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David und Goliath 1967

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Hierauf fluchte der Philister dem David bei seinem Gott und rief dem David zu: „Komm her zu mir, damit ich dein Fleisch den Vögeln des Himmels und den wilden Tieren gebe!“ David aber erwiderte ihm: „Du trittst mir mit Schwert und Lanze und Spieß entgegen, ich aber trete dir entgegen im Namen des Herrn der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels, die du verhöhnt hast“. 1, Samuel 17

Der Krieg, der in den Morgenstunden des 5. Juni an den Grenzen des Staates Israel entbrannt ist, macht es einer Wochenzeitung schwer, „aktuell“ zu bleiben. Am Montag: Das allgemeine Entsetzen der Welt über den Ausbruch eines neuen bewaffneten Konfliktes und das Mitgefühl mit einem kleinen, in seiner Existenz bedrohten Volk. Am Dienstag: Die geglückte Sprengung des tödlichen Waffenringes, der bravouröse Vorstoß der israelischen Panzer tief hinein in jene Halbinsel, durch die einst Moses die Stämme Israels vor der Wut der Ägypter dem Gelobten Land entgegenfühnte. Zur selben Zeit ging der Davidstern über der Altstadt von Jerusalem hoch, während in Galiläa die „Wehrbauern“ der Kibbuzim die Syrer in Schach hielten. Heute: Die Nachricht, daß der Sicherheitsrat nach langen Verhandlungen hinter den Kulissen, sich auf den Beschluß, beide Parteien aufzufordern, das Feuer einzustellen, geeinigt hat, nachdem die Sowjetunion ihre ursprüngliche Bedingung „Rückkehr auf die Ausgangspositionen“, fallengelassen hatte. Der geringe Abstand der israelischen Panzer zum Suezkanal mag diesen Entschluß der UdSSR beschleunigt haben. Was wird in wenigen Stunden sein, wenn dieses Blatt durch die Rotationsmaschine läuft? Was morgen, was übermorgen, wenn unsere Leser die „Furche“ in Händen halten? Wir wollen hoffen, daß die Waffen dann bereits wieder schweigen, daß der Boden für eine echte Friedensordnung im Nahen Osten bereitet wird und sich nicht größere Konflikte anbahnen.

Nüchtern aber sei festgehalten: Wieder einmal hat David dem Goliath widerstanden. Schier hoffnungslos schien für „David“ diesmal die Situation. Hier zweieinhalb Millionen zwar militärisch gut trainierter und von dem Bewußtsein, daß es um Existenz oder Tod ihres Volkes ging, erfüllter Israeli, aber in einer geographischen Lage, die manchem Strategen das Wort „hoffnungslos“ aufdrängte. Dort die arabischen Staaten um die Vormacht Ägypten gruppiert mit einem, zumindest nach der Papierform, überragenden Potential an Menschen und Maiterial, die überdies zehn Jahre Zeit hatten, ihre Fehler und Versäumnisse von 1956 zu korrigieren. Fanatisierte und aufgehetzte Menschen, denen die Öhren mit Schlagworten vom „heiligen Krieg“ betört, deren Köpfe durch Rache-und Haßparolen benebelt waren, während sich die Arsenale der Herrscher mit den neuesten Panzern, Flugzeugen und automatischen Waffen füllten. Und dennoch...

Hier drängt sich gleich die Frage auf, wer wirklich mit dem Sohieß-krieg begonnen hat Wie so oft in der Weltgeschichte, steht Aussage gegen Aussage. Wir maßen uns nicht an, klipp und klar festzustellen, welcher Kanonier in den Morgenstunden des Montags im Negev den ersten Schuß löste, wohl aber möchten wir erinnern, wer es war, der die UNO-Friedensmacht zum Abzug zwang. Es war Nasser. Und es war derselbe Nasser, der im großen Worten zur Treibjagd gegen Israel blies. „Es brennt uns unter den Füßen und wir warten auf diesen Krieg, um uns für 1956 zu rächen.“ So noch am 4. Juni.

Das ist die Sprache der Aggression. Gerade wir in Mitteleuropa lebenden Menschen — konkret wir Österreicher — kennen sie hoch, haben sie noch zu lebhaft in Erinnerung. Dagegen stehen die ruhigen Worte, mit denen General Dayan den schweren Gang seiner Soldaten begleitete: „Wir haben keine Eroberungspläne, unser einziges Ziel ist es, den Versuch der arabischen Armeen zu vereiteln, unser Land zu erobern und den Würgekrieg der Blockade wie der Aggression zu brechen.“

Goliaths Streich ging wieder einmal daneben. David wurde nicht ausradiert, nicht ins Meer geworfen, nicht physisch liquidiert, wie es ihm hundertmal angedroht worden war. Aber Goliath, nun schon wieder statt Kraftsprüche Klagelaute, Beschuldigungen und Verdächtigungen ausstoßend, und David leben weiter auf derselben Erde, auf der neues Blut geflossen ist, in engster Nachbarschaft. Muß alle zehn Jahre wiederkehren, was wir in diesen drei Tagen erlebt haben?

Und hier beginnt eindeutig die Verantwortung der „Großen“. Die Neutralität der Vereinigten Staaten, über die so mancher vielleicht zunächst den Kopf geschüttelt haben mag, war das einzig Vernünftige. Sie erleichterte es der Sowjetunion, ihre moralischen Verpflichtungen, die aus ihrer jahrelangen Protektorenrolle gegen das Ägypten Nassers abgeleitet hätten werden können, zurückzustellen. Wer in diesen Tagen mit Kommunisten, darunter auch mit Diplomaten volksdemokratischer Länder, gesprochen hat, bekam zumeist nach der offiziellen eine persönliche Meinung angeboten. Unnütz zu betonen, daß letztere der ersteren oft sehr entgegengesetzt war. Die Gewissen waren erwacht. Das zeigte nicht zuletzt die Diskussion in der KPÖ. So mancher ihrer Repräsentanten ließ sich nicht abhalten, mit seinem Namen für die Existenz und das Lebensrecht Israels einzutreten.

Der Sicherheitsrat hat gesprochen. Die Waffen nieder! Aber nicht ein fauler Kompromiß, ein Waffenstillstand, der nur zum Gewehrreinigen benützt wird, darf das Ergebnis sein. Friede heißt auf hebräisch Schalom. Die Araber sagen Salam. Sind diese Worte wirklich so verschieden?

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