6769374-1968_48_01.jpg
Digital In Arbeit

Das Wort des Generals

Werbung
Werbung
Werbung

In der militärischen Strategie spielt das Überraschungsmoment eine bedeutsame Rolle. Der General auf dem französischen Präsidentenstuhl läßt keinen Zweifel darüber, daß er sich auch in der Politik dieses strategischen Elements bedient, wobei man wiederholt den Eindruck haben muß, daß er dabei eben vorgeht, wie Generäle manchmal vorzugehen pflegen: ohne Rücksicht auf Verluste. Die Nichtabwertung des französischen Franc war wieder einmal ein Musterbeispiel dafür, daß de Gaulle dem General den Vorzug vor dem Präsidenten gibt.

Nun kann man der Auffassung sein, daß Währungsmanipulationen keine tauglichen Mittel sind, um eine monetär schwer angeschlagene Volkswirtschaft wieder auf die Beine zu bringen. Es gibt mindestens so viele Begründungen für die Zweckmäßigkeit der Abwertung des Franc, bzw. der Aufwertung der D-Mark, wie Gründe dagegen. Das führt uns im übrigen zu der Feststellung, daß de Gaulle mit seiner Weigerung, den Franc abzuwerten, mit umgekehrten Vorzeichen dasselbe getan hat wie die Deutschen, die ihre D-Mark nicht aufwerten. Sicher ist jedenfalls, daß auch eine Währungs- manipulation wie jeder Eingriff in den eigenständigen Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens nur vorübergehenden Erfolg haben kann. Man denke etwa an die Diskussion über eine mögliche Abwertung des Dollars zu Beginn dieses Jahres. Eine Dollarabwertung hätte weitgehend zur Abwertung zahlreicher anderer Währungen geführt und wäre somit ein Schlag ins Wasser gewesen. Die im Jänner 1968 vorgenommene Spaltung des Goldpreises als unbestritten bester Ausweg aus der damaligen Situation wird auch kein Mittel sein, das für alle Zeiten seine Gültigkeit behalten wird. Wenn sich etwa die beiden Goldpreise zu stark auseinanderentwickeln sollten, wird die Dollar- parität wieder ein zu lösendes Problem sein. Sicher ist in allen diesen Dingen immer nur eines, nämlich die Notwendigkeit, in einer aus welchen Gründen immer angeschlagenen Wirtschaft die Wurzeln des Übels zu kurieren. Sie liegen heute fast überall in der Kostensteigerung, aus welchen Gründen immer diese kommen mag. Wenn eine Volkswirtschaft durch ständig steigende Kosten an einer Preisinflation leidet, dann ist eine Währungsabwertung sicherlich ein Korrekturfaktor, um die Zahlungsbilanz wieder in Ordnung zu bringen. Aber wenn der Kosteninflation kein Hemmschuh entgegengesetzt wird, zehren sich die währungspolitischen Vorteile einer Abwertung von selbst wieder auf. Zur Stunde, da diese Zeilen geschrieben werden, wissen wir noch nicht, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen die französische Regierung ergreifen wird. Wie immer diese aber auch sein mögen, so bleibt auf Grund der gegenwärtigen Situation die Frage offen, ob diese Maßnahmen ohne eine Abwertung des Franc den gewünschten Erfolg haben können.

Aber nicht das soll Gegenstand dieser kurzen Darstellung sein. Was die Weltöffentlichkeit im Augenblick fasziniert, um nicht zu sagen schok- kiert, ist die Tatsache, daß — obwohl man im Zehnerklub in Bonn der einhelligen Auffassung war, daß es ohne Abwertung des Franc nicht geht — General de Gaulle sich über diese Auffassung kühl hinweiggesetzt hat und damit wieder einmal demonstrierte, wie wenig der französische Staatspräsident bereit sei, von seinen einmal gefaßten Entschlüssen abzugehen. Das erinnert mich an Gespräche mit französischen Ministern, in denen eine übereinstimmende Auffassung festgehalten werden konnte, die aber dann wiederholt mit der Feststellung meines französischen Gesprächspartners schlossen: „Aber der General denkt anders!”

