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Demokratisierung der Kirche?

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In der Diskussion um die Gestalt der Kirche in der Welt von heute droht das Wort von der Demokratisierung zum Schlagwort zu werden. Schlagwörter sind meist geistiges Kleingeld. Manchmal übernehmen sie audi die Funktion geistiger Schlagringe. Beides ist vom Bösen.

Demokratisierungstendenzen sind in der katholischen Kirche zweifellos vorhanden. In Oberösterreich geht man dazu über, den Pfarrkirchenrat in geheimer Abstimmung wählen zu lassen; in der Diözese St. Pölten sollen künftig die Pfarrer ihren Dechant selber wählen; an der ersten Vollversammlung des holländischen Pastpralkonzils nahmen 70 vom Volk gewählte Abgeordnete teil; die Möglichkeit, daß eine Pfarre ihren neuen Seelsorger aus den verschiedenen Bewerbern selbst wählen kann, könnte bald gre’fbare Formen annehmen.

Die Reaktion schwankt von Unbehagen über vorsichtiges Abwarten bis zu lautstarkem Beifall, der sich auf dem linken Flügel auch über die Grenzen des Kirchenvolkes hinaus fortsetzt.

Mißverständnisse und Fragen

Sowohl das Unbehagen als auch der Beifall wurzeln zum Teil sicher in Mißverständnissen. Denn über Gut und Böse, über die sittliche Erlaub’ ^eit von Mord, Diebstahl, Lüge und Ehebruch oder über die Gültigkeit einer Ehe beispielsweise wird man in der katholischen Kirche niemals abstimmen können! Göttliches Recht entzieht sich menschlicher Willkür. Außerdem ergeben Mehrheitsbeschlüsse nur selten gute Lösungen schwieriger Probleme.

Die Frage, ob sich die Demokratisierung überhaupt mit dem notwendig hierarchischen Aufbau der Kirche verträgt, ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Eine Glaubensgemeinschaft, deren Oberhaupt in religiösen und sittlichen Fragen als letzte Instanz Unfehlbarkeit beansprucht, ist nicht leicht auf demokratischer Basis zu verstehen; um so weniger, als die Kirche bis 1958 (Wahl Johannes XXIII.) streng zentralistisch regiert wurde.

Wie schon so oft, erweist sich hier das Zurückgehen bis auf die Wurzeln als notwendig: Wie stellte sich die Urkirche zu dieser Frage? Was sagen die Apostelbriefe und die Apostelgeschichte als authentische Zeugen urkirchlichen Lebens dazu? Erst dann läßt sich der für die heutigen Verhältnisse richtige Weg mit einiger Sicherheit festlegen.

Wer die Urkirche verstehen will, muß sie als aus dem Judentum erwachsen — und herausgewachsen — erkennen; die junge Gemeinschaft der Anhänger des Jesus von Nazareth verstand sich ja in der ersten Zeit primär als Vollendung jüdischer Religionserwartungen und übernahm selbstverständlich auch jüdische Organisationsformen.

Im Hohen Rat zur Zeit Christi waren drei Gruppen vertreten, die durchaus politischen Parteien vergleichbar sind: die Sadduzäer als Repräsentanten des — übrigens sehr liberalen — Priesteradels, die Pharisäer als eine Art religiös- nationaflistisch eingestellte Volkspartei und die „Ältesten” als Vertreter des gutsituierten Bürgertums. Zwischen diesen „Fraktionen” gab es Meinungsverschiedenheiten, Machtkämpfe und Intrigen.

Daneben hatte jede Synagogenbeziehungsweise Ortsgemeinschaft einen aus sieben Männern bestehenden „Gemeinderat’1 auf kollegialer Basis; auf dem Gebiet der Sozialfürsorge waren in den Gemeinden Zweier- und Dreierausschüsse tätig.

Demokratische Hierarchie

Petrus war in der Urkirche als Oberhaupt anerkannt. Er konnte autoritär entscheiden und tat es auch, wenn es ihm angebracht erschien. Er nahm zum Beispiel den Besatzungsoffizier Kornelius samt seiner Hausgemeinschaft in die Kirche auf, ohne ihn auf das mosaische Gesetz zu verpflichten. Die Tatsache, daß man Christ werden konn ohne vorher Jude zu werden, wr damals etwas unerhört Neues. Petrus setzte es durch — aber er stellte sich auch der konservativen Opposition zur Debatte über die strittigen Fragen.

