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Def „5-Kreuzer-Minister”

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Ein Datum verdiente in Marmor und Goldbuchstaben an der Mauer unseres Sozialministeriums am Stubenring in Wien verewigt zu werden: es ist der 9. Mai 1 8 4 8. An diesem Tag wurde das erste — und vorläufig noch immer letzte — Arbeitsministerium gegründet. Wenn man Sozialminister P r o k s c h heute fragt, was sein sehnlichster Herzenswunsch sei, dann sagt er: „Die Umwandlung meines Ministeriums in ein Arbeitsministerium.” Der Arbeitsminister, der in jenen Sturmtagen von 1848 in dieses Amt eingesetzt wurde, hieß Ernst von Schwärzer, war von Beruf Herausgeber der demokratisch gesinnten „Allgemeinen Österreichischen Zeitung”, und außerdem Abgeordneter des achten Wiener Wahlbezirks (Gumpendorf, Magdale- nengrund, Windmühle) in das erste einigermaßen demokratisch gewählte Parlament. Das Arbeitsministerium, das eigentlich nur ein Ministerium für öffentliche Arbeiten war und diesen Titel auch offiziell trug, war vor allem gegründet worden, um durch Vergebung öffentlicher Arbeiten, wie Straßenbau usw. der fürchterlichen Not unter der Arbeiterschaft abzuhelfen. Zu dieser Not, die vor allem in Massenarbeitslosigkeit bestand, war es durch die Zuwanderung tausender Menschen aus den böhmischen Elendsgebieten, zuletzt aber durch die politischen Ereignisse von 1848 selbst gekommen. Es besteht kein Zweifel, daß die Gründung des Ministeriums vor allem durch die Angst der Herrschenden vor den verzweifelten Arbeitermassen, die im März 1848 Maschinen zerstört und Fabriken in Brand gesteckt hatten, veranlaßt worden war. Dennoch hat Schwarzer seine Aufgabe ernst genommen, obwohl ihm nur ungenügende Mittel zur Verfügung gestellt waren, was ihm bei den erbitterten Arbeitern den Spitznamen „5-Kreuzer-Ministcr” eintrug. Wie ehrlich er es gemeint hatte, geht aus dem teilweise hier abgebildeten alten Akt hervor. Darin schlug Schwarzer dem Handelsministerium und anderen Behörden vor, daß ein ausschließlich Arbeiterangelegenheiten gewidmetes Organ gegründet werde, das unter anderem die Funktionen einer allgemeinen Arbeitsvermittlung ausüben sollte.

Sowohl davon wie von den anderen, wenigen sozialpolitischen Errungenschaften des Jahres 1848 für die Arbeiter — zum Beispiel des Zehn-Stun- den-Arbeitstages — blieb nach dem Zusammenbruch der Revolution nichts übrig. Ein aus Kaiser Josephs II. Zeit stammendes und 1842 erneuertes Kinderschutzgesetz war vier Jahrzehnte lang die einzige Maßnahme des Arbeiterschutzes, die nach 1848 erhalten blieb.

Der liberale Rückschlag

War die Revolution, 1848, weder auf politischem noch sozialpolitischem Gebiet erfolgreich gewesen, so brachte sie dennoch eine neue Epoche für die Bauernschaft (Befreiung von Zehent und Frondienst und freies Eigentümer- tum auf freiem Boden) und Gewerbefreiheit (durch die 1859 vom Freiherrn von Bruck eingeführte „Gewerbeordnung” für die Gewerbetreibenden). Den Arbeitnehmern brachte dieses Gesetz nichts, weil darin das liberalistische Prinzip der Vertragsfreiheit vertreten wurde, in welcher der sozial Schwächere den Kürzeren ziehen muß.

