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De Gaulles gewandeltes Erbe

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Dreißig Jahre ist es her, daß ein unbekannter Offizier in letzter Minute zum Unterstaatssekretär im Kriegsministerium ernannt, ein Spezialist für Panzerstrategie, am 18. Juni 1940 von London aus seinen flammenden Aufruf verlas: Frankreich habe wohl eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren. Dieser Tag wird von den Traditionsverbänden der Widerstandsbewegung als der Beginn einer heroischen Zeit beurteilt. Der Marsch von London über Afrika bis Berchtesgaden, die Erinnerung an die Marschälle Leclerc, de Lattre de Tassigny, der Heldentod tausender Widerstandskämpfer, finden ihre Bestätigung in der glorreichen Geschichte des Befreiers: General de Gaulle.

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Dreißig Jahre ist es her, daß ein unbekannter Offizier in letzter Minute zum Unterstaatssekretär im Kriegsministerium ernannt, ein Spezialist für Panzerstrategie, am 18. Juni 1940 von London aus seinen flammenden Aufruf verlas: Frankreich habe wohl eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren. Dieser Tag wird von den Traditionsverbänden der Widerstandsbewegung als der Beginn einer heroischen Zeit beurteilt. Der Marsch von London über Afrika bis Berchtesgaden, die Erinnerung an die Marschälle Leclerc, de Lattre de Tassigny, der Heldentod tausender Widerstandskämpfer, finden ihre Bestätigung in der glorreichen Geschichte des Befreiers: General de Gaulle.

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Dieser 30. Jahrestag sollte heuer besonders feierlich begangen werden. Die Gaullisten rechneten mit dem öffentlichen Erscheinen ihres Chefs, um der heranwachsenden Jugend ein nationales Manifest und die politischen Leitgedanken zu überliefern, die seit 1940 zwei Generationen beschäftigten.

Aber General de Gaulle enttäuschte seine Anhänger. Er stattete dem spanischen Staatschef, General Franco, einen Besuch ab, dem Überlebenden der faschistischen Ära, der dank der Hilfe Hitlers und Mussolinis den Bürgerkrieg siegreich beenden konnte und das von französischen Wiederstands- und Linkskreisen trotz seiner bisherigen Wandlungen verurteilte Regime begründete. Die Begegnung der beiden alten Herren in Madrid beendete symbolisch eine Epoche der europäischen Geschichte. Der Herold des europäischen Widerstandes und der letzte Repräsentant der faschistischen Zeit reichten einander freundschaftlich die Hand. Wird durch diese Geste die endgültige Aussöhnung zwischen Gaullisten und Petainisten in Frankreich gefördert werden?

General de Gaulle hat wieder einmal anders gehandelt, als es seine Freunde und Feinde erwarteten. Wieder forderte er den Spruch der Geschichte heraus, bestätigte aber den Grundsatz seines außenpolitischen Konzepts, das von Pompidow-Chaban-Delmais eingehalen wird: als Grundlage jeder internationalen Beziehung ist die Nation anzusehen, die allein ihr Regime wählt und es bestätigt. Nicht umsonst haben die französischen Unterhändler die griechischen Obersten international unterstützt und betrachteten die skandinavisch-holländischen Initiativen bezüglich einer Verurteilung der Athener Regierung mit Unbehagen. Paris unterhält vorzügliche Beziehungen zur Südafrikanischen Union, liefert an diesen Staat der Rassentrennung modernste Waffen und Industrieausrüstungen und empfängt den Ministerpräsidenten Südafrikas ohne Schwierigkeiten. Sozialisten und Kommunisten murren zwar, doch die Fünfte Republik hat Sala-zar ebenso respektiert wie Franco, verbündete sich mit südamerikanischen Diktaturen und nahm die Underdrückung der Menschenrechte In der Sowjetunion und in den sozialistischen Staaten zur Kenntnis. Mögen seine Nachfolger das gaullistische Konzept vielfach weiterentwickelt und innenpolitische Konzessionen vorbereitet, ja die planetare Politik des Generals auf europäische Dimensionen zurückgeführt haben — es bleibt manches vom außenpolitischen Erbe des Generals übrig. „Mein Feld“ ist diesmal Europa. Die Reden in Kanada und Phnom-Penh gehören zum Arsenal der französischen Diplomatie, bei internationalen Konferenzen oder Staatsbesuchen mehr oder weniger diskret hervorgeholt, werden aber von den neuen Herren des Quai d'Orsays kaum ernst genommen.

Die weltpolitischen Aspirationen Frankreichs gehören der Geschichte an. Politiker wie Steuerzahler wissen, daß der Staat lediglich eine begrenzte außenpolitische Bewegungsfreiheit beanspruchen kann. Dies zeigte sich am besten in den Kommentaren nach dem Besuch des russischen Außenministers Gromyko Anfang Juni in Paris. Es war General de Gaulle, der seine Aversion gegenüber den USA in einer Verstärkung eines Bündnisses mit der Sowjetunion bekräftigen wollte und ein Europa vom Atlantik bis zum Ural pries. Er glaubte damals, in der Sowjetunion eine Entwicklung zu einem liberalen System zu erkennen, eine Hinwendung Rußlands nach Europa, um sich den Rücken gegenüber China freizuhalten. Die gaullistische Politik versuchte darüber hinaus einen Dialog zwischen der Bundesrepublik und den sozialistischen Staaten sowie der Sowjetunion einzuleiten, diese Gespräche zu kontrollieren und zu beeinflussen. Nun steht Paris nach der Initiative des deutschen sozialistischen Bundeskanzlers nur noch das Recht zu, die Bonner Schritte gutzuheißen, sich informieren zu lassen — was die Deutschen gerne tun, die sowjetischen Vertreter meistens versäumen — und den weiteren Gang der Verhandlungen den Bonner und Moskauer Diplomaten anzuvertrauen. Die Franzosen träumen von einer neuerlichen Genfer Indochina-konferenz und heben die Notwendigkeit einer Konzertierung der vier Weltmächte hervor, um die Nahostkrise zu entschärfen. Die Sowjetunion denkt nicht daran, über Höflichkeitsfloskeln hinaus die Pariser Pläne zu billigen. Für Moskau ist der direkte Kontakt mit Bonn und Washington wichtiger als der Umweg über Paris.

Selbst der Anspruch Frankreichs, im Mittelmeerraum eine privilegierte Rolle zu spielen, stößt auf den versteiften Widerstand der Sowjetunion.

Im Gegensatz zu den gaullistischen Traditionen haben Staatspräsident Pompidou und sein Regierungschef, ausdrücklich befürwortet von Fi-nanzminister Giscard d'Estaing und seiner Partei, ihr Augenmerk auf die Lösung europäischer Probleme gerichtet. Paris hat nach monatelangem Abwarten den angestammten Sitz in der westeuropäischen Union eingenommen und favorisiert die Schaffung einer europäischen Währung bis zum Jahre 1980. Der Geist von Den Haag ist unter den französischen Staatsmännern durchaus lebendig und wird durch die massive Zustimmung der öffentlichen Meinung getragen, die bis zu 70 Prozent einen europäischen Bundesstaat fordert. Giscard d'Estaing und seine „unabhängigen Republikaner“ haben die Bildung einer politischen europäischen Einheit in den nächsten zehn Jahren projektiert. Die politische Nachfolgegeneration der Fünften Republik hat sich von der weltpolitischen Haltung de Gaulles abgewendet und tritt als Motor der europäischen Einigung auf, wie dies zu den glorreichen Zeiten Robert Schumans üblich war und von den europäischen Partnern erwartet wurde.

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