Zweimal werden in der Apostelgeschichte „Wahlen” erwähnt. Die „Versammlung der Brüder” stellt zwei Kandidaten auf, für die Wahl des Ersatzapostels anstelle des Verräters Judas; die „Hellenisten” (griechisch sprechende Auslandsjuden, die sich der Gemeinschaft Christi anschlossen) weist Petrus an. sieben Männer zu wählen, die mit seelsorglichen Aufgaben betraut werden sollten. Charakteristische Kombination: zwar vom Volk gewählt, aber vom autoritären Oberhaupt eingesetzt!

Auch beim sogenannten Apostelkonzil, das um das Jahr 49 endgültig zu entscheiden hatte, ob für bekehrte Heiden das mosaische Gesetz verbindlich sei oder nicht, ging die Urkirche ähnlich vor. Petrus ließ zuerst die Versammelten das Für und Wider ausgiebig diskutieren. Erst als das Gespräch in fruchtloses Hin-und.

Her-Reden ausartete, griff er ein und entschied im Sinne der Freiheit. Er war aber auch großzügig genug, um eine „Novellierung” des konservativen Bischofs von Jerusalem als Übergangsbestimmung zu akzeptieren.

Gleichberechtigung der Laien Wir finden in der Urkirche Laien gleichberechtigt neben dem Klerus.

Der spätere Apostel Barnabas wurde lange vor seiner Weihe — also als Laie! — als Visitator zu der Christengemeinde von Antiochia geschickt, in der offensichtlich bereits ein voll organisierter Klerus wirkte. Laienprediger wie Apollus, Aquila und Priszilla spielten bei der Glaubensverkündung eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Im weiteren Verlauf der nachchristlichen Jahrhunderte kam es immer wieder vor, daß eine Ge meinde ihren Bischof auf urdemo- kratischer Basis durch Akklamation wählte. Cyprian von Karthago (t 258) und Ambrosius von Mailand (t 357)— um nur zwei Beispiele anzuführen — wurden so zu Bischöfen gewählt, wobei im Falle des Ambrosius als besondere Pikanterie hinzukommt, daß der Gewählte zur Zeit seiner Wahl noch nicht einmal getauft war! Und doch hat die zuständige kirchliche Obrigkeit diese Wahl durch Taufe und Weihe des Kandidaten anerkannt!

Bis ins hohe Mittelalter saßen in den bischöflichen Gerichten des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation” Laien gleichberechtigt neben Klerikern. Erst in der Reformationszeit — als Reaktion auf die Überbetonung des allgemeinen Priestertums bei den Protestanten — wurden im katholischen Bereich die Laien in die Rolle von Nur- Hörenden, -’behorchenden (und -Zahlenden) gedrängt.

Pius XI. hat im Rahmen der von ihm ins Leben gerufenen „Katholischen Aktion” die besondere Funktion der Laien im Organismus der Kirche wiederentdeckt. Es bedurfte aber der vitalen Persönlichkeit eines Johannes XXIII., um mit gegen- reformatorischen Vorurteilen zu brechen und jenes brüderliche Miteinander und Füreinander aller Getauften in den Vordergrund zu rücken, um das es Jesus Christus eigentlich ging.

Leistung und Recht

Um ein durch lange Krankheit verkümmertes Organ wieder voll einsatzfähig zu machen, braucht es viel Geduld und Übung. So wird auch viel Geduld und Mühe notwendig sein, um das Mitspracherecht der Laien in der Kirche in einer der Situation angemessenen Form zu verwirklichen. In der Urkirche vertrugen sich demokratische und hierarchische Lebensformen sehr gut miteinander. Wohl deswegen, weil Leistung und Verantwortung im Vordergrund standen, und nicht ein ständiges „Wir fordern, wir fordern!” Aus den gemeinsam getragenen Pflichten ergab sich von selbst das Recht zur Mitbestimmung.

Auf dieser Basis wird die „Demokratisierung” der Kirche auch heute möglich und fruchtbar sein, ohne die hierarchische Ordnung zu beeinträchtigen. Priester und Laien müssen sich gegenseitig als Mitarbeiter an einer gemeinsamen Aufgabe sehen, wobei den Laien nicht bloß Handlangerdienste wie Zettelaustragen und Spendensammeln zukommen, sondern eigenständige Arbeiten, die vielleicht sogar nur sie — und nicht die Priester — bewältigen können.

Gerade in dieser Hinsicht gilt das Wort Christi an Seine Apostel: „Ihr sollt euch nicht .Meister1 nennen lassen, denn einer nur ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder! Wer von euch der Größte sein will, der sei der Diener aller!” (Mt. 23, 8,11 und Mk. 9, 35.)

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