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De Gaulles „Tour de Pologne“

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Was hat de Gaulle in Polen erreicht? Wahrscheinlich weniger als er sich selbst wünschen mochte, aber mehr als er vielleicht selbst weiß. Sein Versuch, die festgefahrene polnische Westpolitik aufzulockern, sie in Bewegung zu setzen, mußte schon deshalb auf Barrieren stoßen, weil die deutsche Bundesrepublik, deren Haltung den Polen am wichtigsten in Westeuropa ist, dem General nichts auf die Reise mitgegeben hatte, was das polnische Mißtrauen besänftigen konnte. Noch am 3; September, drei Tage vor de Gaulles Reise, wiederholte der Bonner Ver-triebenen^Minister von Hassel die ebenso irreführende wie fatale Formel von einem möglichen Ausgleich zwischen einem „freien Polen und einem vereinigten freien Deutschland“, der das „Recht auf Heimat“ verwirklichen, die Oder-Neiße-Grenze revidieren soll.

Das Bewußtsein, ohne ein Sicherheitsangebot seines deutschen Verbündeten am Rhein nach Polen gekommen zu sein, veranlaßte de Gaulle zur „Flucht nach vorn“. In einer Eskalation von Worten ver-

suchte er die Polen zu überzeugen, daß die Grenzfrage doch keine Frage mehr ist und daß sie eben deshalb freiere Hand hätten als sie meinen. Aber de Gaulle jagte nicht dem Phantom eines „freien Polen“ nach, er akzeptierte nicht nur seine kommunistischen Gastgeber als Pariner,

er tat auch alles, um gerade ihnen das Gefühl der Souveränität einzuflößen. Er spürte, daß sie von der Selbstsicherheit, wie sie den sowjetischen Führern ein halbes Jahrhundert nach der Oktoberrevolution eigen ist, weiter entfernt sind, als es ihrer — in 22jähriger Gewöhnung entstandenen — tatsächlichen innenpolitischen Position entspricht. Er sah sie unter ihrem deutschen Alptraum, den sie mit der Nation teilen, halb ächzend und halb schlummernd — unlustig, selbst den winzigsten Bewegungsspielraum zu nutzen, der ihnen zwischen übermächtigen Nachbarn bleibt. Er setzte den Stachel an, weckte das Denken — und das wird für die fernere Zukunft nicht ohne Wirkung bleiben.

Romantik und Räson

Arglos schwenkte ein junger Mann das Plakat „Es lebe die DDR“ ehe er die ausgestreckte Rechte General de Gaulles ergriff, der eben auf dem Warschauer Flugplatz gelandet und sogleich zum Bravourritt über die Hürden eines schwer übersichtlichen politischen Geländes gestartet war.

So war schon vom ersten Augenblick an der Punkt gekennzeichnet, an dem die reiche Skala politischer Romantik, deren sich der General bedient, auf die harte Räson der Polen stieß. Schon wenige Stunden später, beim Empfang des polnischen Staatsrats, machte Ed/ward Ochab

deutlich, worauf es Polen vor allem ankommt: Vorbedingung der Entspannung sei Anerkennung der Grenzen und „der Tatsachen, die sich aus der Wirklichkeit Deutschlands ergeben“. Da mochte der General, der mit Nachsicht auf das vorbereitete Manuskript seines Gastgebers blickte, noch so frei und mit weit geöffneten Armen zur großen Tischrede ansetzen, zur philosophischen Beschwörung, nichts sei in einer bedrohten Welt ein für allemal gegeben, es gelte, „mythische und überalterte Reste von Mißtrauen zu überwinden“ — die Polen hielten sich zunächst an das Konkrete: Sie hörten, daß de Gaulle die Entspannung an keine Bedingung knüpfen will, daß er Verständigung und Zusammenarbeit nicht wie sie an die erste, sondern an die zweite Stelle setzen will und dann erst „eine vereinbarte Lösung des deutschen Problems“ und dadurch eine „Vereinigung des Kontinents wie es sie noch niemals gab“.

Aber verblaßte nicht solche Meinungsverschiedenheit über die Reihenfolge neben dem großen Ereignis,

daß de Gaulle schon an diesem ersten Abend — klarer denn je — Polen „in den Grenzen, die bestehen und seine Grenzen bleiben müssen“ bestätigte?

Schon am zweiten Tag mußte der französische Präsident erkennen, daß sein Oder-Neiße-Instrumeni awar als rühmliche Kostbarkeit in Empfang genommen wurde, aber auch als politische Selbstverständlichkeit, die aus französischem Munde allein keine Zauberkraft entwickeln würde.

In dieser Lage entschloß sich der General nicht nur die Grenzkarte auszuspielen, sondern alle Register seiner Beredsamkeit, seiner Suggestion zur „Grandeur“, zu ziehen. Das begann schon am 7. September, als er Ochabs Hinweis auf Polens Tragödien mit dem trockenen Hinweis quittierte, Frankreich habe stets Polens Existenz gewollt, „was man von anderen nicht sagen kann“. Polen sei doch eine „Nation ersten Ranges“, sei populär, stark und mächtig; man könne gute Beziehungen zu Washington, Moskau, Peking, Kairo und Tel Aviv haben, wenn man nur souverän genug sei.

Von Krakau nach Danzig

Schon in Krakau begann de Gaulle solche Selbstsicherheit vorzuführen, indem er nach allen Seiten mit großen Gesten zu agierte. Da pries er im Stahlwalzwerk von Nowa-Huta das industrielle Potential des Landes, da trat er in der Krakauer Wawel-Kathedrale gemeinsam mit Polens kommunistischem Staats. Oberhaupt ans blumengeschmückte Grab Marschall Pilsudskis, des antikommunistischen Autokraten der polnischen Vorkriegsrepublik, und bekreuzigte sich: „Ich habe ihn gekannt.“ Da antwortete er respektvoll, doch kühl, auf Kardinal Wyszynskis Brief, der Frankreich als „Symbol der Freiheit“ und den Besuch de Gaulles als „Zeichen der Hoffnung auf Gerechtigkeit“ begrüßte. Und selbst in Auschwitz, wo angesichts des Unsagbaren die Feder versagen will, wußte de Gaulle ein Wort niederzuschreiben, das die vordergründigen Nutzanwendungen hinter sich läßt: „Welche Trauer, welcher Abscheu und dennoch welche menschliche Hoffnung!“

Im oberschlesischen Industrierevier, wo ein Fahnenmeer und ein Spalier von buchstäblich Millionen begeisterter Polen begann, wo der pragmatische Parteichef Gierek regiert, der 25 seiner 54 Lebensjahre in Frankreich und Belgien verbrachte und den viele für den kommenden Mann halten — hier begegnete Charles de Gaulle der Zukunft zwischen Hochöfen, Fabriken und Kinderscharen. Und hier versuchte er in den Technokraten und den jüngeren Funktionären ein neues Selbstbewußtsein zu wecken. „Ich sah den Ort, wo einmal deutsches, österreichisches und russisches Gebiet zusammentrafen — jetzt seid ihr unabhängig!“ rief er ihnen in Katto-witz zu.

In der Volkshalle von Zabrze dann, in jener Stadt, die man in der Zwischenkriegszeit in „Hindenburg“ umbenannt hatte, ließ sich der General zur einzigen nicht ganz gelungenen Äußerung seiner Reise hinreißen: die Stadt sei die schlesischste aller schlesischen und polnischste aller polnischen Städte. Er dachte dabei gewiß nicht an Historie, nicht an völkische Wortklauber beider Seiten, sondern an die gegenwärtige Wirklichkeit, die ihm fast körperlich greifbar geworden war und die noch einmal auf ihn einstürmte, als Zehntausende vor der Halle spontan die polnische Hymne anstimmten.

Von diesem Augenblick an, der ihm manchen Ärger mit Bonn eintrug, wußte de Gaulle, daß seine Reise keinesfalls vergebens sein werde. Deshalb schmiedete er sein heißes Eisen weiter in Danzig. Hier rühmte er nicht nur den polnischen Wiederaufbau des alten Danzig, „das ganz Europa zur Ehre gereichte“, er sprach von der „neuen Berufung“ Polens zur Größe und beschwor in einem Trinkspruch seine Gastgeber: „Frankreich ist nicht dazu berufen, Polen Ratschläge zu erteilen, aber weil es Euch hoch schätzt, freut sich Frankreich einer neuen Berufung. Es hofft, es erwartet, daß Ihr fortan eine wenig weiterblicken werdet, in größerer Sicht, als Ihr bisher gezwungen wart, dann werdet Ihr die Widerstände überwinden, die heute unüberwindbar scheinen. Wir werden die Hindernisse überwinden, weil es die Zukunft so verlangt.“ Und leiser fügte de Gaulle hinzu: „Sie alle verstehen, was ich meine.“ Die polnische Presse verschwieg diesen Zusatz am nächsten Tag...

Gomulkas Antwort

Hinter den fast mystische Beschwörungen des Generals steckte indessen etwas sehr Handgreifliches: die Kenntnis der Rede, die Polens Parteichef Gomulka am Montag im Warschauer Sejm yor

de Gaulle halten wollte. Den Text hatte der General bereits am Sonntag erhalten.

Der General hat es fertiggebracht, daß zum erstenmal seit Jahren das politische Leben Polens aus dem Rhythmus seiner gleichbleibenden Formeln gebracht war, daß westlich« Journalisten und Diplomaten mit Fragen bestürmt, mit Zweifeln und Hoffnungen konfrontiert wurden, Selbst Gomulka fand Worte, die noch

lange nachwirken werden. Es war keine „kalte Dusche“ für den General, wie manche französischen Beobachter meinten, die viel Eleganteres gewöhnt sein mögen. Gomulka, dem man seit dem ersten Tag angesehen hatte, wie ihn die Gestalt de Gaulles faszinierte, ja entkrampfte, versuchte sich im Stil dem General anzupassen, in der Sache entgegenzukommen, soweit es die Staats- und Partairäson nur zuließ.

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