Nahezu jede Art von Selbsthilfe — mit Ausnahme von wenigen Sterbekassen und Hilfsfonds in gewissen Branchen — war den Arbeitern verwehrt, weil man befürchtete, daß sie sie zu politischen Zwecken mißbrauchen könnten. Erst nach 1867, als mit dem Staatsgrundgesetz den Staatsbürgern die großen Grund- und Freiheitsrechte eingeräumt wurden, entstanden die Voraussetzungen für das 1870 verwirklichte Koalitionsrecht, auf dessen Grundlage sich die Arbeiter schließlich eine ansehnliche Zahl freiwilliger Kranken- und Unterstützungskassen, Bildüngsvereine und Gewerkschaften schaffen konnten. Vom Staat her geschah wenig und nicht nur, weil das Prinzip des „Laisser faire” in der Regierung vorherrschte. Die liberale Ära von 1867 bis 1879 war voll von Diskussionen, Theorien und Vorschlägen, insbesondere solcher Linksradikaler wie Doktor Rosners, Dr. Schäffle, Dr. Kolmer und jener akademischen Lehrer, die unter dem Spitznamen „Kathedersozialisten” 1872 in Eisenach den „Verein für Sozialpolitik” gründeten, und dem an Österreichern vor allem Lorenz Stein, Anton Menger und Eugen Phillipovich angehörten. Es gab praktisch keine sozialpolitische Maßnahme, die in der darauffolgenden Ära verwirklicht worden ist, die nicht vordem in der liberalen Ära in der einen oder anderen Form proponiert worden wäre. Dennoch kam nichts dabei heraus. Man hat den Eindruck, daß die Deutschliberalen (abgesehen vom Machtkampf mit den anderen Nationalitäten und den Konservativen) aus lauter Angst vor der neuauftretenden Marxschen I. Internationale und unter dem Eindruck der Ereignisse der Pariser Kommune nicht dazukamen, zu verwirklichen, was ihre besten Leute entworfen hatten.

Es hat des konservativen Regimes des Grafen Taaffe bedurft, um Österreich — wie es Ludwig Brügel, der Geschichtsschreiber der sozialdemokratischen Partei, aussprach — „die Inangriffnahme einer werktätigen sozialen Fürsorge für die arbeitenden Klassen und die Schaffung von heute eingelebten und unentbehrlich gewordenen sozialen Institutionen zu bringen”.

Freilich hatte der geschmeidige Taktiker und Opportunist Taaffe eine Reihe beachtsamer und vor Idealismus glühender christlicher Theoretiker und Sczialreformer hinter sich, die ihn mit einem umfassenden Programm versorgten. An ihrer Spitze standen die dem protestantischen Zentralismus Bismarcks untreu gewordenen beiden Konvertiten zum österreichischen Katholizismus, Baron von Vogelsang und Rudolf Mayer, die in Österreich begeisterte Apostel in Aristokraten, wie dem Grafen Belcredi und dem Prinzen Alois Liechtenstein, fanden. Und da waren nicht zuletzt auch die Enzykliken Leos XIII. über die Arbeiterfrage, die insbesondere von großer Wirkung auf den sozialpolitisch bis dahin liberal orientierten Klerus waren. Bei Taaffe selbst aber spielte keine geringe Rolle, daß er das Wahlrecht reformierte und erweiterte, um sich eine breitere Basis im Parlament bei den anderen Nationalitäten gegen die Deutsch-Liberalen zu schaffen. Von da zum auch äußeren Zwang zu sozialpolitischen Reformen führte nur ein kurzer Weg.

Es begann 1883 mit der Schaffung von Gewerbeinspektoren, einer Maßnahme, welche das Tor weit für weitere Sozialgesetze öffnete, an deren Verwirklichung man bisher gezweifelt hatte, weil immer die Frage stand: Wie wird man, und wer wird ihre Einhaltung in 16.000 Fabriks- und Gewerbebetrieben erzwingen? Darnach folgte eine lange Reihe epochemachender Gesetze über neue soziale Einrichtungen, die Österreich legislativ — wie der Führer der österreichischen Sozialdemokratie Viktor Adler am Sozialistenkongreß von 1889 in Paris feststellte — an die Spitze der europäischen Nationen brachten. Freilich dienten die meisten dieser Gesetze — im Sinne der industriefeindlichen und handwerk- freundlichen Gesinnung der christlichen Sozialreformer — zumeist nur jenen Arbeitern, die in „fabrikähnlichen” und mehr als 20 Menschen beschäftigenden Betrieben angestellt waren. Verbot der Fabrikarbeit für Kinder bis zu 14 Jahren, Verbot von Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche. Beschäftigungsverbot für Wöchnerinnen bis vier Wochen nach der Entbindung, Maximalarbeitstag von elf Stunden in Fabriken, Sonntags- oder Ersatzruhe in Fabriken, Verbot aller Entlohnung in Waren. Daran schlossen sich eine Reihe noch wichtigerer Gesetze, betreffend die Unfalls-, Kranken- und Altersversicherung.

