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Demonstration vor Formosa

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Die Wunderschöne, die Wohlgestaltete nennen sie die Weißen und Europäer, seitde'm die Portugiesen sie zum ersten Male erblickt hatten; „Terrassengestade“, „Taiwan“ nennen sie die Chinesen und Japaner, die sie seit 1874 umkämpfen; Pekan nennen sie die Malaien, die sich im Kampf mit den später eingedrungenen Chinesen und Japanern immer tiefer ins Innere der Insel, ins Hochgebirge zurückziehen mußten. Bis zum Ausbruch der japanisch-chinesischen Feindseligkeiten, die im Fernen Osten dem zweiten Weltkrieg präludierten, bildet die Wunderschöne die wichtigste Stütze des japanischen Kolonialreiches, zugleich den Ansatzpunkt für das erhoffte japanische Weltreich, das sich über Insulinde und Singapur, über Malaya an die Tore Indiens erstrecken sollte: Formosa.

Das nationalkommunistische China war bereits in den Kämpfen in Indochina und in den Laos-Staaten den Spuren der großen kaiserlichen Eroberer des altchinesischen Großreiches gefolgt. Diese Tatsache wurde, früher fast als in Europa, von den jungen Freunden Chinas selbst und von sowjetrussischen Beobachtern im Räume der Vietminh überrascht und unangenehm vermerkt: Ho Chi Minh und einige der prominentesten Führer des nationalen Kommunismus in den Rsndstaaten zwischen China und Indien ließen keinen Zweifel darüber, daß sie die Hilfe des großen Bruders, der chinesischen Volksrepublik, nicht als Vorbereitung eines Anschlusses der befreiten Gebiete an das Chinesische Reich verstanden, das seit dem Mittelalter nie seine Aspirationen auf diese reichen Reislande aufgegeben hat. Englische Beobachter führten dann die Bereitschaft der Vietminh und der Russen, zu einem Abschluß mit Frankreich zu kommen, auf deren gemeinsame Antipathie gegen ein Ueberhandnehmen des chinesischen Einflusses in Asien zurück. Das war vor einem Jahr. Für Moskau wie für den Westen hingen damals die Verträge um die Wiederaufrüstung Westdeutschlands in einem fernen Nebel, bildeten keine allzu dringende weltpoltische Realität.

Jetzt, Ende Jänner 1955, unterstützt Moskau durch eine offizielle diplomatische Aktion bei der UNO die Forderungen Pekings auf eine Uebergabe Formosas an Rotchina. Es ist unmöglich, diesen Zusammenhang zu übersehen. In eben dem Augenblick, in dem sich, wie vor zwei Jahren von Korea aus, nunmehr von der wunderschönen, wohlgestalteten Insel Formosa ein langer Schatten der Furcht über die Erde hängt —“weit über die Wellen des Pazifischen Ozeans, über Pearl Harbour, Japan. Asien, Europa. Afrika —. tut es gut, festzuhalten, wie eng die weltpolitische Aktion Rotchinas in diesem Moment mit der großen Angst Rußlands und mit seinem großen Spiel in Europa heute verknüpft ist. Ein Mann, der es wissen muß, Leo Volkow, Oberstleutnant der sowjetischen Luftwaffe im letzten Krieg, heute militärischer Mitarbeiter (nach seinem Absprung) führender amerikanischer Blätter, hat soeben in der New-Yorker Wochenschrift „Newsweek“ darauf aufmerksam gemacht: Auf die Frage, warum Moskau so voller Schrecken auf die Aussicht einer deutschen Wiederbewaffnung reagiere, erwiderte er: weil das heutige Rußland diese wirklich fürchte; ;m diplomatischen Benehmen der Sowjetunion in dieser Hinsicht sei nichts von Getue und Propaganda; Rußland sei genau so voller Furcht vor einem wiederbewaffneten Deutschland, wie es sich gebe. Volkow klagt sodann, daß die meisten Amerikaner nicht wissen, welcher tödliche Schrecken Sowjetrußland durch den deutschen Blitzkrieg in den Anfangsstufen des letzten Krieges eingejagt wurde.

„Wir Russen erlitten eine traumatische Erfahrung auf nationaler Ebene. Wir bekamen das Gefühl, daß wir kein gleichwertiger Gegner für die Deutschen waren. Und wir erholten uns auch nicht vollkommen von diesem Gefühl der militärischen Unterlegenheit, nicht einmal zur Zeit unseres größten Triumphes. Die Herrscher in der Sowjetunion spiegeln die Meinung ihres Voikcs v,jd*\ und besonders die der Veteranen des letzten Krieges, wenn sie die Furcht zum Ausdruck bringen, daß Deutschland, wenn es erst einmal wieder mit der Wiederbewaffnung beginnt, erneut zur stärksten Militärmacht der Welt werden wird und zu einer neuen Bedrohung für seine östlichen Nachbarn. Der Kreml glaubt voll und ganz, daß Deutschland, wenn es 12 Divi-sonen erhält, bald über eine Armee von der mehrfachen Größe, über ein Arsenal von Geheimwaffen und über ein geschicktes strategisches Konzept über deren Anwendung verfügen wird.“ Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen weist Volkow darauf hin, daß die starke Herausstellung Marschall Schukows, des berühmtesten Heerführers Rußlands im letzten Krieg, durch Reden, durch Photos (Schukow zwischen Malenkow und Chruschtschow!) diese Angst in den eigenen Völkern beschwichtigen und der Welt demonstrieren soll: auch die Sowjetunion besitze geniale militärische Köpfe.

Politik aus der Angst? Gewiß. Man würde aber die weltpolitischen Fähigkeiten der Russen unterschätzen, wenn man dies übersähe: wie ihr Lehrmeister und Vorgänger, Byzanz, versteht es Rußlands Diplomatie und Strategie vorzüglich, aus der echten Angst der eigenen Völker ebenso Kapital zu schlagen wie aus der nicht minder echten Angst anderer Völker. Moskau hat demonstrativ (aller Nachdruck liegt auf dieser Demonstration, die augenfälliger nicht gedacht werden kann!) P.ot-chinas Forderungen auf Formosa in einem Moment unterstützt, in dem es in Frankreich und Deutschland um die Ratifizierung der Pariser Verträge geht. Soeben haben der Deutsche Gewerkschaftsbund, die westdeutschen Sozialisten und führende Männer der Kultur sich im „Deutschen Manifest“ und einer Reihe beginnender Aktionen zum Kampf gegen die Annahme der Pariser Verträge bekannt. In Paris rückt heute bereits die Ratifizierung derselben auf zwei bis drei Monate hinaus: eine Zeit, die genügt, sie zu Fall zu bringen, da die Stimmung gegen jede Kriegsteilnahme wächst. — Moskau hat also im gegenwärtigen Moment einige heiße Eisen im Feuer — hier in Europa; diese sind weltwichtiger als die Bomben und Kanonenschüsse, die seit Wochen im Raum zwischen Formosa und dem chinesischen Festland fallen. Nur wenn wir diesen Charakter einer weltpolitischen Demonstration Moskaus, einer Demonstration ersten Ranges, erkennen, können wir ruhigen Mutes, besonnen die unmittelbare Tragweite der weltpolitischen Demonstration Pekings würdigen.

Peking kann ohne Moskau keinen Weltkrieg führen; es kann, was mindestens ebenso wichtig ist, sein gutes Gesicht Indien und den erwachenden Völkern Asiens gegenüber nicht wahren, wenn es einen Krieg um eine Insel wagt, die im Mittelalter vom chinesischen kaiserlichen Imperialismus erobert wurde und im ganzen 20. Jahrhundert bisher nie zu China gehört hat. Ganz Asien, das kommunistische Asien, das kommunistisch infiltrierte Asien und da9 nicht- und antikommunistische Asien müßte eine solche Aggresteionstat als Fanal empfinden und alarmiert sich fragen, von Pakistan und Vietnam bis zum Nahen Osten: wann komme ich daran? Wann werde ich als kommunistischer Hilfstrupp oder als antikommunistischer Gegner vereinnahmt vom großen Bruder, vom großen Feind? Das weiß Peking, und das weiß Moskau; wobei wieder nicht zu übersehen ist, daß Peking weiß, daß Moskau um seine wahre Situation in Asien nahezu ebenso gut Bescheid weiß, wie es selbst dies zu wissen glaubt. Moskau und Peking haben deshalb zugleich beschlossen, an Japan freundschaftlich heranzutreten, ihm Tore für seinen Handel zu öffnen in die Weiten des kommunistischen Asiens hinein . ..

Zugleich hat Moskau den Kriegszustand mit Deutschland, mit beiden Deutschland als beendet erklärt. Schon seit Wochen spricht man in Bonn von einem bevorstehenden Besuch eines der besten Deutschlandexperten Rußlands, Semjonow, in der rheinischen Hauptstadt. Was aber will dann Peking mit seiner weltpolitischen Demonstration vor Formosa? Moskaus Absichten sind klar: die Verhinderung der Unterzeichnung der Pariser Verträge. Es ist möglich, daß Pekings Nahziele nicht weniger klar sind: die Führer dieses 600-Millionen-Volkes finden es aus innen- und außenpolitischen Gründen für untragbar — für ihr Gesicht in Asien untragbar, weiterhin nicht zum großen Weltforum der UNO zugelassen zu sein, bei der sie ihr ganzes Gewicht auch politisch in die Waagschale legen wollen. Rotchina will bei den großen Weltfragen mitsprechen — das war bereits in Genf offen sichtbar geworden für die 400 westlichen Journalisten und für nicht wenige Politiker der westlichen Welt, wie Eden, die mit - Tschuenlai um den Frieden in Vietnam rangen. Spricht aus den Erklärungen Moskaus die Angst vor einem wiederbewaffneten Deutschland, so spricht aus der stolzen, um nicht zu sagen überheblichen (ganz unasiatischen.') Sprache Tschuenlais das tiefe Ressentiment der Gelben Völker, die Fehler angloamerikanischer Politik aus den letzten 150 Jahren nicht vergessen wollen. Und die mini alles tun, um die Vereinigten Staaten von ihren Verbündeten zu isolieren, wobei ein Hochziel der Chinesen ist: Amerika sein Gesicht in Asien zu rauben: sein hohes Prestige, das es doch auch heute noch in ganz Asien genießt. Dies ist in Korea nicht gelungen.

Korea aber weist einen echten Weg für den Westen auf. Standhalten und bereit sein, zu verhandeln; militärische Aktionen beschränkt und begrenzt halten. Eisenhower weiß sehr genau: Amerika hat es nicht nötig, sich zu einem Weltkrieg verlocken zu lassen. Weder Peking noch Moskau ist ihrerseits mit einem Weltkrieg gedient: die riesigen Menschenmassen zwischen Gelbem Meer und Elbe sind alles eher als saturiert.. Also steht zu hoffen: die große weltpolitische Demonstration Chinas und Rußlands vor Formosa kann zu jener Absprache in Asien führen, die in Europa bereits auf dem Wege ist: Formosa, die wohlgestaltete Insel, kann heute erneut ihren Namen zu recht behaupten, mitten durch die Querelen und Aengste dieser Tage hindurch.

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