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De Gaulles „Non“

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Mit etwas Abstand zur großen Pressekonferenz des französischein Staatschefs _ beginnt man in der französischen Öffentlichkeit — nach anfänglichen summarischen Urteilen — die angesprochenen Probleme zu analysieren und ihre Hintergründe zu erforschen. Man ist sich darüber einig, daß der verbindliche Ton gegenüber Washington die einzige Überraschung der Konferenz gewesen sei: Sei doch der Hinweis auf die traditionelle fran-lösisch-amerikarMsche Freundschaft ein

D unübersehbares Symptom dafür, daß de Gaulle den Bogen nicht überspannen wolle — in voller Erkenntnis der Gefahr einer noch weiteren politischen und psychologischen Isolierung Frankreichs.

Keine Überraschungen

Dadurch, daß er die heftigen amerikanischen Presseangriffe gegen Frankreich und vor allem gegen seine Person auf die leichte Schulter nahm, bewies er fraglos diplomatisches Fingerspitzengefühl und seine Fähigkeit, in entscheidenden Augenblicken Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Dies ist um so beachtlicher, als er, im Hinblick auf die in weiten französischen Kreisen herrschende böse Stimmung gegenüber den USA, bei den Massen Beifall und Anerkennung gefunden hätte, wenn er den Verbündeten jenseits des Atlantik schonungslos apostrophiert hätte. Seine Mäßigung widerlegte schließlich diejenigen, die sich, im In- und Ausland, ein Klischeebild vom General gemacht haben, nach dem er auf echte und vermeintliche Demütigungen grundsätzlich mit Ressentiments und Un-versöhnlichkeit reagiere.

Im übrigen machte man sich bereits in den Tagen vor der Konferenz des Staatspräsidenten keine Illusionen darüber, daß Frankreich dem in Moskau abgeschlossenen Versuchsstopp-Abkommen nicht beitreten werde, daß es „nein“ zur Idee eines Nichtangriffspaktes zwischen der NATO und den im Warschauer Pakt zusammengeschlossenen Ostblockmächten sagen und daß es mit seinem Großmaoht-anspruch als nicht vereinbar erachtet werde, Sicherheitsvereinbarungen beizustimmen, die über den Kopf de Gaulles etwa geschlossen werden sollten. Alle diese Punkte wurden schon lange vor ihrer feierlichen Verkündigung im Elysee von „Auguren“ erörtert, deren enge Kontakte zu amtlichen Informationsquellen allseits bekannt sind. Wer ihre Berichte aufmerksam las, konnte sich in dieser mitleidslosen Hitze den Gang zum Staatspräsidenten ersparen.

Dem geschickten Spiel der konkreten Prophezeiungen folgt nun das der Erläuterungen dessen, was de Gaulle „zwischen den Zeilen“ andeutete oder verschwieg. Der Chronist tut gut daran, sich auch hier an die bewährten Auguren zu halten, soweit der pragmatischen Berichterstattung gegenüber unverbindlichen Hypothesen der Vorzug gegeben wird. Freilich wäre dem vorauszuschicken, daß gewisse Evolutionen des Generals auf den wachsenden Druck und zunehmende Kritik aus den eigenen Reihen zurückzuführen sind. So sagte uns in diesen Tagen ein bekannter, nicht zur Opposition gehörender Politiker: „Der General weiß recht gut — und die Erfahrung bestätigt es ihm —, daß er die Rolle des Demagogen nicht unentwegt spielen kann. Unser Volk ist von Natur viel zu kritisch veranlagt, als daß es auf die Dauer passiv verharren könnte, wenn sich de Gaulle omnipotent als Verkörperung des Volkswillens bezeichnet. Würde man heute ein Referendum veranstalten, so würde sich die Mehrheit des französischen Volkes zur europäischen Integration und nicht zum Europa der Vaterländer bekennen ...“

Abkehr vom „Europa der Vaterländer“?

Es wäre verfrüht, wollte man eine Abkehr de Gaulles vorn Europa der Vaterländer feststellen. Aber es gibt doch nicht wenige Hinweise darauf, daß er innerlich der Integrationsidee viel aufgeschlossener ist. als dies noch vor zwei Jahren der Fall war. Diese europäische Vision ist ein kontinentaler Block, der den USA gegenüber volle Unabhängigkeit bewahrt und dem sich diia Briten — in seinen Augen ein zweitrangiger Satellit Amerikas — bei Wohlverhalten assoziieren könnten. Die Hauptstadt dieses Europa wäre natürlich Paris. Die Führung des Kontinents bis zum Eisernen Vorhang läge in französischen Händen.

Selbstverständlich bleibt das erste Ziel de Gaulles die faktische Wiederherstellung der Großmacht Frankreich. Aber solange die Erreichung dieses Ziels, dem die „Force de frappe“ (die nur langsam Gestalt gewinnende französische Abscbreckungswaffe) unter anderem zu dienen hat, in eine ferne Zukunft weist, liegt dem General in entscheidendem Ausmaß daran, wenigstens in juristischer und gesellschaftlicher Hinsieht von den übrigen „Großen“ als Weltmacht anerkannt und behandelt zu werden. Die sich außerhalb Frankreichs abspielende Weltpolitik ist für ihn im wesentlichen nur Vorwand und Hintergrund zum Manövrieren und Taktieren. Er versäumt keine Gelegenheit, um an die Existenz Frankreichs zu erinnern, und scheut nicht davor zurück, bewußt als Störenfried und Opponent aufzutreten. Er will dahin kommen, die herrschenden Mächte — also Russen und Angelsachsen — erkennen zu lassen, daß es keine Außenpolitik ohne Mitwirkung Frankreichs geben kann.

