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Dem Leben, nicht den Gräbern!

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Im Paragraph 144 des ÖStGB. schützt der Staat das Leben des Ungeborenen und stellt die Tötung, die Abtreibung, unter di^ Strafe des Verbrechens. Nur im Falle des Notstandes, wenn der Arzt vor die Entscheidung gestellt wäre, bei augenblicklicher Lebensgefahr der Mutter das Leben des Kindes zu opfern (vitale medizinische Indikation), tritt für .ihn -lieh dem Gesetz persönlicher Strafausschließungsgrund ein.

Man versucht heute, die soziale Indikation, das heißt die Tötung des Kindes aus wirtschaftlichen und 'gesellschaftlichen Notständen, straffrei zu machen. Daß es sich um Tötung handelt, ist nicht anzuzweifeln, da nach . wohlbegründeter biologischer Feststellung im Augenblick der Vereinigung väterlicher und mütterlicher Erbanlagen der neue Mensch entsteht, also die Geburt nur noch die Lebenslage des Kindes ändert. Wenn man erlaubt, daß man das Kind im Mutterschoß töten darf, wird man den Folgerungen nicht entgehen können, daß auch das Wiegenkind oder jeder andere Mensch getötet werden dürfe, wenn der Nahrungsspielraim zu eng wird. Mit der Aufstellung der sozialen Indikation beginnt das kindliche Leben wertlos zu werden!

Wir übersehen nicht die schwere Lage werdender Mütter gerade in unseren Tagen, die oft buchstäblich ihre Kinder in Papier wickeln und ihr Mobiliar zertrümmern müssen, um das Badewasser warm zu machen. Hier ist es eben erste und vornehmste Aufgabe einzelner, Gemeinschaften und des Staates, die Not zu lindern und von Grund auf Abhilfe zu schaffen. Hier sind Maßnahmen zum Schutz von Kind, Mutter und Familie am Platze, und nicht solche, die den Mord des Kindes, und somit den Selbstmord der Mutter, die Auflösung von Ehe, Familie und Staat zur Folge haben. Zweck jeder Ordnung ist von Natur aus die Erhaltung des Lebens. Kennzeichnung schwerster Störungen der Gemeinschaftsordnung ist das Baisopfer des Kindermordes.

Aus diesen Gründen haben weder Ärzte noch Rechtslehrer von Format der sozialen Indikation die Berechtigung zuerkannt. Pro-“ fessor Labhardt (Basel) charakterisierte sie in seiner Denkschrift als „eine bedenkliche Dekadenzerscheinung“. Angesehene Fachkorporationen von Gynäkologen erklärten sie als widersprechend der ärztlichen Aufgabe; Sache des Arztes sei das Heilen, nicht die Behandlung wirtschaftlicher Nöte.

Viele Befürworter der sozialen Indikation sind sich ohne Zweifel nicht völlig klar über die Tragweite eines solchen Freipasses zur Tötung des keimenden Lebens für die Allgemeinheit, aber auch für den einzelnen, besonders für die Frau und (ihre Gesundheit;

Man glaubt, im Augenblick die Not lindern zu könnnen und bereitet eine Katastrophe vor. Ist der Damm, der das Leben schützt, einmal an einer Stelle durchbrochen, dann wird es nicht zu verhindern sein, daß unter den hereinbrechenden Verheerungen die Sicherheit des Lebens überhaupt schwindet. Schon heute macht die öffentliche Unsicherheit den Staatsorganen die schwersten Sorgen. Alle Bestrebungen zur Hebung und Erhaltung der öffentlichen Sicherheit müßten vergeblich sein, sobald die Ehrfurcht vor dem Leben gesetzlich durchbrochen wird. Eigentum und Leben werden immer mehr bedroht sein, wenn ihre Unantastbarkeit durch die Erschütterung der Rechtsordnung gelitten hat.

Rein rechtlich aber würde eine Änderung des Paragraphen 144 einen Gegensatz zu Paragraph 22 ABGB. ergeben, der den werdenden Menschen als schon geboren wertet und seine Rechte schützt. Trotz aller schwerwiegenden Konsequenzen — man denke an das Erbrecht der noch ungeborenen Kinder! — müßte also auch dieser Paragraph fallen und müßte es möglich werden, daß unter dem Vorwand sozialer Indikation bewußt Erbrechte vernichtet werden. Es würde aber auch der gesetzliche Ehebegriff (Paragraph 44 ABGB.) fallen, der im Ehezweck, der Fortpflanzung, begründet ist. Also müßte auch diese Bestimmmung abgeändert werden.

Den vielen Leichtsinnigen, die in den gewaltsamen Eingriffen gegen das keimende Leben nur eine einfache Auskunft aus irgendeiner, im besten Falle wirklich sozialen Verlegenheit sehen, sei aber ernstlich gesagt, daß Abtreibung immer ein Spiel mit der physischen und psychischen Gesundheit der Frau ist. Es ist ein warnendes Zeugnis von vielen, wenn Professor Straßmann, Berlin, ein Arzt, der als Gericbts-mediziner das unheimliche Wirken menschlicher Schuld erfahren hat, feststellt: „Wenn auch bestgeübte Ärzte die Operation vornehmen, muß den Frauen gesagt werden, daß sie dabei ihr Leben aufs Spiel setzen und ihre Gesundheit verwirken.“ Man darf nicht vergessen, daß auch der technisch einwandfreie Eingriff ohne Komplikation Folgen zeitigt. Je früher eine Fehlgeburt herbeigeführt wird, um so mehr muß der Natur Gewalt angetan werden, um das herauszugeben, was sie zum Wachsen und Heranreifen festhalten will. Es ist zweifellos, daß eine Gravidität kleinere Anforderungen an den mütterlichen Organismus stellen wird als mehrmalige Abtreibung. £• ist unberechenbar, wie oft statt des Kindes Unterleibserkraakungen, Angst-neurosen und Gemütserkrankungen sich ein- , Mellen werden.

Man soll dem Arzt nicht zumuten, aufzuhören Arzt zu sein, und anzufangen, Henker zu werden. Man mache sich nicht mitschuldig an einer Entwicklung, in der sich die Bestialitäten der jüngst überwundenen Zeit wiederholen und Menschenrecht und Menschenwürde in den Staub getreten werden.

Über alle Parteitore sei das Wort eines großen österreichischen Arztes, eines obersten Verwalters des Gesundheitsamtes der Stadt Wien geschrieben:

„Die ganze Frage (der sozialen Indikation „D. F.“) ist in keiner Weise eine bloß wirtschaftliche Frage. Wir müssen uns für eine höhere Einschätzung der Frau und besonders der Mutter einsetzen, ein neueres, tieferes Ethos der Mutterschaft pflegen .. . Die Gesellschaft muß endlich einsehen, daß der Reproduktionsprozeß etwas vom Allerwichtigsten für sie ist. und muß bereit sein, die allerwichtigsten Opfer dafür zu bringen; dann wird Zumindestens die soziale Indikation überflüssi g.“

So Stadtrat Universitätsprofessor Dr. Tandler 1930 in einem Vortrag an der Wiener medizinischen Fakultät.

Und es war der sozialistische Amts-räger Dr. Tandler, der nicht nur den anderen, sondern auch seinen Parteifreunden diese Wahrheit vor Augen stellte. Und diese Wahrheit gilt heute wie je. a—m.

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