Einer der letzten Gesetzenwürfe wurde aus politischen Gründen nicht vom Ressortminister, sondern vom damaligen Ministerialrat Dr. Emil Steinbach im Reichsrat vorgebracht. Einer der Abgeordneten wurde hierbei zum doppelten Propheten, als er Steinbach scherzhaft als „Minister für Sozialpolitik” bezeichnete. Steinbach wurde später Minister, wenn auch nicht für Sozialpolitik, doch diese selbst erhielt schließlich zu einer Zeit, da niemandes erwartet hätte, ein eigenes Ministerium.

Im April 1889 stellte der Abgeordnete Prinz Alois Liechtenstein im Reichsrat den dringlichen Antrag, daß Österreich an einer internationalen Regelung des Arbeiterschutzes teilnehmen möge. Drei Monate später wurde auf dem ersten Kongreß der

Sozialistischen Internationale zu Paris die Forderung nach internationalem Arbeiterschutz gestellt.

Obwohl Viktor Adler auf jenem Kongreß die österreichische Sozialgesetzgebung sehr lobte, führte die sozialistische Bewegung einen heftigen Kampf gegen die Verabschiedung vieler dieser Gesetze. Die österreichische Sozialdemokratie hatte begonnen, Sozialreformen nicht mehr als Almosen, nicht zur Entlastung der Armenpflege, sondern zur Emanzipation, zur sozialen und menschlichen Gleichstellung der Arbeiterschaft überhaupt zu verlangen.

In den verbleibenden Jahren bis zum ersten Weltkrieg wurde noch eine Reihe von Sozialgesetzen und -maß- nahmen verwirklicht. 1898: Gewerbegerichte, in denen Arbeitervertreter mit als Richter beisaßen; im gleichen Jahr in Wien ein Arbeitsvermittlungsamt. Die Einführung der Sonntagsruhe in Geschäftsläden, 720 fachliche .„Arbeitsvermittlungen; .mehr als drėieiĮcįialbtausend Unterstüzungs- einrichtungen der Arbeiter selbst, dieweil die Mitgliederzahl sämtlicher Arbeitervereinigungen bereits 907.794 betrug. Im Jahre 1904 gab es bereits 2904 Bezirks-, Genossenschafts-, Betriebs- und Vereinskrankenkassen. 1913 wurde ein Gesetz geschaffen, welches zur Schließung von Betriebsstätten beim Auftreten gewisser ansteckender Krankheiten ermächtigte, wobei den Arbeitnehmern eine Vergütung bis zu 60 Prozent des Verdienstentganges zugesprochen wurde. Im gleichen Jahr wurde ein Gesetz verabschiedet, welches kurzfristige Darlehen an gemeinnützige Bauunternehmungen vorsah — eine unscheinbare Maßnahme, die jedoch zum Grundstock einer Revolution im Wohnungswesen werden sollte. Dann kam der Weltkrieg und mit ihm ein völliger Stillstand — ja Verlust vieler sozialer Errungenschaften. Dennoch wurde im vorletzten Jahr des Krieges, 1917, und noch in der Monarchie, das erste Ministerium für soziale Verwaltung ins Leben gerufen. Seine Existenz war durch die fürchterlichen Auswirkungen des Krieges selbst nötig gemacht und erzwungen worden. Dann aber kam eine nicht nur in der Sozialpolitik, sondern überhaupt völlig neue Ära für Österreich: 1918 — die Republik. Von deir, was sie brachte und vom heutigen Sozialministerium, seinen Aufgaben, seiner Problematik und Organisation soll im nächsten Artikel berichtet werden.

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