Wie standfest ist Chruschtschow?

Das Moskauer Abkommen, das de Gaulle eine dankbare Gelegenheit bot, Frankreichs Eigenexistenz und Entscheidungsfreiheit zu demonstrieren, wird aber von ihm nicht nur wegen der „Entscheidung über seinen Kopf hinweg“ mit großer Skepsis beurteilt, sondern auch deshalb, weil er offensichtlich wenig Vertrauen zur persönliche Autorität Chruschtschows hat. Der Publizist Jacques Garai schreibt einige bemerkenswerte Präzisionen dazu. Vor allem weist er darauf hin, daß der unter chinesischer Pression und wirtschaftlichen Imperativen zustande gekommene atomare Versuchsstopp wenig Gegenliebe in führenden sowjetischen Armeekreisen findet. Die Marschälle der Sowjetunion machen nicht einmal den Versuch, ihre Ablehnung gegenüber dem neuen Honigmond zwischen Moskau und Washington zu verbergen. Als symptomatisch wird die kürzliche Rede des Admirals Iwan Isakow anläßlich des Tages der sowjetischen Marine bezeichnet, in der die „kriegerischen Doktrinen des imperialistischen Lagers“ wie eh und je immer wieder zur Sprache gebracht wurden.

Vorsichtig und nicht pessimistisch

De Gaulle hat sich bei seiner Pressekonferenz bekanntlich nicht gerade pessimistisch, aber doch äußerst vorsichtig über die Auswirkungen des sowjetisch-amerikanisch-britischen Abkommens ausgedrückt. Ohne sich in die in Paris angestellten Spekulationen zu verlieren — man streitet darüber, ob die Sowjets nur eine Entspannung der Atmosphäre zur Verhinderung eines bewaffneten Konfliktes suchten, oder ob sie sich das höhere Ziel gesteckt haben, etappenweise zu einer Regelung der wichtigsten ost-west-lichen Streitfragen zu kommen —, ging der französische Staatschef von der Überlegung aus, daß das amerikanisch-sowjetische Verhandlungsgebiet stark zusammengeschrumpft sei. In Fernost wird der sowjetische Einfluß durch Chinas Aktivität stark eingeschränkt. Und was den „heißen Punkt“ Berlin betrifft, so erscheint es de Gaulle unvorstellbar, daß sich die Amerikaner auf Verhandlungen einlassen könnten, die das Ziel einer langsamen aber steten „Einfrierung“ des Status quo hätten.

„Pour le momcnt“

Der „Augur“ und Interpret der Überlegungen de Gaulles im „Nouveau Candide“ stellt fest: „Jedes Abkommen, das nur den Schein hätte, die deutsche Teilung zu sanktionieren, würde alle Deutschen der Bundesrepublik de Gaulle zutreiben.“ Deshalb liege eines der Hauptgewichte seiner Pariser Pressekonferenz in der Erklärung, daß Frankreich zur Zeit („pour le momemt“) nicht bereit sei, jedweder Kombination, die ohne sein Zutun bezüglich Europas — und vor allem Deutschlands — realisiert würde, eine Zustimmung zu erteilen. „So stellte er sich als Verteidiger der Interessen der Bonner Republik den Amerikanern entgegen“, schreibt Jacques Garai, „indem er seine Befürchtungen noch durch den Hinweis auf jene .beklagenswerte Konferenz von Jalta', wo Stalin und Roosevelt Europa zerschnitten, besonders betonte.“ Und hier — so meint man in Paris — liege der eigentliche Trumpf des Generals: In dem Augenblick, in dem sich Sowjets und Amerikaner nach einem siebzehnjährigen kalten Krieg auf eine Verständigung einstellten, würden sie dessen gewahr, daß sie nicht mehr die alleinigen Herren für die Lösung ihrer Probleme seien. Fraglos wollte der französische Staatsohef die Dinge etwas forcieren, indem er die Großmächte zum Studium der „französischen Lösung“ der Abrüstung noch in diesem Jahr nach Paris einlud.

Die gaullistische Presse sieht in dieser Einladung und im Abrüstungsplan de Gaulles den Anbruch eines neuen Zeitalters. Die „kalte Nachkriegszeit“, die in diesem Sommer beginne, sei ebenso reich an Hoffnungen wie an Ungewißheiten. An die Stelle der alten Konflikte, die langsam verlöschten, würden neue treten, — zwischen den Großen, die das dualistische Schema der Vergangenheit erhalten möchten, und den weniger Großen, die ihren Platz an der Sonne des Friedens beanspruchten. So drückt sich ..Candide“ aus und zeigt damit plastisch auf, daß sich unter dem Druck höherer Gewalten wohl ein Gleichgewicht der Kräfte und eine friedliche Koexistenz realisieren läßt, niemals aber eine Befriedigung aller Ambitionen. Das ist menschlich und nicht allein die Tragik unserer Zeit.

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