Daß de Gaulle „anders” denkt, hat er in seinem ganzen politischen Wirken bewiesen. War er doch nach der Niederlage Frankreichs derjenige, der diese Niederlage nicht zur Kenntnis nahm und mit beispielhaftem Mut und staunenswerter Tatkraft eine Resistance ins Leben rief, die schließlich das geschlagene Frankreich wieder auf die Seite der Sieger führte. Und als ihm das französische Volk in der ersten Nachkriegszeit mit seinen kühnen Plänen des Wiederaufbaues Frankreichs nicht folgen wollte, zog er rasch die Konsequenz und trat in der festen Überzeugung, daß seine Zeit noch kommen werde, zurück. Seine Zeit kam, als sich in der Vierten Republik ähnliche Verhältnisse zu entwickeln begannen wie vor dem zweiten Weltkrieg. In rascher Folge lösten sich die Regierungen in Paris ab, weil keine imstande war, ein konstruktives Konzept für den Wiederaufbau durchzusetzen. Wie grotesk dieser Zustand schließlich wurde, bewies ein kleines Bonmot, das wiederum aus einem Gespräch mit einem französischen Minister der unmittelbaren Vor- de-Gaulle-Zeit stammt. Bei einem Besuch beim damaligen französischen Außenminister, dem ich am Schluß unseres Gesprächs mitteilte, daß ich nun einen Besuch beim Finanzminister zu machen habe, wurde ich gefragt: „Sagen Sie, wer ist denn jetzt gerade bei uns Finanzminister?”

Was de Gaulle nach seiner Rückkehr ins Elysee sodann für Frankreich leistete, hat sich mit goldenen Lettern in die Geschichte dieses Landes eingetragen. Es gelang ihm. mit der Fünften Republik eine Stabilität herzustellen wie nie zuvor, und er ist auch heute noch für die Franzosen das Symbol der Stabilität, Sicherheit und Ordnung, jener drei Elemente, ohne die die französische Lebensauffassung nicht gedacht werden könnte. Das ist es ja auch, warum ihn die französischen Wähler in dem Augenblick, da Ruhe und Ordnung durch die Unruhen im Frühjahr aufs höchste gefährdet erschienen, ein demokratisches Votum aussprachen wie nie zuvor einem französischen Staatsmann.

So ist es auch verständlich, daß der General-Präsident sich in seiner Politik durch sein Volk bestätigt fühlen mußte, obwohl der Präsident dem General hätte sagen müssen, daß ein aus Furcht und Angst vor der Unruhe und Unordnung entstandenes Plebiszit in der heutigen Zeit kein Dauerzertifikat für „einsame Entschlüsse” sein kann. Charles de Gaulle ist aber eben in erster Linie General, für den nur die gewonnenen Schlachten zählen.

Europa kennt die eigenwillige Politik de Gaulles in der Integrationsfrage zur Genüge. Auch wir Österreicher haben das zu unserem Mißvergnügen schon zur Kenntnis nehmen müssen. Seine auf ganz andere Elemente zurückgehende Ablehnung der Erweiterung des Gemeinsamen Marktes durch Großbritannien steht im Widerspruch zur gesamten europäischen Auffassung. Für Österreich bedeutet das, daß seine bis zum Frühjahr 1967 gerade von der französischen Delegation In Brüssel unterstützte Integrationspolitik noch zu keinem Erfolg führen konnte. Es war gerade die französische Regierung, die das österreichische Vorhaben des Abschlusses eines wirtschaftlichen Vertrages besonderer Art tatkräftig unterstützte. Die französische Kehrtwendung in der österreichischen Integrationsfrage, beim Staatsbesuch Pompidous und Couve de Murvilles in Wien im Herbst 1967 erstmals erkennbar, bedeutet für uns, daß auch wir weiterhin im Brüsseler Vorzimmer warten müssen, obwohl ohne den damals erfolgten französischen Einspruch kein ernstliches Hindernis für den von Österreich gewünschten Vertragsabschluß mehr bestand. Aber der General dachte eben anders!

