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Das zionistische Feuer

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Als vor einem halben Jahrhundert Theodor Herzl den Zionismus begründete und zum erstenmal 1897 einen Kongreß der Zionisten in Basel um sich versammelte, da sprach er dann wohl das zuversichtliche Wort, er habe zu Basel „den Judenstaat“ begründet; aber damals, da die entfadite Glut nur ein kleines Herdfeuer war, von den jüdischen Assimilanten gerade für gut genug gehalten, daß sich daran einige verstiegene Idealisten und europamüde Utopiker die Hände wärmen könnten, mochte auch Flerzl kaum geahnt haben, daß aus diesem ärmlichen Flämmchcn ein Brand werden würde, der einer Weltmacht schwer zu schaffen geben und die internationale Politik mit einer ihrer heikelsten und unliebsamsten Aufgaben belasten würde. Und so gefährlich wurde dieser Brand, daß er fast das ganze Haus des Zionismus anzuzünden droht.

Der 22. Zionistenkongreß, der vor Weihnachten durch zwei Wochen in Basel tagte, ganz in den Formen eines nationalen Parlamentes, endigte, mindestens äußerlich, mit einer Dissonanz. Auch der großen Autorität Dr. Weizmanns, der seit mehr als vierzig Jahren die Präsidentsdiaft der zionistischen Weltorganisation mit staunenswerter Kraft führt, ist es in Basel nicht gelungen, in dem Konflikt mit der britischen Mandatarmacht für Palästina eine Formel durdizu-setzen, die wenigstens eine Verhandlungsbasis für die Ordnung der künftigen Geschicke Palästinas und die Gestaltung des Judenstaates sichern würde. Die von Doktor Weizmann angesprochene Vollmacht zur Teilnahme an der Palästina-Konferenz mit England und den arabischen Staaten ist von der Mehrheit des Kongresses abgelehnt worden. Es hatte das Argument des Rabbiners S i 1 v e r s, eines Vertreters der amerikanischen Opposition, obsiegt: es sei verfehlt, mit einem solchen Beschluß von vornherein schon den in der Konferenz mit England auf der Tagesordnung stehenden

Plan einer Zweiteilung Palästinas — in einen jüdischen (West-Norden) und einen arabischen (Ost-Süden) Staat — als Verhandlungsfähre erkennen zu lassen.

Die Zionistenkongresse zeigen schon seit Jahrzehnten die starke Zerklüftung des in der Bewegung zusammengefaßten Judentums. Diesmal stießen die Gegensätze so heftig aufeinander, daß nicht einmal die Neuwahl der Exekutive gelang und erst das „Permanente Aktionskomitee“ damit betraut werden mußte, die Spitze der jüdischen Nationalorganisation, der „J e w i s h A g e n c y“, sozusagen deren Regierung, zu schaffen.

Bis vor dem Basler Kongreß setzte sich die Exekutive der „Jewish Agency“ aus vier Organisationen der Linksparteien zusammen: der „Mapai“ oder der palästinensisch-jüdisdien Arbeiterpartei, der zionistischen Gesellschaft „A“ unter der Führung von Dr. Weizmann, der zionistischen Gesellschaft „B“ als rechter Flügel und sddießlich den religiösen Zionisten, den „Misrachi“. Charakteristika dieser Organisationen sind — wir zitieren hier die Sdiweizer „Apologetischen Blätter“ — ihre Mäßigung sowie die Ablehnung des Terrors. Traten sie zunächst für das Bilt-more-Programm — den Nur-Judenstaat für das ganze Gebiet Palästinas — ein, zeigte sich doch auf dem Kongreß in Basel ihre Bereitschaft, den realpolitischen Weg einer Teilung Palästinas in zwei autonome Staaten zu beschreiten. Zum Terrorismus äußerte sich Dr. Weizmann: „Terror verfälscht das Wesen des Zionismus. Er beleidigt unsere Geschichte, verspottet unsere Ideale, beschmutzt unsere Fahne, kompromittiert unser Appellieren an das Welt-gewissen.“ — Die bewaffnete Macht in der Hand der „Jewish Agency“ ist die „Fla-ganah“. Sie zählt ungefähr 70.00C Mann

od unterscheidet sich von den extremen

Terrorbanden durch eine gewisse Mäßigung, mindestens will sie die Führung der Gewalt nicht den anderen überlassen. Neben der „Haganah“ kämpfen in Palästina noch zwei weitere Organisationen der äußersten Rechten für die Aufrichtung eines Judenstaates Sie halten kompromißlos fest an einem ungeteilten Nur-Judenstaat für ganz Palästina und verfolgen ihr Ziel mit der Taktik eines radikalen Terrors. Es sind die „H a t z o-har“ mit einer eigenen Untergrundarmee von ungefähr 5000 Mann, der „I r g u n L e u m i“, sowie die „A g u d a t I s r a e 1“, der die bewaffnete Madit der berüchtigten, aber weniger gut sichtbaren Stern-Bande zur Verfügung steht. Sie dürfte einige hundert Mann stark sein.

