicksal Cianos, der unter dem Vorwand, mit seiner Familie nach Spanien gebracht zu werden, von einem Sonderkommando des SD gefangen wurde, um dann in Verona endgültig seinem eigenen Schwiegervater zur Verurteilung übergeben zu werden.

Schon während der Untersuchungen gegen Ciano tauchte das Gerücht auf, daß er seit Kriegsbeginn ein geheimes Tagebuch geführt habe, dessen Inhalt vor allem für die deutsche Außenpolitik, aber auch für den Faschismus belastend war. Sowohl die faschistische Geheimpolizei als auch die deutschen Abwehrdienststellen setzten alles daran, diese Aufzeichnungen in die Hand zu bekommen und ihre Veröffentlichungen zu verhindern. Es gelang Ciano sogar, die Niederschrift aus dem Gefängnis zu schmuggeln und seiner Gattin zu übermitteln, die sich, in den Konflikt zwischen Vater und Gatten gestellt, mit einer fast heroischen Entschlossenheit für den Gatten entschieden hatte. Sie war nach dessen Erschießung entschlossen, die Tagebuchblätter, deren Inhalt ihren Gatten vor der Welt entlasten konnten und auch unerhörtes Tatsachenmaterial enthüllten, in die Schweiz zu bringen. Gräfin Edda Ciano gelang von Mailand aus die Flucht, trotz der Überwachung durch deutsche und italienische Dienststellen; verkleidet als Bäuerin überschritt sie die Grenze und brachte das kostbare Manuskript glücklich in die Schweiz. Dort wurde sie zwar interniert, doch bald nahm sie Verbindung mit einem amerikanischen Korrespondenten auf, der Auszüge aus dem Tagebuch in einer Reihe amerikanischer Zekungen publizierte. Es wurde der größte Zeitungserfolg Amerikas in den letzten Jahren. Nun liegt, nachdem die Waffen schweigen, die erste wissenschaftlich redigierte Gesamtausgabe der Aufzeichnungen Cianos vor und kein Geringerer als der frühere amerikanische Unterstaatssekretär Sumner Welles schrieb dazu die Einleitung, denn ihm hatte anläßlich der Zusammenkunft in Rom im Februar 1940 Ciano als einzigem ausländischen Staatsmann von der Existenz dieser Aufzeichnungen Mitteilung gemacht. Nach den Worten Sumner Welles ist es „d as wertvollste historische Dokument unserer Zei t“, da es eine klare Einsicht in die italienische und deutsche Politik während des Krieges gewährt. Gleichzeitig zeigt es den Verfasser wie er war: ein amoralisches Produkt der faschistischen Periode Italiens, deren blinde Anbetung der Macht zur Katastrophe führen mußte. Doch sagt Sumner Welles richtig, daß „Ciano weitaus höher zu werten sei, als der Mann, der zwar dessen Schwiegervater, aber letzten Endes sein Richter gewesen ist und der allein verantwortlich für Italiens Kriegseintritt war. Denn seit der ver-hängnisvollenBesetzungöster-reichs gab sich Ciano keinerlei Illusionen über den Weg hin, den Mussolini zu gehen e nt-schlossen war. Von diesem Moment an versuchte Ciano aber auch, soweit es in seiner Macht stand, den Eintritt Italiens in den kommenden Konflikt zu verhindern, ohne allerdings im entscheidenden Moment den Mut zur offenen Auflehnung zu finden“. In den letzten zwei Jahren bildete er innerhalb der faschistischen Führerschaft, vor allem mit Hilfe Grandis, einen opposi-

tionellen Kreis, dessen Verbindungen bis zum König und auch zu konservativen Mitgliedern der deutschen Botschaft, so zum Fürsten Otto Bismarck, der einer der schärfsten Gegner Ribbentrops war, führten.

Der Weg zur Katastrophe

Die Analyse des Faschismus, die sich aus Cianos Aufzeichnungen ergibt, erklärt auch, warum dieses System, dem, rein materiell gesehen, Italien ohne Zweifel sehr viel verdankte, durch die Grundirrtümer seines Gedankengebäudes zum Zusammensturz führen mußte. Seit dem italienisch-englischen Konflikt im Abessinienkrieg versudite Mussolini in immer stärkerem Maße die Annäherung an das Dritte Reich auch in ideologischer Hinsicht. Während der Nationalsozialismus von vornherein ein klar umrissenes Programm auf weltanschaulichem Gebiet hatte, war der Faschismus zuvor mehr oder minder eine Organisationsform gewesen, die sich den

besonderen Eigenheiten des italienischen Volkes anzupassen versuchte. Erst die von Mussolini geförderte radikale Richtung eines Farinacci oder Baron Evola versuchte in Anlehnung an den nördlichen Verbündeten dessen Lehren von der Macht und der Unterordnung allen Redites unter die Staatsgewalt für Italien zu übernehmen. Mussolini verstrickte sich, in dieser Bahn fortschreitend, während des Krieges immer mehr in einen Kampf gegen zwei Mächte, die der Faschismus nie hätte besiegen können, nämlich das italienische Königtum und die katholische Kirche. So sehr nach außen hin der Schein eines guten Einvernehmens mit dem Königtum aufrechterhalten wurde, so offenbaren doch alle Tagebuchaufzeichnungen Cianos, wie sich immer wieder das Bemühen Mussolinis wiederholt, jeden Einfluß des Königs auszuschalten. Stets beneidete er Hitler, der es nicht notwendig hatte, solchen „Plunder“ wie die Monarchie mitzuschleppen, und im Falle des Sieges wollte er nicht nur das Königtum, sondern audi die konservativen Gruppen Italiens, die er als defaitistisch bezeichnete, vernichten. Sein Verhältnis zum Vatikan war seit 1939 ein denkbar kühles geworden und es wurde mit der Fortführung des Krieges immer unfreundlicher. Bezeichnend ist dafür ein Zwischenfall anläßlich eines Telegrammwechsels des Hl. Vaters am 12. Mai 1940 mit den Regierungschefs der von der deutschen Invasion bedrohten Weststaaten. Mussolini bezeichnete in diesem Zusammenhang das Papsttum als ein „Krebsgeschwür“ im nationallen Leben Italiens, welches, wenn notwendig, vernichtet werden müsse. Mit Mühe konnte von seiner Umgebung eine

diplomatische Note an den Vatikan verhindert werden. Als jedoch am folgend* Tag Alfieri mit dem Papst über den Zwischenfall sprach, antwortete der Hl. Vater kühl, „daß er jederzeit bereit wäre, in ein Konzentrationslager deportiert zu werden, er aber niemals etwas gegen sein Gewissen tun würd c“. Hin und her gerissen zwischen der Sucht, Italien zu imperialer Größe zu erheben, und der Sorge, in Wahrheit unter dem deutschen Kommando zu verbluten, steuerte Mussolini in den Krieg.

Dem „Dämon der Zerstörung“ verfallen

Nach Cianos Berichten ist der 11. August 1939 der Schicksalstag Europas gewesen. Der Entschluß, eine kriegerische Lösung mit Polen zu suchen, stand an diesem Tag fest. Ciano notierte über eine

Konferenz, die in Salzburg am 11. A-Ugust mit Ribbentrop stattfand:

„Die Entscheidung zum Kampf ist unerbitt lieh. Ribbentrop verweigerte jede Lösung, die Deutschland nicht befriedigen würde. Ich bin sicher, daß, selbst für den Fall, daß die Deutschen mehr erhielten, als sie verlangen, der Angriff trotzdem kommen müßte, denn sie sind vom Dämon der Zertörung beseelt.“

Nach seiner Rückkehr nach Rom berichtete Ciano offen seine Eindrücke. Doch Mussolini fühlte sich durch den Stählpakt gebunden und zögerte, einen Entschluß zu fassen. Am 21. August kam es im Arbeitsraum Mussolinis zu einer dramatischen Auseinandersetzung mit Ciano. Dieser notierte:

„Als ich den Raum betrat, teilte mir Mussolini seinen Entschluß mit, mit den Deutschen zu marschieren. Ich antwortete: ,Duce, das können und dürfen Sie nicht tun Die Treue, mit der ich Ihnen gedient habe, um die Politik der Achse aufzubauen, rechtfertigt meine offene Sprache. Ich fuhr nach Salzburg, um Klarheit zu gewinnen und wurde einem Diktat gegenübergestellt. Die Deutschen, nicht wir, haben das Bündnis verraten, in welchem wir Partner und nicht Sklaven sein sollen. Zerreißen Sie den Pakt und werfen Sie ihn Hitler ins Gesicht und Europa wird Sie als den naturgegebenen Führer eines antideutschen Kreuzzuges ansehen. Wollen Sie, daß ich nochmals nach Salzburg fahre? Gut! Ich werde fahren und mit den Deutschen so sprechen, wie sie es verdienen, daß man mit ihnen spricht. Aber Hitler wird mir nicht das Rauchen einer Zigarette verbieten, wie er es Schuschnigg getan hat.'“

Der Duce schwankte neuerlich. Doch am folgenden Tag unterzeichnete Deutschland seinen Pakt mit Rußland und Mussolini ent-

schied sich für den Krieg, allerdings mit dem Vorbehalt, vorläufig aus Gründen der militärischen Schwäche Italiens abzuwarten. Unermüdlich bemühte sich Ciano in den ersten Monaten, da Europa in Flammen stand, Italiens Neutralität aufrechtzuerhalten.

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