Nun hat der Zehnerklub in Bonn — und dies ist aus den offiziellen und inoffiziellen Stellungnahmen nach der Bonner Marathonsitzung völlig eindeutig hervorgegangen — seine Hilfsmaßnahmen für den Franc unter der Voraussetzung der Abwertung beschlossen. Offen war eigentlich nur die Frage, in welchem Ausmaß zwischen zehn und fünfzehn Prozent diese Abwertung vorgenommen werden sollte. Offensichtlich hat man in Bonn aber ohnedies auf die Empfindlichkeit im Elysee Rücksicht genommen, indem man feststellte, daß der eigentliche Abwertungsbeschluß Sache der französischen Regierung sei; niemand zweifelte daran, daß die Dinge auch so laufen würden, ist doch während der Bonner Diskussionen auf französischer Seite sogar der Vorschlag einer sehr starken Abwertung gemacht worden. Nun ist eine in der ganzen Welt nicht erwartete Entscheidung gefallen. Aber man würde im Elysee irren, wenn man für diese Entscheidung das bekannte Wort der katholischen Kirche „Roma locuta causa finita” als gültig ansehen wollte. So etwas gibt es im Wirtschaftsleben überhaupt nicht, und die wirtschaftlichen Probleme, vor die sich Frankreich mit der Beibehaltung des Franckurses nun gestellt sieht, werden schwierig zu lösen sein, wenn sie überhaupt gelöst werden können. Daß sie gelöst werden, liegt allerdings nicht nur im Interesse Frankreichs, sondern der Weltwirtschaft überhaupt. Die Entscheidung des Generals hat zwar die Welt brüskiert, aber diese wird die Generalspille wieder einmal schlucken müssen, um die höheren Interessen der Weltwirtschaft nicht zu vernachlässigen. Ebenso wie die Integrationspolitik de Gaulles die Europäer zu geduldigem Warten zwingt, ohne daß damit das, weil notwendige, daher unausbleibliche Ziel der westeuropäischen Integration aufgegeben wird.

Auf der Basis einer unangefochtenen und in Wahrheit harten Schillingwährung stehend, können wir vom österreichischen Standpunkt aus die weitere Entwicklung in Ruhe abwarten. Daß der Schilling heute zu den ganz wenigen Währungen in der Welt zählt, deren Härte unbestritten ist, soll uns allerdings nicht zu irgendeinem Leichtsinn verleiten. Wir müssen wissen, daß der österreichische Schilling nicht nur deshalb heute eine harte Währung ist, weil ihn als Voraussetzung für diese Härte eine kluge und konzeptionelle österreichische Währungsund Wirtschaftspolitik dazu gemacht hat Die Härte des Schillings ergibt sich nämlich auch aus dem Umstand, daß der österreichische Schilling infolge der nach Weltmaßstäben zu messenden bescheidenen Kapazität der österreichischen Wirtschaft nicht zu den sogenannten Leitwährungen zählt, die für alle Änderungen und Schwankungen in der Weltwirtschaftspolitik anfällig sind. Im übrigen erinnem wir uns wohl auch noch recht gut an den „Alpendollar” der dreißiger Jahre, der nicht imstande war, die österreichische Wirtschaft dieser Zeit auf gesunden Beinen zu erhalten. Für Österreich gilt aber auch das oben Gesagte über die Wurzeln einer Volkswirtschaft, d. h., daß unser Schilling seine Härte nur dann behalten wird, wenn wir alle Anstrengungen machen, um im Land selbst eine Kosteninflation zu vermeiden. Auch hier gilt das Goethe- Wort: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.” Daran kann auch der Befehl eines Generals nichts ändern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung