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Den Bauer nicht opfern!

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Die Anpassung der Landwirtschaft an das technische Zeitalter verursacht zahlreiche Probleme innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft ist vor allem selbst durch diesen Entwicklungs- und Wachstumsvorgang zu großen Leistungen und Opfern gezwungen. Allein der Übertritt von mehr als 20.000 Arbeitskräften pro Jahr in andere Wirtschaftszweige beleuchtet diese Situation, besonders wenn man dazu in Vergleich stellt, daß in anderen Wirtschaftszweigen die Abgabe von einigen hundert Arbeitskräften zu'fast krisenhaften Zuständen führen kann. Trotz dieses Verlustes an Menschen muß die Landwirtschaft ihre Leistungsfähigkeit aufrecht halten und sogar steigern, wodurch maschinelle Investitionen von mindestens 130.000 Schilling pro scheidender Arbeitskraft erforderlich sind. Diese finanziellen Aufwendungen werden der Landwirtschaft nicht ersetzt, sie muß sie selbst tragen.

Die nichtagrarische Öffentlichkeit steht diesen strukturellen Umwälzungen in der Landwirtschaft vielfach mit Verständnislosigkeit gegenüber. Begreiflicherweise sind komplizierte soziale und wirtschaftliche Vorgänge außerhalb des eigenen Wlrtschaftsbereiches nicht ohne weiteres für jedermann durchschaubar. Der Verlust an Romantik, der mit den Umstellungen auf die Technik verbunden ist, mag überdies manches Unverständnis gegenüber der Landwirtschaft fördern. Aber diese Einstellung der breiten Öffentlichkeit erleichtert nicht gerade dar Landwirtschaft ihre Anpassungsmaßnahmen an das technischindustrielle Zeitalter, ja es erschwert sie in vieler Hinsicht und schafft viele Mißhellig- keiten im Verhältnis zwischen der Landwirtschaft und der übrigen Öffentlichkeit. Man begreift, daß in der Bauernschaft unter diesen Umständen da und dort Verbitterung ausgelöst wird. Ein Stand, der mit großen Opfern eine neue Existenzbasis zu erreichen trachtet, kann verlangen, daß seine Bemühungen um die Einfügung in die gesamte Wirt- schaftsstruktar geachtet und unterstützt werden. Vielleicht bietet es Erleichterungen bei der Lösung, daß in allen industrialisierten Ländern die gleichen Agrarprobleme vorliegen. Man kann voneinander lernen.

Überlegen wir einmal die Situation: Im Laufe der bisherigen Menschheits- und Wirtschaftsgeschichte war das Kernproblem in den Beziehungen zwischen Agrarproduktion und Konsum die Sorge wegen des Mangels

und der unzureichenden Versorgung. Mißernten, dezimierende Seuchen im Viehbestand und ähnliche Katastrophenereignisse waren es, die es zu verhindern oder auszugleichen galt. Das Bestreben von Staat und Wirtschaft ging daher dahin, die Schrecken von Mangel, Not und Hunger zu bannen.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Industrieländer mit einem völlig neuen und zugleich der bisherigen Situation völlig entgegengesetzten Problem konfrontiert, nämlich mit dem Problem der agrarischen Überkapazität. Wissenschaft, Technik und moderne Organisation haben eine agrarische Produktionskapazität entstehen lassen, die mindestens regional imstande ist, mehr zu produzieren, als der Bedarf der eigenen Bevölkerung erfordert, Die Bewältigung des Überflusses ergibt für die Allgemeinheit insbesondere auch für die nichtagrarische Wirt

schaft Probleme von großer Tragweite. Man denke nur an die Schwierigkeiten, die international dadurch in der Expartwirtschaft auftreten.

Es ist verständlich, daß alle Seiten eine möglichst glatte Abwicklung der strukturellen Umstellungen in der Landwirtschaft wünschen und insbesondere nichtagrarische Teile der Öffentlichkeit Belastungen ablehnen, die sich aus diesem Umwandlungsprozeß für alle ergeben. Angesichts der Tatsache jedoch, daß es sich um eine völlige neue Situation in der Wirtschaftsentwicklung handelt, die noch vor einem Vierteljahrhundert nicht voraussehbar war, ist es noch nicht möglich, fertige Methoden zur Herstellung des notwendigen Ausgleichs zwischen Produktion und Verbrauch anzuwenden. Man ist heute dabei, diese Methoden ebenso zu suchen, wie man wissenschaftlich die Produktion entwickelte. Man wird aber bei der Behandlung dieser Probleme unter keinen Umständen einen Faktor aus dem Auge verlieren dürfen: den Menschen. So wie man bei industriellen Umstellungsprozessen, die durch überschüssige Produktionskapazitäten ausgelöst wurden, in

erster Linie darauf Rücksicht nimmt, daß der Mensch nicht zu Schaden komme, so wird man auch in der landwirtschaftlichen Umstellung ebenso das Wohl des Konsumenten wie das Wohl des bäuerlichen Menschen zu berücksichtigen haben. Es geht nicht an, daß der eine dem anderen geopfert wird und es geht auf keinen Fall, daß angesichts eines noch gar nicht abschätzbaren technischen Vorgangs der Bauer geopfert und die Versorgung unseres Volkes auf die zweifelhafte Abhängigkeit von anonymen Versorgungsquellen gestellt wird.

Es steht fest, daß die Landwirtschaft unter dem Einfluß der Technik bei sinkender Pro- duzentenžahl immer produktionskräftiger wird. Diese Tatsache darf aber nicht zu der Annahme verleiten, daß sich dieser Prozeß bis in die Unendlichkeit fortsetzen läßt. Ein Verzicht auf die Landwirtschaft ist unmöglich. Sie bildet gewissermaßen die wichtigste Grunds, off Industrie“, und man billigt ihr deshalb auch in den liberalsten Industriestaaten den nötigen Existenzschutz und ausreichende Hilfen im gegenwärtigen Umstellungsprozeß zu. Es ist wohl schon heute klar, daß der landwirtschaftliche Familienbetrieb die beste wirtschaftliche und soziale Lebensform der Landwirtschaft zur Versorgung der Allgemeinheit im industriellen Zeitalter 1st. Auf dieser gesunden sozialen und Wirtschaftlichen Basis werden sich zweifelsohne auch die anderen Probleme der gewaltigen Strukturänderungen im Laufe der nächsten Jahre lösen lassen. Angesichts des Umfanges ihrer Leistungen kann die Landwirtschaft jedenfalls den Anspruch stellen, als moderner Wirtschaftszweig zu gelten und anerkannt zu werden. Die Landwirtschaft ist nicht veraltet, sie ist fähig, auch die nächsten Schritte zur Anpassung an die neuen Lebensbedingungen in einer von der Technik bestimmten Welt zu unternehmen.

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