In den nun sich vorbereitenden Entscheidungen wird es darauf ankommen, ob das konservative Element der Bewegung, die Kolonisten, die in ihren palästinensischen Siedlungen unbestritten bedeutende Leistungen hervorgebracht und dem Lande ein neues Gesicht gegeben haben, in der neuen Regierung sidi werden geltend madien können oder die Nur-Politiker und hinter ihnen die Terroristen. Von den ersteren sagt ein Schweizer Beobachter der Kongreßvorgänge im Zürcher „Weg“: „In der Diskussion hatte sich gezeigt, daß gerade die führenden Leute, die an Ort und Stelle den Druck der Mandatsverwaltung wie die Einschüchterungen des Terrors zu bestehen gehabt hatten, am nüchternsten und besonnensten für die Notwendigkeit der Einigung mit England eingetreten waren. Nach wie vor bildet die schlimmste Gefahr für die zionistische Bewegung der gesetzlose Gewaltglaube der Terrorfanatiker. Wenn aus den tüdnigen Trägern der praktischen Siedlerarbeit, die von jeher das moralische Recht des zionistischen Heimstättengedankens am wirksamsten zur Geltung gebracht hat, sich genügend Widerstandsenergie gegen diese uferlos nihilistische Einschüchterungspraxis sammelt, sollte sich schließlidi ein Weg der Verständigung mit England und dem Araberelement finden lassen.“

Man würde die stürmischen Erscheinungen des Zionismus nicht verstehen, wollte man sie nur nach der Mechanik des äußeren Geschehens beurteilen und dabei nidu auch die uralten Quellschachte der jüdisdien Gedankenwelt prüfen. Mit Recht sprechen die „Apologetischen Blätter“ von einer „geheimnisvollen Dynamik, einem gewissen Sendungsbewußtsein“, das vielgestaltig hoch im Judentum lebt. Seinen Ausdruck finde es zum Beispiel in Norbert Weldlers „Sieg des zionistischen Gedankens“. (Verlag det jüdischen Buchgemeinde Zürich.) Der Verfasser schreibt über die zionistische Bewegung: „Dieses Volk rafft 'sich aus tiefster Erniedrigung und Schmach auf, seine Flamme ist nicht erloschen, es will dort, woher es gekommen, ein weniger sorgenbedrängtes, weniger aufreibendes Dasein führen; jawohl, ganz wie andere Völker. ... Und doch ein Leben nicht genau wie andere Völker, weil ihm die Ermahnung, ein Volk von Priestern zu sein, laut in den Ohren klingt.“ (Seite 134.) Anders sieht diese Sendung Nachum Goldmann in seiner Schrift: „Um die jüdische Zukunft“, Genf 1943; er spricht von Juden, deren „fanatische Sehnsucht es ist, ihr Leben nicht den begrenzten Idealen einer jüdischen Wiedergeburt, sondern allgemein menschlichen Idealen und Zielen zu widmen“.

Von einem Sendungsbewußtsein, das die Ziele des Zionismus weit über die Grenzen des Judentums hinaus verweist, ihm Weltgestaltung zuweist, spricht mit einer begrüßenswerten Offenheit in einer kürzlich im Verlag „Die Gestaltung“, Zürich, erschienenen Sdirift Dr. David Farbstein:

Nach ihm ist der Zionismus das Auf-bredien einer messianischen Bewegung innerhalb des Judentums. Der Jude erwacht im Zionismus zu seiner großen Sendung, mitzuwirken am revolutionären Aufbau des angebrochenen Gottesreiches der sozialen Gerechtigkeit. Es sind dies Gedanken, wie sie vom religiösen Sozialismus vertreten werden. Farbstein spricht denn auch mit einem der größten Vertreter dieses religiösen Sozialismus, Prof. Ragaz („Apologet. Blätter“, Nr. 2, Jahrgang 46), der im Kampf um soziale Gerechtigkeit das A n-heben eines neuen messianischen Reiches sieht: „Auch durch das Judentum fließt von Israel, von dem einen lebendigen und heiligen Gott aus, der Strom des Reiches... Es kommt der jüdische Humanismus, das eigenartige und starke Eintreten der Vertreter des Juden-

tums für das Recht des Menschen (und das ist ja vor allem der Messianismus) in jeder Gestalt. Es kommt der stark vom Judentum getragene Sozialismus.“ So fällt denn dem Judentum, wie Nadium Goldmann in der Schrift „Um die jüdische Zukunft“ (Seite 74) sagt, die heilige Pflicht zu, „sich der Armee der fortsdirittlichcn und revolutionären Kräfte unserer Tage einzureihen“ und sich durdi seinen Zionismus einzusetzen

für die Verwirklichung jenes Paradieses,

„das nichts zu tun hat mit einer transzendentalen Welt, wie sie das Christentum und andere Religionen lehren, sondern in dieser Welt errichtet werden muß“ (Seite 75).

Wer tief in die Zeitgeschichte hineinhorcht, der weiß, daß diese Formulierung nicht hohle Phantastik ist, sondern sehr ernst zu nehmende Triebkräfte bloßlegt.

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